Hartz IV als Dauerzustand: Nicht vermittelbar

Der deutsche Arbeitsmarkt boomt, doch für Langzeitarbeitslose stehen die Chancen weiter schlecht. Drei Betroffene erzählen, warum.

Eine Frau, Simona Heidinger

Simona Heidinger hat „multiplen Vermittlungshemmnisse“. Eines davon: ihre Heimat Mecklenburg Foto: Miguel Ferraz

BERLIN/GADEBUSCH/BRAUNSCHWEIG taz | Eigentlich müsste der Arbeitsmarkt offen stehen für Thomas Freising. Der Mann, drahtig, Brille, feines Gesicht, ist Krankenpfleger. Zwölf Jahre lang war er in diesem Beruf tätig, in einer Klinik, im Hospiz, in der Hauskrankenpflege. Eloquent ist er, zugewandt, man redet gerne mit ihm. Examinierter Pfleger – solche Leute werden händeringend gesucht.

Doch Freising, 50 Jahre alt, ist seit zehn Jahren Hartz-IV-Empfänger.

Er gehört zu den Langzeitarbeitslosen, denen es nicht mehr gelingt, aus der Statistik der Arbeitsagentur zu verschwinden, auch wenn die Wirtschaft boomt und allenthalben Fachkräftemangel herrscht. Fast 850.000 Menschen sind es, die in Deutschland schon länger als ein Jahr ohne Job sind. Über 200.000 haben sogar seit mehr als vier Jahren keine Stelle.

Woran das liegt? Manchmal passt der Mensch nicht mehr zum Arbeitsmarkt. Und umgekehrt. „Mismatch“ – „Nichtübereinstimmung“ nennt man das Auseinanderklaffen von Arbeitskräfteangebot und Nachfrage. Die Gründe dafür können in der Person der Arbeitslosen liegen, einerseits. Oder in den Anforderungen der Arbeitgeber, andererseits. Oder manchmal auch in beidem.

Grafik: Infotext Berlin

Man trifft Freising im „Kommrum“ in Berlin, einem Treff für psychisch Erkrankte. Heute gibt es hier ein Frühstück für alle BesucherInnen. Freising hilft mit, es ist ein kleiner Hinzuverdienst. Er kocht Tee und Eier, legt Scheibenkäse auf die Platten, räumt Geschirr ab, setzt sich zu den Gästen. Man spürt, dass Freising eine soziale Ader hat.

Was ist passiert?

„Ich bin ja schon aus einer Lebenskrise heraus in meine Ausbildung gegangen“, erzählt Freising, der in Wirklichkeit anders heißt. Er hatte nach einem Zusammenbruch einige Wochen in einer psychiatrischen Klinik verbracht. 23 Jahre war er da alt. Schon seit seiner Jugend litt er unter Ängsten, konnte manchmal nicht vor die Tür gehen, sich nicht in Gruppen aufhalten. In der Klinik fiel den Pflegern auf, dass er sich viel um Mitpatienten kümmerte. „Man schlug mir vor, doch eine Ausbildung zum Krankenpfleger zu machen“, sagte Freising. Ein krisenfester Job.

Aber auch ein harter Job für jemanden, bei dem eine Angststörung diagnostiziert wurde. Freising schaffte das Examen, fing in einem Krankenhaus an, auf der Station für Innere Medizin und wechselte dann in die Onkologie. Er reduzierte seine Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden, wegen der Belastung. Noch hielt er die Balance zwischen Job und Seele.

An Energie mangelte es ihm nicht. Er machte während des Klinikjobs den Heilpraktikerschein. Nahm Sonderurlaub, um das Fachabitur nachzuholen. Notendurchschnitt 1,4. Er begann schließlich ein Studium der Pflegewissenschaften. Es klappte nicht. Ein Referat zu halten vor 40 Menschen, das sei bei seinen Phobien „einfach nicht möglich gewesen“, erzählt Freising.

Dabei unternahm er einiges gegen seine Ängste, übte Tai Chi, fuhr Rennrad, ging zum Atemtherapeuten, machte ein Redetraining, eine Psychotherapie. Aber der Kampf mit den inneren Dämonen kostet viel Energie. Die dann für den Job nicht mehr zur Verfügung stehen.

