Bewegung und Gesundheit: Die wunderbare Welt der Muskelkraft

Bewegte Muskeln schütten Botenstoffe aus und helfen so, Krankheiten vorzubeugen und zu heilen. Die Art der Bewegung ist egal.

Ein Gruppe watet durchs Watt

Für die Gesundheit zählt jeder Schritt. Und wenn's dann noch Spaß macht, umso besser Foto: imago/Dieter Mendzigall

Lange galt der Muskel als bloßer Erfüllungsgehilfe. Man glaubte, die Fasern reagieren schlichtweg auf die Befehle aus der Kommandozentrale Gehirn und hätten sonst keine Funktion. Doch dieses Bild wandelt sich. Immer deutlicher wird, dass der Muskel ein eigenständiges Organsystem bildet, das selbst zahlreiche Botenstoffe ausschüttet und so mit anderen Organen, der Leber etwa, den Knochen, dem Herz-Kreislauf-System, dem Gehirn kommuniziert. Erst dieses Netzwerk macht Bewegung zu einem wahren Gesundheitselixier. Langes Sitzen gilt dagegen als Raubbau am Körper, Couchpotatoes leben rund sieben Jahre kürzer als Sportliche.

So feit Leibesertüchtigung gegen Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Osteoporose, Depressionen, Alzheimer und bestimmte Krebsarten. Auch bei bereits bestehenden Krankheiten wie Brustkrebs oder Herzkrankheiten kann sportliche Aktivität anstatt des lange Jahre beschworenen Schonens die Prognose verbessern. Auch Schwangere und ältere Menschen profitieren von Sport.

Das Potenzial der Muskeln bestätigen fast täglich neue Studien. Wissenschaftler haben etwa in der National Finrisk-Study 2.500 Personen ab ihrem 65. Lebensjahr über 12 Jahre beobachtet und ihren Gesundheitszustand notiert. Die Probanden teilte man je nach ihren sportlichen Ambitionen in niedrige, moderate und hohe Aktivität ein. Das Ergebnis, das kürzlich veröffentlicht wurde: Untätige hatten im Vergleich zu sich moderat Bewegenden ein um 30 Prozent höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und ein um 54 erhöhtes Risiko, früher zu sterben.

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt daher mindestens 150 Minuten wöchentlich moderate Tätigkeiten wie Gehen, Radfahren oder Gärtnern. Es muss also kein Abo im Fitnessstudio sein: Bereits Alltagsaktivitäten haben einen erheblichen gesundheitlichen Effekt, beispielsweise indem man mit dem Fahrrad anstatt mit dem Auto zur Arbeit fährt. Das vermindert etwa den systolischen Blutdruck um 4 mmHg.

Skelettmuskelzellen agieren auch als endokrine Organe, sie schütten ständig Proteine ins Blut

„Viele Bluthochdruck-Medikamente sind auch nicht besser wirksam“, sagt Herbert Löllgen, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention. Wer sich mehr zumutet und anstrengende Gartenarbeiten verrichtet, wandert, schwimmt, joggt, Yoga oder Ballspiele macht, dem reichen theoretisch 75 Minuten pro Woche.

„Dabei hat Bewegung Auswirkung auf alle Zellen und Organe im Körper“, sagt Claude Bouchard, US-Wissenschaftler an der Universität in Baton Rouge. Gut verstanden sind bis dato aber nur die Effekte, die Sport auf das sympathische Nervensystem und Neurotransmitter hat: So wird die Atmung effizienter, der Blutfluss besser, der Muskel kräftiger, der Energieverbrauch hochgefahren.

Endokrine Organe

Aber Skelettmuskelzellen agieren auch als sogenannte endokrine Organe, sie schütten ständig Proteine ins Blut, die Antworten auf Bewegung verändern. Erst langsam verstehen die Forscher, welche vielfältigen Prozesse durch Sport im Körper angeregt werden: Bewegung mobilisiert etwa aus dem Knochenmark sogenannte Progenitorzellen, die helfen, Gefäß- aber auch Gehirnzellen nach einem Schlaganfall zu regenerieren. Sport stimuliert auch die Osteocalcin-Ausschüttung in den Knochen, was diese kräftigt. Umgekehrt werden die Muskeln mit Osteocalcin 20 bis 30 Prozent leistungsfähiger, weil die Muskelfasern mehr Glukose und Fettsäuren aufnehmen können.

Oder kürzlich wurde gezeigt, dass Muskeln schädliche Stoffe bunkern, damit diese keinen Schaden anrichten, etwa zu depressiven Veränderungen im Gehirn führen. Claude Bouchard glaubt, dass vor allem das Nerven- und das Immunsystem eine besondere Rolle bei der Vermittlung von Gesundheitseffekten spielt, denn: „Neuronen und Leukozyten sind im ganzen Körper verteilt vorhanden und werden durch Bewegung beeinflusst.“

Immer deutlicher wird auch, dass nicht nur Ausdauersport gesundhält, sondern auch Krafttraining. „Krafttraining verhindert etwa in gewissem Maße den im Alter gefürchteten Muskelschwund“, so Löllgen. Beide Bewegungsformen haben jedoch teils unterschiedliche Wirkungen. Eine kürzlich publizierte Studie hat etwa aufgedeckt, dass moderater Ausdauersport und Intervalltraining den Alterungsprozess der Zellen und damit Herzerkrankungen ausbremsen. Krafttraining hatte diese Wirkung dagegen nicht. Christine Graf, Wissenschaftlerin an der Sporthochschule Köln meint: „Diejenige Sportart ist am besten, die man macht!“ Weniger wichtig also, ob das Yoga, Fußball oder Marathon ist.

