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Der Bullshit-Wort-Check, Folge 8 „Die Menschen“ und „auf Augenhöhe“

Was taugen diese Begriffe für das Verständnis der Gegenwart? taz FUTURZWEI-Gastautorinnen testen Standards des politischen Sprechens. Heute: Nils Minkmar und Bernhard Pörksen.

Mit „den Menschen“ einfach mal „auf Augenhöhe“ ins Gespräch kommen – so geht gute Politik! Toll! Foto: Davide Ragusa/Unsplash

taz FUTURZWEI | In der heutigen Folge in unserem „Bullshit-Wort-Checks“: Journalist und Autor NILS MINKMAR fragt sich, wer eigentlich „die Menschen“ sein sollen. BERNHARD PÖRKSEN, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen, erklärt die Floskel „auf Augenhöhe“.

„Die Menschen“ (Nils Minkmar)

Es scheint nicht ganz geklärt, für wen Politikerinnen und Politiker üblicherweise ihre Arbeit verrichten. Denn immer, wenn jemand etwas besonders Relevantes verkünden möchte, nimmt er Bezug auf die Menschen. Für sie sei Politik da, wird dann voller Rührung über den eigenen Humanismus erklärt, und nicht etwa – tja, das wird dann leider nicht genau ausgeführt. Regieren und entscheiden jene, die sich nicht explizit auf die Menschen beziehen, für Waschbären oder Siamkatzen?

Die Menschen jedenfalls, die spielen eine ganz eigene Rolle in der politischen Rhetorik: Kümmern muss man sich um die, erklären muss man es denen und vor allem denen, die nicht etwa in einem Fernsehstudio wohnen, sondern draußen auf dem Lande. Politik für die Menschen ist nie Rettung der Welt vor Faschismus und Klimawandel, sondern eine niedliche Politik, die in sanften Schritten übersichtliche Maßnahmen vollzieht.

Korrekter wäre es, wenn der Artikel ein Pronomen wäre: wir Menschen. Und beruhigender wäre es auch.

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taz FUTURZWEI N°28: Weiterdenken

Wer ist „Der kleine Mann“, wer sind „Die da oben“, wie geht „Weltretten“, wie ist man „auf Augenhöhe“ mit der „hart arbeitenden Bevölkerung“? Sind das Bullshit-Worte mit denen ein produktives Gespräch verhindert wird?

Über Sprache und Worte, die das Weiterdenken behindert.

U.a. mit Samira El Ouassil, Heike-Melba Fendel, Arno Frank, Dana Giesecke, Claudia Kemfert, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Bernhard Pörksen, Bernhard Pötter, Florian Schroeder, Paulina Unfried, Harald Welzer und Juli Zeh.

Zur neuen Ausgabe

„auf Augenhöhe“ (Bernhard Pörksen)

Es gibt einen Prozess, den der amerikanische Psychologe Nick Haslam mit einem genauen, allerdings schwer übersetzbaren Begriff »concept creep« nennt. Konzepte der klinischen Psychologie dringen, so seine Diagnose, in die Alltagssphäre ein, erweitern hier ihre Bedeutung, bekommen einen anderen Klang, neue Funktionen. Im Falle von »auf Augenhöhe« verhält es sich ein bisschen anders. Hier wird beispielhaft eine spezielle Form von concept creep sichtbar, die längst sehr mächtig ist. Denn diese Redewendung gelangt nicht aus der Wissenschaft in die Lebenswelt, sondern aus der privaten Kommunikation in den öffentlichen Diskurs.

Auf Augenhöhe miteinander reden, bedeutet eigentlich so viel wie: dem anderen mit Respekt begegnen, ihn als gleichwertig und ebenbürtig betrachten. Im Öffentlichen ist diese Formel jedoch zumeist bloße Behauptung und taugt zur unverbindlichen Simulation von Anteilnahme und Dialogbereitschaft.

Meine Diagnose: ein besonders schwerer Fall von Kommunikationskitsch, gepaart mit strategischer Motivation und einer Portion Paternalismus.

Mehr Bullshit-Wort-Tests finden Sie in der neuen taz FUTURZWEI-Ausgabe „Weiterdenken“ und an dieser Stelle auf taz.de.

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