Freising ging in die Hauskrankenpflege, erhoffte sich davon Entlastung. Doch auch in der ambulanten Krankenpflege ist das Tempo hoch, Freising hetzte von PatientIn zu PatientIn. „Man ist ziemlich allein in der Hauskrankenpflege“, erzählt er. Es war nicht das Richtige.

Er fing im Lazarus-Hospiz in Berlin an. Dort wohnen Menschen in Grenzbereichen, zuerst gefiel es ihm. Aber irgendwann stellte er fest, „dass ich wuschig wurde“, schildert er die Veränderung. Sein Ordnungssinn ließ zu wünschen übrig. Es kam zu Nachlässigkeiten. Sein Zeitvertrag wurde nicht verlängert. Im nächsten Job, wieder eine Hauskrankenpflege, machte er Fehler, vergaß Patienten. Man kündigte ihm. Ein Hörsturz folgte, dann der Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik. Arbeitslosengeld. Dann Hartz IV.

Sein Leben stand an einem Wendepunkt. „Ich wollte nicht mehr in die Krankenpflege“, sagt Freising. Er hielt sich selbst nicht mehr für zuverlässig genug. Die Sachbearbeiterin im Jobcenter bemühte sich. Es folgten Berufsorientierungskurse, ein Umschulungsversuch zum Fahrradmechaniker, ein Orientierungspraktikum für den Beruf als Erzieher. Die Maßnahmen kamen und gingen, Hartz IV blieb.

Freising mit seiner zerbrechlichen Seele passte nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt, zu den Jobs, die ihm noch offen gestanden hätten. Es war, als wäre eine Verbindung gekappt. Irgendwann kam er ins Kommrum. Da waren Gemeinschaft, Ansprache, ein bisschen Hinzuverdienst. „Hier fühle ich mich zu Hause“, sagt Freising. Es war eine Befreiung, es ist ein Schutzraum, einerseits. Aber man kann es auch als Einbahnstraße betrachten, andererseits. „Viele Menschen mit psychischen Erkrankungen können es einfach nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt schaffen“, sagt Franka Kretteck, Leiterin der Beschäftigungsprojekte im Kommrum.

Wer mit den BesucherInnen im Treff spricht, dem wird klar, dass man diese Hartz-IV-EmpfängerInnen mit „mehr Druck“, wie es manche Politiker fordern, nicht mehr in die Wirtschaft bringt. Denn der Druck war es ja, warum die Leute rausgefallen sind aus ihren Jobs.

Simona Heidinger aus Mecklenburg

Simona Heidinger, 53 Jahre alt, rot gefärbte Haare, schlanke Statur, gesunde Hautfarbe, hat aus ganz anderen Gründen ihre Arbeit verloren. Auch sie bezieht seit vielen Jahren Hartz IV.

Man trifft sie in der Kleiderkammer in Gadebusch, einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern. Sie hat in der sozialen Einrichtung einen Ein-Euro-Job, sortiert gespendete Kleidung, stapelt T-Shirts, beschriftet die Regale. An vier Tagen in der Woche arbeitet sie dort jeweils sieben Stunden lang, freitags außerdem einige Stunden in einer kleinen Wäscherei in der Nähe. Obwohl sie langzeitarbeitslos ist, ist sie also etwa 32 Stunden in der Woche beschäftigt. Mit diesen Hinzuverdiensten und dem Hartz-Regelsatz kommt sie auf 636 Euro plus ihre Warmmiete, Strom muss sie selbst zahlen.

„Es ist traurig, dass man auf Ein-Euro-Jobs zurückgreifen muss“, sagt Heidinger. Ihre Stimme ist rau, manchmal muss sie husten „wegen meiner kaputten Bronchien“, sagt sie. Bei der Frage, wie sie die Beschäftigung in der Kleiderkammer findet, ist sie hin- und hergerissen. Einerseits sei das Miteinander mit den Kollegen gut. Andererseits sagt sie über ihre Tätigkeit: „Man fühlt sich zwischen nutzlos und ausgenutzt.“ Nutzlos, weil sie nichts anderes, keine richtige Arbeit findet. Ausgenutzt, weil sie für jede Stunde Arbeit nur einen Euro erhält. „Obwohl man ja noch den Harz-IV-Satz vom Jobcenter bekommt, bleibt dieses blöde Gefühl während der Arbeit doch immer im Hinterkopf,“ sagt sie.

