Inklusion am Arbeitsplatz: Zu behindert für den Job?

Können Theater womöglich das leisten, womit der Rest des Arbeitsmarktes noch kämpft? Ein Besuch im inklusiven Theater Thikwa in Berlin.

Tim Petersen, Schauspielveteran am Theater Thikwa, bei der Arbeit Bild: David Baltzer

Von VINCENT BRUCKMANN

Mereika Schulz macht einen Ausfallschritt, breitet die Arme aus und spricht hochkonzentriert den gelernten Text: „Zuerst ist alles dunkel. Wir gehen raus: Spot an, unser Auftritt!“ Mit Moritz Welz, Max Edgar Freitag und Rachel Rosen probt sie für ein Vorsprechen beim Grips-Theater, dem wohl bekanntesten Kinder- und Jugendtheater Deutschlands. Nebenan sitzen andere Beschäftigte der Thikwa-Werkstatt für Menschen mit Behinderung im Improvisationstraining. Das Training ist Teil des Thikwa-Konzepts, das aus zwei Bereichen besteht.

„Im Großen und Ganzen gibt es kein behindert oder nicht behindert. Jeder kann etwas, was der andere nicht kann.“

Rechtlich und finanziell sind sie getrennt, im Tagesablauf jedoch eng verbunden. Die Werkstatt gehört zu einem sozialen Träger. Die Beschäftigten haben Improvisations- und Bewegungstraining, arbeiten aber auch an Holz- und Kunstobjekten, wie in anderen Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Das Theater ist eigenständig, bewirbt sich um Kulturförderung beim Senat und bringt jährlich zwei bis drei Premieren auf die Bühne. Seit den 1990er Jahren wirken dabei in jedem Stück Menschen mit und ohne Behinderung mit. Es sollen „Begegnungen zwischen PerformerInnen, ChoregrafInnen, RegisseurInnen mit und ohne Behinderung geschaffen werden, die etwas Neues entstehen lassen“, beschreibt Nicole Hummel, eine der künstlerischen LeiterInnen, das Arbeitskonzept im Theater Thikwa.

Mehr Freiräume und Zeit

Hat das Theater mit seiner künstlerischen Freiheit womöglich größere Räume für diese inklusive Herangehensweise als andere Bereiche der Arbeitswelt? Gerd Hartmann, auch Teil der künstlerischen Leitung, ist davon fest überzeugt. Er weiß aber auch, dass die SchauspielerInnen bei Thikwa Freiräume und Zeit bekommen, die es in den herkömmlichen Theatern nicht gibt.

Strukturell müsste sich einiges ändern, damit auch an den „normalen“ Häusern Menschen mit Behinderung Fuß fassen können, so Hartmann. Probenzeiten müssten verlängert, Arbeitsprozesse vollkommen umgeworfen werden. Sind herkömmliche Theater dazu bereit? Und, ist die vollständige Inklusion in der Theaterwelt überhaupt erstrebenswert? Bietet das Mischkonzept mit der Behindertenwerkstatt nicht die Umgebung, den Schutzraum, in dem sich die Thikwa-SchauspielerInnen am wohlsten fühlen?

Was heißt „normal“?

Tim Petersen, Schauspiel-Veteran am Theater Thikwa, könnte sich ein Engagement an einem dieser Theater schon vorstellen. Für ihn bedeutet Theaterspielen das „Eintauchen in ein fremdes Leben“. Gerade lief das Stück „miTim“, mit und über ihn selber, das er gemeinsam mit einem weiteren Thikwa-Schauspieler, der Regisseurin und einem Musiker erarbeitet hat. Darin nimmt er die ZuschauerInnen in seinem eigenen Tempo mit auf eine klangvolle Reise durch seine Wahrnehmung der Welt.

➡ Wann? Samstag, 21. April 2018

 

➡ Wo? Haus d. Kulturen d. Welt

John-Foster-Dulles-Allee 10

10557 Berlin

 

➡ Was? Der große taz-Kongress zum Thema Arbeit

 

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Auf die Frage, ob es einen Unterschied mache, ob er mit Menschen mit oder ohne Behinderung zusammenarbeitet, reagiert er irritiert: „Im Großen und Ganzen gibt es ja kein behindert oder nicht behindert. Jeder Mensch kann etwas, was der andere nicht kann.“ Das passt zu den Leitfragen, mit denen das Theater Thikwa und Tim Petersen die ZuschauerInnen schon lange herausfordern: Was heißt hier schon „behindert“? Was heißt „normal“?

Einige Tage nach dem Besuch bei Thikwa gibt es Nachricht von Gerd Hartmann: Das Vorsprechen beim Grips-Theater, auf das sich vier der „Thikwas“ vorbereitet haben, war teilweise erfolgreich. Max Edgar Freitag und Rachel Rosen wird man bald auf der Bühne am Hansaplatz erleben können.

Über Inklusion am Arbeitsplatz diskutieren u. a. Nikole Hummel, Künstlerische Leitung Theater Thikwa, und Auszubildende Nesrin Bektas auf dem taz lab 2018.