Integration von Geflüchteten: Für eine Arbeit arbeiten

Das Programm „Joblinge“ soll junge Geflüchtete mit Schulungen fit für den Arbeitsmarkt machen. Es gibt bereits erste Erfolge.

Eine Frau hält ein Plakat in die Höhe

Lockere Lernatmosphäre: Joblinge bei einem der Kurse in Leipzig Foto: Christoph Scholz

„In Deutschland ist die Nutzung der Sie-Form gesetzlich geregelt, Verstöße werden sanktioniert.“ Kurzes Stutzen, dann Gelächter und die einhellige Antwort: „Falsch!“ So leicht lassen sich die elf Teilnehmer im Kursraum nicht reinlegen. Gerade wertet die Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache (DaF) einen Test aus – Thema: Unternehmenskultur in Deutschland.

Beim Kompass-Programm der gemeinnützigen Joblinge Aktiengesellschaft in Plagwitz gibt es solche Szenen häufiger. Man will dort jungen Geflüchteten den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Der erste Standort öffnete April 2016 in München, im August folgte als dritter Standort Leipzig, aktuell sind es bundesweit acht.

Seit Beginn dabei ist Sebastian Heiland, zuständig für die Mentorenkoordination und einer von sechs Festangestellten. Die kümmern sich um die rund 120 Teilnehmer, die bislang das sechsmonatige Programm absolviert haben oder gerade durchlaufen. Die Zielgruppe ist klar: „18- bis 27-jährige mit solider Bleibeperspektive, meist aus Syrien, Irak, Iran und Eritrea“, so Heiland. Voraussetzung sei ein absolvierter Integrationskurs. Zeugnisse und Zertifikate seien zwar erwünscht, aber kein Muss: „Wir wollen ja auch jene ansprechen, deren Ausgangslage schwieriger ist.“

Es ist Pause im Kurs, alle schlurfen zum Ausgang. Einer von ihnen ist auch Youssef, ein eloquenter 23-Jähriger. Über ein Praktikum bei BMW will er sich für eine Ausbildung empfehlen. Gerade läuft die Bewerbungsphase. In Leipzig wird er auch nach zwei Jahren schwer heimisch und will eigentlich zum Cousin nach Kassel – „hier sind die Deutschen so verschlossen. Dort sind alle Süßkartoffeln!“, sagt er lachend. Während Youssef den Unterricht aufmerksam, aber auch ein bisschen gelangweilt verfolgt, haben andere mehr zu kämpfen.

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„Diese Vielfalt ist gewollt, aber auch eine große Herausforderung“, gibt Hannah Reitz zu. Sie ist zuständig für die Qualität der Lehrinhalte. Dafür gebe es pro Durchgang mit je 20 Teilnehmern auch zwei Kurse. In Leipzig sei man dank einer großzügigen Förderung durch Stadt und Land zudem in der „luxuriösen“ Lage, für die Kurse genügend Sprachlehrkräfte zu haben.

Mentoren für Geflüchtete

Die Teilnehmer werden in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter ausgewählt. Nach einer Inforunde zu einem zweitägigen gemeinnützigen Projekt hat man sich schon ein wenig kennengelernt. „Hier können wir bereits erste Fähigkeiten erkennen und auch schauen, wie motiviert die Kandidaten sind“, verdeutlicht Heiland. Es folgt eine sechswöchige Orientierungsphase mit Intensivsprachkursen und Workshops. Besonders wichtig sei, so Heiland, individuelle Kompetenzen der Joblinge zu erarbeiten und sie auf den Arbeitsmarkt zu orientieren.

Dabei helfen wollen auch Vanessa, Kathrin und Stefan. Sie haben sich die Zeit für eine Mentorenschulung bei Lisa Rasehorn genommen: „Die Mentoren sollen unsere Teilnehmer über das halbe Jahr begleiten. Viele haben kaum Kontakt zu Deutschen, können die Sprache nur wenig üben und fühlen sich ausgegrenzt.“ Leider seien nur schwer Mentoren für alle zu finden, so Rasehorn. „Deshalb rücken wir etwas von unserem klassischen Mentorenprofil mit Berufserfahrung ab und setzen etwa auch auf Studierende.“ Ihre drei Gäste hat sie überzeugt. Die Verlagsangestellte, der freie Kunstdozent und die ehemalige Mitarbeiterin im Bundesamt für Migration bekommen bald ihre Menteés zugewiesen und wollen dann vor allem eines sein – „ein Anker in der Stadt“.