Simona Heidinger

„Es ist traurig, dass man auf Ein-Euro-Jobs zurückgreifen muss“

Heidinger verbrachte ihre Kindheit in einem Dorf in der Nähe, zwei Kilometer entfernt von der deutsch-deutschen Grenze. Als sie 15 Jahre alt war, zog die Familie nach Gadebusch. Nach der Polytechnischen Oberschule machte Heidinger eine Lehre zur Facharbeiterin für Lederwaren. Nach der Lehre bekam sie einen Sohn und nahm eine Stelle in einer örtlichen Schuhfabrik an. Später leitete sie eine Mitarbeiterkantine in einem Asphaltmischwerk.

Nach der Wende war damit Schluss: Das Mischwerk wurde 1991 geschlossen, ähnlich erging es der Schuhfabrik. Ihre Ausbildung als Facharbeiterin für Lederwaren war nicht mehr gefragt.

Das Arbeitsamt organisierte damals eine Umschulung zur Industriekauffrau, die Heidinger erfolgreich absolvierte. „Aber die war für die Katz“, sagt sie. Erstens, weil es in Mecklenburg-Vorpommern seit der Wende noch weniger Industrie gibt. Und zweitens, weil die Arbeitgeber keine frisch Umgeschulte wollten. „Es hieß immer: nur mit Erfahrung“, sagt Heidinger dazu. „Wie soll ich denn Erfahrung sammeln, wenn ich nirgendwo anfangen darf?“

Also folgten weitere Maßnahmen: Fortbildungen, Arbeitsbeschaffungsprogramme, Ein-Euro-Jobs, gelegentliche befristete Arbeiten von sechs Monaten oder einem Jahr, nie länger. Fragt man sie nach ihrem Wunschberuf, sagt sie: „Verkauf wäre ganz gut.“ Als Industriekauffrau finde sie heute eh nichts mehr, glaubt sie.

Heidinger hat eine resolute Art, sie tritt selbstbewusst und pragmatisch auf. Depressionen sind unter Menschen, die schon so lange arbeitslos sind, weit verbreitet. Heidinger hat es geschafft, stabil zu bleiben.

Warum zieht sie nicht weg aus der Kleinstadt mit ihren 6.000 Einwohnern, in eine Stadt mit mehr Jobs? Beim Interview in der Bäckerei des Ortes geht die Tür auf. Heidinger grüßt die blonde Frau, die hereinkommt, freundlich. „Das ist eine, die beim Jobcenter arbeitet“, erklärt sie. Obwohl sie vor einer halben Stunde zugegeben hat, dass sie den Jobcentermitarbeiterinnen in verzweifelten Momenten manchmal „den Teufel an den Hals wünsche“, sagt sie nun: „Sehr nette Person.“ Dass man sich über den Weg läuft, die Intimität der Kleinstadt, gefällt ihr. „Gadebusch ist noch ein Ort, da grüßt man sich. Man hält auch mal einen kleinen Schwatz“, sagt sie. In einer anonymen Großstadt würde sie es nicht aushalten.

Ihre Verwurzelung in Gadebusch ist aber auch einer der Gründe, warum Heidinger arbeitslos geblieben ist. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Arbeitslosenquote drei Prozentpunkte höher als im Bundesdurchschnitt. Gadebusch gehört nicht zu den besonders abgeschlagenen Regionen, aber für einen Verkaufsjob für Heidinger reicht es trotzdem nicht.

Das liegt auch daran, dass Heidinger in der Sprache des Jobcenters eine „Person mit multiplen Vermittlungshemmnissen“ ist. Ihr Alter von 53 Jahren zählt zu diesen Vermittlungshemmnissen, der Umstand, dass sie aufgrund kranker Bronchien körperlich nur eingeschränkt belastbar ist, und schließlich die Tatsache, dass sie schon seit der Wende ohne Job ist.

