Fankultur beim 1. FC Magdeburg: Hüpfburg an der Elbe

Zehn Jahre gibt es das neue Magdeburger Stadion. Jetzt müssen die Fans ein liebgewonnenes Ritual unterlassen – aus bautechnischen Gründen.

Blick in das Innere des Stadions in Magdeburg

Vibrieren zu sehr: die Tribünen des zehn Jahre alten Fußballstadions in Magdeburg Foto: dpa

MAGDEBURG taz | Einen besonderen Eindruck hinterlassen die Fans des 1. FC Magdeburg. Sie pflegen nämlich in allen Stadien, in denen der Dritt­ligist spielt, ihr Team mit rhythmischen Hüpfeinlagen zu ­supporten.

Pflegten. Denn damit ist es nun erst einmal vorbei. Künftiges Hüpfen könnte zum Einsturz von Tribünenteilen führen. Angesichts dieses fatalen Befundes verzichten die Fans auf die markante Gruppenbewegung.

Am heutigen Montag findet im Magdeburger Rathaus ein Treffen statt, bei dem nach Ideen für die Lösung dieser Stadion-Problematik gesucht wird. Erste Anzeichen für eine außerordentliche Beanspruchung der Betonteile, auf denen die StadiongängerInnen das Geschehen auf dem Rasen verfolgen, gab es bereits kurz nach dem erfolgreichen Aufstieg des 1. FC Magdeburg in die Dritte Liga vergangene Saison.

Seitdem kommen nicht nur viel mehr Leute ins Stadion, sondern auch statische Veränderungen machten sich bei den Verantwortlichen im Verein und bei der Stadt, die die Besitzerin des 30 Millionen Euro teuren Stadions ist, bemerkbar. Die Vibrationen, die durch das massenhafte Hüpfen entstanden, waren von den Tribünen bis zur Trainerbank deutlich zu spüren.

Die Stadt ließ daraufhin die Schwingungen der Tribünen von Experten messen. Die Analysewerte der Ingenieure waren dabei so alarmierend, dass schon eine Vorabfassung des Gutachtens vom beauftragten Ingenieurbüro Baudynamik an die Stadt übermittelt wurde.

Hüpfen überschreitet die sogenannte Panikgrenze

Ausschlaggebend für die große Aufregung der Experten ist dabei die Überschreitung der sogenannten Panikgrenze, die festschreiben soll, ab welcher Intensität einer Vibration ein Mensch das Gefühl hat, fliehen zu müssen. Dieses Gefühl würde ab einer Bewegung der Tribünenteile von mehr als 3 m/s² entstehen.

Alle Tribünen im Magdeburger Stadion – also nicht nur der Bereich, wo sich der aktive Stimmungskern aufhält – sind bei flächendeckenden ­Hüpfeinlagen stark einsturzgefährdet. Praktisch gesehen bedeutet dies das Ende eines großen Alleinstellungsmerkmals der Magdeburger Fankultur: das brachiale, eindrückliche Massen-Hüpfen. Also jenes Element, das die blau-weißen Kicker heim- und auch auswärts durch schwere Spiele begleitete.

Weder Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (früher SPD, jetzt parteilos) noch der Präsident des 1. FC Magdeburg, Peter Fechner, hatten sich wegen drohender Konflikte mit der aktiven Fanszene bislang getraut, ein Hüpfverbot auszusprechen. Nun sagt Trümper: „Im Notfall muss die Polizei geholt werden, die dafür sorgt, dass das Hüpfen aufhört.“ FCM-Sportchef Mario Kallnik hingegen schlug kurz vor dem Derby gegen den Halleschen FC in Magdeburg vor, das Stadion komplett für alle ZuschauerInnen zu sperren.

Drei Tage dauerte das Gerangel zwischen Fans, Stadt und Verein, und die lokalen Medien wie Volksstimme und MDR Sachsen-Anhalt liefen zu Höchstleistungen auf. Gerade einmal 24 Stunden vor dem Heimspiel gegen Halle einigten sich Vertreter der Fanszene zusammen mit den Statikern, Stadt- und Vereinsvertretern auf eine Lösung: Die Fans verzichten bei Heimspielen bis auf Weiteres auf das Hüpfen.

Strategisch gegen den Stillstand

Was wie ein fauler Kompromiss beziehungsweise wie der freiwillige Verzicht auf wichtige Fanrituale erscheint, entpuppte sich schnell als taktisches Mittel der Fans. Gleich beim Spiel gegen Halle machten sie ihre Forderung deutlich: schnellstmöglicher Umbau des Stadions!

Da fanden sich auch einige selbstironische Sprüche („Wer billig baut, baut zweimal. Stadion kaputt, danke Merkel!“), die die Farce um das in nicht einmal zehn Jahren kaputtgehüpfte Stadion deutlich machten. Indem es die Fans sind, die vorerst die Sperrung des gesamten Stadions abwenden, weil und solange sie auf ihre Hüpfeinlagen verzichten und zugleich auf eine Koordination der Gesänge im Stadion verzichten, halten sie den Druck auf Stadt und Verein aufrecht.

Mit Erfolg: Unerwartet unbürokratisch und schnell hat der Stadtrat in Magdeburg noch vor dem Jahreswechsel 300.000 Euro für den Etat 2017 eingeplant. Ein großer Sprung für Magdeburg.

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