Das Duzen greift um sich: Nur mit Du!

Die Berliner Polizei, die BVG, sogar der Regierende Bürgermeister duzt die Bürger*innen. Das klinge wie Kommunikation auf Augenhöhe, sagen Experten – ist aber keine.

Wo soll das nur hinführen? Foto: dpa

Die Menschen in Berlin wissen, die Polizei ist „Da für Dich“. Zumindest ziert dieser Slogan Berliner Streifenwagen. Ähnlich sieht es im Nahverkehr aus. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) entschuldigen seit Jahren Unannehmlichkeiten mit: „Weil wir Dich lieben“. Und nun, da der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) als Bundesratspräsident die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit 2018 nach Berlin holte, stehen diese unter dem Motto: „Nur mit Euch“.

Die Anrede per du ist längst kein Alleinstellungsmerkmal schwedischer Möbelhäuser mehr, sondern in der Öffentlichkeitsarbeit von Politik und Behörden angekommen. Was bei einigen jung und locker ankommt, untergräbt für andere eine etablierte Sprachregelung, die Respekt gegenüber Autoritäten oder Höflichkeit gegenüber Fremden und Älteren symbolisieren soll.

Julian Mieth, stellvertretender Sprecher der Senatskanzlei, ist Projektleiter der diesjährigen Einheitsfeier. Gemeinsam mit der Landesgesellschaft Kulturprojekte Berlin wurde das Motto „Nur mit Euch“ erarbeitet. „Natürlich wurde über die Anrede auch kontrovers diskutiert“, erklärt Mieth. Ein Problem sieht er in dem ungefragten Duzen jedoch nicht. „Das Duzen ist ein Zeichen der Nähe – und wird ja auch in der Werbung stark genutzt.“

Auf Augenhöhe

Für Martin Emmer, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin, ist die informelle Anrede Teil einer PR-Strategie von Politiker*innen, sich als gewöhnliche Menschen auf Augenhöhe zu präsentieren. „Man hofft, dass die Botschaft besser wirkt, weil keine große Distanz überbrückt werden muss, sondern sie daherkommt wie die Botschaft eines Freundes.“

Diese Nähe müsse dann jedoch konsequent durchgehalten werden, betont Emmer. Ansonsten werde sie unglaubwürdig. Dass der Regierende Bürgermeister in seiner Kampagne duzt, auf seinem Facebook-Profil jedoch siezt, ist für Emmer ein Zeichen eines Rollenkonflikts. „Man will näher an die Leute herankommen, indem man duzt, andererseits sieht man, dass doch noch Distanzen da sind. Ein Regierungschef ist immer noch Regierungschef.“

Einen Regierungschef würden wohl nur die wenigsten ungefragt duzen. Darf die Kampagne das dann mit den Bürger*innen machen? Oder muss der Bürgermeister nun konsequent alle Menschen duzen? Für Julian Mieth liegt in der wechselnden Anrede kein Konflikt. Die Ansprache sei abhängig vom Kanal sowie vom Publikum. Außerdem sei der Absender der Kampagne nicht nur der Regierende Bürgermeister als Person, sondern es sei Deutschland, das einlädt. „Und die Bundesrepublik kann ihre Bürgerinnen und Bürger schon einmal mit zwinkerndem Auge duzen“, sagt Mieth.

Um Nachwuchs wirbt die Polizei in einer Internetkam-pagne mit Slogans wie „Oma verkauft Koks am Kotti – ein Fall für dich“

Die Bundesrepublik duzt, auch die Polizei, die BVG, Fernsehwerbung und einige politische Parteien in den sozialen Netzwerken. Auch Unternehmen verwenden in Stellenausschreibungen immer häufiger das Du bei der Suche nach Bewerber*innen.

Respektlos?

Ob die informelle Anrede den Angesprochenen recht ist oder Menschen sich durch sie verprellt fühlen, darin liegt für Holger Baum die Kernfrage. Als Geschäftsführer der Kommunikationsagentur MediaCompany berät er unter anderem Ministerien und Regierungen in ihren Kommunikationsstrategien. „Ein Du kann auch als Ausdruck von Respektlosigkeit verstanden werden, und dann kann Werbung nach hinten losgehen“, warnt er.

Entscheidend sei unter anderem die Zielgruppe. Im Polizei-Motto „Da für Dich“ sieht Baum eine klare Ausrichtung auf ein jüngeres Publikum, welches sich durch ein Du eher angesprochen fühle. Auch der Internetauftritt der Kampagne kommt mit Überschriften wie „Oma verkauft Koks am Kotti – ein Fall für dich“ als sprachlicher Gegenentwurf zum nüchternen Behördenstil der offiziellen Polizei-Website daher.

Im Falle der Kampagne zum Tag der Deutschen Einheit erkennt Baum keine spezifische Zielgruppe. Hier, so vermutet er, habe man versucht, ein größtes gemeinsames Vielfaches zu finden. „Das Du bringt einen Sympathiefaktor, damit erreicht man wahrscheinlich mehr Menschen als mit dem Sie.“ Es handele sich daher wohl um ein Abwägen, welche Anrede bei vielen besser ankommt, auch in dem Risiko, andere zunächst zu verprellen.

„Bei Rockmusik geht nur das Du“

Doch nicht nur die Zielgruppe ist ausschlaggebend. Manchmal müsse man sich auch nach dem kommunizierten Thema richten, erklärt Baum. Nur weil die Fans der Rockmusik von 1970 heute im Rentenalter seien, könne man für ein Rockkonzert nicht in der Sie-Form werben: „Bei Rockmusik geht nur das Du.“

Der Wandel in der Ansprache verläuft laut Baum parallel zu einer medientechnischen Entwicklung. Der respektvolle Auftritt des gedruckten Wortes sei zunächst durch das Fernsehen aufgebrochen worden. Noch stärker sei der Wandel in den sozialen Netzwerken zu beobachten. Auf Facebook und Twitter sind alle Menschen Teil eines großen Netzwerkes, innerhalb dessen die Hierarchiegefälle flacher zu sein scheinen. Distanzen, die durch Siezen, Titel oder offizielle Kommunikationswege geprägt sind, verlieren so an Wichtigkeit, bestätigt auch Martin Emmer. Plötzlich ist es möglich, mit Politiker*innen befreundet zu sein.

Ein vollständiges Verschwinden des Sie halten dennoch weder Emmer noch Mieth für wahrscheinlich. Daran werden wohl auch Du-Kampagnen nichts ändern. Denn über die Autorität von Amts wegen können diese nicht hinwegtäuschen: Weder darf ein Polizist im Alltag ungefragt geduzt werden, noch würde man den Regierenden Bürgermeister einfach mit Du ansprechen.

Andere Länder, sagt Senatssprecher Mieth, seien da anders: In Dänemark etwa werde sogar die Königin geduzt.

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