„Wenn ich innerhalb eines Jahres vom Jobcenter drei Stellen vorgeschlagen kriege, ist das schon viel“, konstatiert sie. Zuletzt hat sie sich in Eigeninitiative vor vier Wochen beworben, aber wie meist hat sie nicht einmal eine Absage erhalten. „Hier in der Region habe ich alles durch“, ist ihr Fazit.

Für eine Arbeit den Wohnort zu wechseln, kommt für Heidinger aber nicht in Frage. Einmal habe das Jobcenter ihr das vorgeschlagen. Damals war sie noch mit ihrem Partner zusammen, ihr Sohn war klein. Sie hat abgelehnt. Und jetzt, wo sie älter ist, wolle sie erst recht nicht wegziehen. Ihre Eltern wohnen noch im Ort, ihr Sohn und zwei Enkel ebenso.

Und ihren Radius ausweiten, in der weiteren Umgebung suchen? Der Vorsitzende des Jobcenters Nordwestmecklenburg, Martin Greiner, findet, das könne man von jedem erwarten. Hamburg oder Lübeck seien schließlich nicht weit. „Menschen, die mobil sind, sollten derzeit eigentlich keine Probleme haben, etwas zu finden“, sagt er.

Zweieinhalb Stunden Pendelzeit, inklusive Hin- und Rückfahrt, sieht das Jobcenter als „zumutbar“ an. Von Gadebusch nach Hamburg braucht man mit dem Auto 80 Minuten, nach Lübeck 45. Mit dem Zug sind es in beide Orte zwei Stunden. Heidinger hat ein Auto, es ist 16 Jahre alt. Es gibt Leute, die fahren nach Hamburg zum Arbeiten, sagt Greiner, sogar für einen schlecht bezahlten Job. Heidinger würde sich nicht darauf einlassen. „Wenn die jungen Leute das machen wollen, bitte sehr.“

Tülay Canlan aus Braunschweig

Tülay Canlan aus Braunschweig hat weder ein Auto noch einen Ein-Euro-Job. Aber viel Zeit. Die 44-Jährige fährt jeden Morgen mit dem Fahrrad von ihrer Wohnung in den Tagestreff „Iglu“.

Eine Frau, Tülay Canlan

Tülay Canlan in einem Tagestreff in Braunschweig Foto: Marek Kruszewski

Der Tagestreff, der an einer lauten Straße in der Nähe des Busbahnhofs liegt, verfügt über eine große Fensterfront, Licht flutet herein. Die Stimmung ist gelöst. An zwei großen Holztischen sitzen zehn Personen und unterhalten sich, einige ältere Männer spielen Karten. Neben den meisten stehen große Plastiktragetaschen: Dienstags ist Tafel im Iglu, es gibt gespendete Lebensmittel. Canlan kommt für die Tafel und die Gesellschaft in den Treff. Sie begrüßt eine Bekannte mit Küsschen, aber ihre Augen sind müde und gerötet. Sie hat, wie in vielen Nächten, schlecht geschlafen.

Ihren letzten Vollzeitjob hatte sie vor etwa 20 Jahren. Canlan stammt aus Braunschweig und hat dort einen Hauptschulabschluss gemacht. Nachdem sie in ihrer ersten Lehre zur Damenschneiderin die Abschlussprüfung zweimal nicht bestand, fing sie im örtlichen Hotel Mercur eine Lehre zur Hotelkauffrau an, die sie erfolgreich abschloss. Danach wurde sie übernommen. Etwa acht Jahre arbeitete Canlan in dem Hotel. „Ich war fest und sicher und habe mich wohl gefühlt“, sagt sie über diese Zeit.

Dass sie ihren festen Job verlor, hing mit ihrer Ehe zusammen. Ihr Ehemann habe sie geschlagen und vergewaltigt, sagt Canlan. Anzeige bei der Polizei hat sie deshalb bis heute nicht erstattet, aber nach zwei Jahren Ehe brachte sie sich vor ihm in Sicherheit. Sie ging in ein Frauenhaus nach Hannover um „mich vor ihm zu verstecken“, wie sie sagt. In ihren Zwanzigern war sie da, mit den Erinnerungen von damals hat sie heute noch zu kämpfen.