Mentoren sollen die Geflüchteten auch nach der Kursphase noch betreuen

Über einen solchen Anker würde sich auch Mohammad freuen. Er befindet sich gerade in der zehnwöchigen Qualifizierungsphase, die auf die Orientierung folgt. Neben berufsspezifischen Sprachkursen stehen hier vor allem Mathe- und EDV-Nachhilfe und Bewerbungen im Fokus. Gerade jetzt würde er gern mit jemandem über seine Zweifel und Probleme sprechen können – einen Mentor hat er noch nicht. Was ihn dabei besonders stört: „Manche haben Mentoren und nutzen das kaum.“

Dabei steht für den aktuellen Durchgang gerade ein entscheidender Schritt an – bald startet die zehnwöchige Praktikumsphase. Für deren erfolgreichen Verlauf ist Husam Dagher zuständig. Über Partnerunternehmen und Initiativbewerbungen sucht er mit den Teilnehmern passende Stellen. Zum Start im Jahr 2016 sei der Markt noch verschlossen gewesen, mittlerweile würden die Betriebe zunehmend offener, was Dagher auch auf gute Erfahrungen mit den Joblingen zurückführt: „Am Anfang wollten alle helfen, die Strukturen waren aber noch nicht da und es gab auch Enttäuschungen. Dann wurden die Unternehmen vorsichtiger. Mittlerweile ändert sich das.“

Mahmoud, Trainer der Frauenmannschaft

Neben der Kommunikation mit Unternehmen versucht Dagher, mit den Teilnehmern realistische Perspektiven zu finden. Dazu gehöre auch, schwer realisierbare Berufswünsche zu hinterfragen und Alternativen zu suchen. Dabei müsse nicht für jeden eine Ausbildung das Ziel sein. „Manche sind nur sechs Jahre zur Schule gegangen, dann ist der Weg in die Berufsschule oft zu weit. Andere brauchen mehr Zeit, dann kann eine Einstiegsqualifizierung helfen, bei der sie sich über sechs bis zwölf Monate im Betrieb bewähren und dann in eine Ausbildung einsteigen können.“

Doch es gibt auch Musterfälle, zum Beispiel Mahmoud. Der ist nach den Joblingen direkt in die Ausbildung zum Physiotherapeuten gegangen. Zudem spielt er beim Rugby Club Leipzig, trainiert dort sogar die Frauenmannschaft und führt Probetrainings für neue Job­linge durch. Nach wie vor kommt Mahmoud jeden Mittwoch zur ehrenamtlichen Mathenachhilfe. Wöchentlich hat er Kontakt zu seiner Mentorin und zur Ausbildungsbegleiterin Lara Neuhäuser.

„Sehr viel Behördenkrams“, antwortet diese lachend auf die Frage, was sie so mache. Ebenso wichtig sei aber, bei Konflikten am Arbeitsplatz oder privaten Problemen zu helfen: „Ich versuche gleich zu Beginn, eine gute Kommunikation mit den Teilnehmern zu etablieren. Wenn sie mich später bei Problemen als Erstes anrufen, habe ich einiges richtig gemacht.“ Wichtig sei vor allem, nachhaltig zu arbeiten und niemand nach dem Programm alleinzulassen.

Und so versucht jeder, einen Teil dazu beizutragen, Lösungen zu finden. Das klappt nicht immer so gut, wie bei Mahmoud, die Zahlen können sich dennoch sehen lassen: von 70 Absolventen sind sechs in Ausbildung, 18 befinden sich in Einstiegsqualifizierung und 21 haben feste Stellen. Da für viele der jungen Menschen der Schritt von Qualifizierungsmaßnahmen oder einer Arbeitsstelle in eine mögliche Ausbildung noch anstehe, könne man jedoch vorerst keine endgültige Vermittlungsquote berechnen, so Dagher.

Abgesehen von Quoten ist für ihn ohnehin eines besonders wichtig: „Es gibt so viele verschiedene Verläufe, es geht nicht nur um ‚Arbeit oder Nichtarbeit‘.“ Bei den Joblingen scheint man das begriffen zu haben.

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