WHO-Empfehlung ist umstritten

Unbestritten ist, dass die Empfehlungen der WHO eher konservativ sind. Erst kürzlich hat ein Forscherteam um Hmwe Kyu von der University of Washington gezeigt, dass die Menschen mehr Sport als die bislang empfohlenen 150 Minuten moderate Bewegung treiben müssten, damit sich die Zahl der Krankheitsfälle auf Bevölkerungsebene wesentlich verringert. „Klar, das wissen wir“, gibt Bouchard zu. Trotzdem hält er die WHO-Empfehlungen für ausreichend. „Sie sind eine gute Mischung aus erreichbarer Dosis und Benefit.“ Wer mehr trainiert, verbessert zwar seine Leistungsfähigkeit, die präventive Wirkung wird jedoch nicht gleichermaßen gesteigert.

Zudem ist es bekanntermaßen schwierig, Menschen aus ihrer Komfortzone herauszulotsen. Sportfans sind nun mal eher in der Minderzahl. Dabei ist der Mensch auf Bewegung tariert. Schätzungsweise 40 bis 50 Kilometer legte ein Steinzeitmensch zurück. Dabei ist der Homo sapiens ein schlechter Sprinter, dafür ein guter Langläufer: Zwei trainierte Läufer konnten in Graslandschaften ein Reh in die Erschöpfung treiben und erlegen. Aber der Steinzeitmensch hat nicht nur gejagt und Früchte gesammelt, auch beim Bau von Unterständen und Hütten, bei der Abwehr von Feinden oder der Invasion in fremde Gebiete wurden Muskeln gebraucht.

Zuviel Sport

Ob es ein Zuviel an Sport gibt, ist jedoch umstritten. Diskutiert wird, ob Sport auf Profiniveau zu einer krankhaften Vergrößerung der Herzkammern führt, wie einige frühere Studien nahelegten. Eine aktuelle Studie der Universität des Saarlandes sieht hier jedoch keinen solchen Zusammenhang. Ein Zuviel gibt es auch, wenn ein Sportmuffel plötzlich kilometerweite Läufe absolviert: Dann hakt es bald in den Gelenken.

Nicht belegt ist, dass Sport alleine Pfunde schmelzen lässt. Denn Bewegung verbraucht weniger Kalorien, als man bislang annahm. „Zum Beispiel muss man 500 Schritte machen, um einen Würfelzucker zu verbrennen“, sagt Graf. Möglich wäre zudem, dass Bewegung einige Menschen dazu verleitet, über ihren Hunger zu essen.

Auch bei Kindern sind Abnehmprogramme, die nur auf Sport setzen, fehlgeschlagen. „Trotzdem ist Bewegung in jedem Alter hochgradig gesundheitsförderlich“, so Graf. „Auch Selbstwertgefühl und Denkvermögen werden verbessert.“ Bewegung von Kindesbeinen an schützt auch noch effektiver vor Herzkrankheiten oder Brustkrebs im höheren Lebensalter.

Genetische Dispositionen

Zwar kann Bewegungsförderung hierbei helfen, doch auch die Gene haben ihre Finger im Spiel. So gibt es Besonderheiten im Erbgut, die Menschen generell aktiver und damit auch gesünder machen. Auf der anderen Seite gibt es einige Menschen, die nur teilweise von Sport profitieren. Beispielsweise kommt es bei rund 10 bis 20 Prozent der Erwachsenen nicht zu einer Verbesserung des Blutdrucks, bei einigen steigt er sogar an. „Diese Menschen haben aber dafür vielleicht deutliche Effekte auf ihre Blutfettwerte oder den Blutzucker“, erklärt Bouchard. Weil die Macht des Muskels und seiner Botenstoffe so groß ist, profitiert also jeder Mensch insgesamt betrachtet von mehr Bewegung.

Doch gerade wegen der vielen Stellschrauben, an denen Laufen, Schwimmen und Schwitzen drehen, bezweifelt der US-Wissenschaftler Bouchard, dass es irgendwann eine Pille geben könnte, mit der man dem Körper Bewegung vorgaukeln kann, ohne sich aus dem Sessel zu rühren. Tatsächlich basteln einige Arbeitsgruppen an einer solchen Tablette. Irisin ist zum Beispiel so ein Stoff. Er kann weißes Fettgewebe in braunes, aktives Gewebe umwandeln.

Studien mit Pillen konnten bislang jedoch keine schlankmachenden Effekte bei Menschen feststellen. Auch Resveratrol, ein Stoff aus Rotwein und Schokolade, gilt als lebensverlängernd und als idealer Sportersatz. Doch auch hierzu sind Studien bislang eher mit mäßigem Erfolg gelaufen. Christina Graf ist überzeugt: „Eine Sport-Pille wird es nicht geben.“

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