Nach dem Scheidung kam sie nach Braunschweig zurück. „Den Sprung“, wie Canlan es nennt, in ein Leben ohne Hartz IV oder Aufstockung vom Arbeitsamt hat sie nicht mehr geschafft. Ihren Vollzeitjob im Hotel Mercur bekam sie nicht wieder. Kurz vor ihrem Weggang nach Hannover waren ihr Asthma und Rückenprobleme attestiert worden. Sie durfte nicht mehr schwer heben – eine große Einschränkung bei der körperlichen Arbeit im Gastgewerbe.

Später bekam Canlan Diabetes und erlitt zwei Schlaganfälle. Sie kommt manchmal durcheinander beim Erzählen, nennt zum gleichen Ereignis zwei unterschiedliche Jahreszahlen. Seit einem halben Jahr hat sie einen amtlichen Betreuer, der einen Teil ihrer Formalien regelt. Im Moment geht es Canlan psychisch nicht gut. Sie fühlt sich depressiv, ein Psychologe bestätigte dies.

Nach ihrer Rückkehr nach Braunschweig arbeitete sie zumindest am Wochenende einige Stunden als Aushilfe weiter im Mercur, bis sie es wegen ihres Asthmas nicht mehr in der Küche aushielt. Danach folgten Ein-Euro-Jobs, zu Weihnachten Saisonarbeit in einem Kaufhaus. Zwischendurch hat sie als Reinigungskraft in Teilzeit gearbeitet – beim Putzen müsse man wenigstens nicht heben. Lange bleiben konnte sie nirgends.

Damals hatte Canlan Vorstellungen entwickelt, um auf dem Arbeitsmarkt besser dazustehen: Sie wollte den Realschulabschluss an der Abendschule nachholen, eine Ausbildung zur Kosmetikerin oder als Pflegeassistentin machen. Das Jobcenter hat mit Verweis auf ihren Gesundheitszustand und ihre gescheiterte erste Lehre in allen Fällen eine Finanzierung abgelehnt. „Mit dem Jobcenter habe ich immer Probleme“, sagt sie. Mit einigen Arbeitgebern auch. Wenn sie sich ungerecht behandelt fühlt, schaffe sie es nicht „den Mund zu halten“.

Tülay Canlan

„Mit dem Jobcenter habe ich immer Probleme. Wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, schaffe ich es nicht, den Mund zu halten“

Auf ihrer letzten Teilzeitstelle als Reinigungskraft in einem Altenheim wurde sie fristlos gekündigt. Canlan sagt, der Arbeitgeber habe ihr Gehalt nicht bezahlt, auch nachdem sie mehrmals darauf hingewiesen hatte. Weil sie vom Jobcenter nur noch die Aufstockung kam, reichte das Geld nicht mehr. „Aus Protest“ ist sie einen Tag zu Hause geblieben, am nächsten Tag sei sie entlassen worden. Das Gehalt wurde später nachgezahlt.

Vor zwei Wochen bekam Canlan von einem Arzt eine neue „sozialmedizinische gutachtliche Stellungnahme“. Im letzten Gutachten hatte noch gestanden, dass sie „vollschichtig“ arbeitsfähig sei. In diesem heißt es nun, dass sie nur weniger als drei Stunden am Tag arbeiten sollte. Canlan kann nicht nachvollziehen, warum die Ergebnisse der beiden Atteste so weit auseinander liegen. Sie hadert mit ihren Krankheiten und damit, dass ihre Fortbildung deshalb vom Arbeitsamt abgelehnt worden ist.

Wer nicht einmal mehr drei Stunden am Tag arbeiten kann, erhält kein Hartz IV mehr, sondern nur noch die Grundsicherung „bei voller Erwerbsminderung“, wie es heißt. Vermutlich wird Canlan aufgrund ihrer schlechten Gesundheitszustands also demnächst frühverrentet werden. Finanziell würde es keinen wesentlichen Unterschied bedeuten. Aber es würde heißen, dass das Jobcenter nicht mehr für Canlan zuständig ist, eine Schulung irgendeiner Art wäre ausgeschlossen.

In der Statistik der Langzeitarbeitslosen käme Tülay Canlan dann nicht mehr vor.

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