Naturführer über RWE-Braunkohlegebiet: „Es gibt so viele Baumhäuser wie nie“

RWE hat die Rodungen für den Braunkohleabbau im Hambacher Forst vorläufig gestoppt. Ihn überrasche das nicht, sagt Naturführer Michael Zobel.

Ein Aktivist klettern im Hambacher Forst auf einen Baum

„Ohne uns geht es dem Wald besser“: Die Besetzer*innen wollen nur so lange bleiben, bis die Bagger abziehen Foto: dpa

taz: Herr Zobel, ist der vorläufige Rodungsverzicht für den Hambacher Forst überraschend oder schon ein großer Sieg?

Michael Zobel: Zweimal nein, leider. Großer Sieg geht bei einem Wald, der zu mehr als 90 Prozent längst vernichtet ist, sowieso nicht mehr. Eine kleine Etappe ist es, vielleicht eine sehr wichtige. Und wer in den letzten Wochen ein bisschen an der Stimmung geschnuppert hat, für den ist das auch keine Überraschung.

Es gab schon Hinweise?

Fakt ist, es gibt eine Rodungssaison. Gefällt werden darf generell ab 1. Oktober bis Ende Februar. Bis zu 80 Hektar pro Jahr – das ist genehmigt. Nun ist dieses Mal schon bis zum 20.10., als RWE die Erklärung abgab, nichts passiert. Im Moment spielen mehrere Faktoren eine große Rolle: Etwa der Eilantrag des BUND vor dem Verwaltungsgericht Köln. Der Verhandlungstermin ist kurzfristig vom 17. Oktober auf den 21. November verschoben worden. Das will RWE abwarten.

Und im November ist die Weltklimakonferenz in Bonn.

Es sähe blöd aus, wenn bis zu 30.000 Delegierte über die Zukunft des Weltklimas verhandeln und in 45 Kilometer Luftlinie fallen die Bäume. Die Bilder aus dem Hambacher Forst wären unter Einsatz aller personellen wie technischen Mittel nach Bonn und um die Welt gegangen. Das will auch RWE nicht. Die Lage ist: Wir haben Zeit gewonnen.

Sie sind auch mit RWE selbst in Kontakt?

Ich hatte an RWE und die Politik im September einen Appell geschrieben. Der Antwortbrief von RWE war von grandioser Arroganz, oberlehrerhaft und unverschämt, eines Weltkonzerns schlicht unwürdig. Das schönste Argument war, man müsse schon deshalb weitermachen, damit man mit der abgegrabenen Erde auf der anderen Seite des Tagebaus Bäume pflanzen kann. Das zeigt, wie wenige Argumente noch da sind. Im Brief stand aber auch: „Ein Rodungsstopp würde das baldige Ende des Tagebaus Hambach bedeuten.“ Da hab ich gejubelt. Da sind wir ja einig.

Vom 6. bis 17. November 2017 findet in Bonn die 23. Weltklimakonferenz statt. Weil Braunkohle zu den größten Klimakillern gehört, plant das Bündnis Ende Gelände vom 3. bis 6. November ein Protestcamp für rund 2.000 Teilnehmer_innen. Möglicher Standort: am Tagebau Hambach.

Am Wochenende meldete dpa, die Aachener Polizei erkenne ein solches Camp nicht als Versammlung an und werde es nicht genehmigen. Sie gehe davon aus, dass die Teilnehmenden unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit in die Nähe des Tagebaus gelangen wollten, um Straftaten zu begehen. Allerdings können die Initiator_innen das Camp noch als Veranstaltung anmelden. Dafür ist die Stadt Kerpen zuständig.

Unabhängig davon rufen NGOs wie Greenpeace und Oxfam für den 4. November zu einer Demonstration für die Umsetzung des Weltklimaabkommens in Bonn auf.

Wenn das Gericht den Gegnern recht gibt, können Sie den Satz ja rausholen!

So ist es. Und wir haben Rückenwind, die Stimmung hat sich sehr gewandelt, die Presse ist zu großen Teilen auf unserer Seite, der Druck auf RWE und die Politik ist sehr groß. Während der UN-Klimakonferenz, wenn die ganze Welt 14 Tage lang auf Bonn guckt, werden wir mit vielen Aktionen auf den Irrweg Braunkohle hinweisen. Und ich glaube an die Unabhängigkeit der Justiz. Erstmals geht es jetzt um europäisches Naturschutzrecht. Die Chancen sind nicht so schlecht. Und wenn am 21. November in Köln noch kein Urteil gesprochen wird, gibt es noch mehr Zeit. Ich bin sehr optimistisch: Wenn in diesem Jahr nicht mehr gerodet wird, gibt es dort gar keine Rodungen mehr.

Sie laden seit vier Jahren monatlich zu einem Spaziergang an den Tagebau ein. Wie kommt das an?

42 Führungen waren es bislang, mit über 9.500 Menschen. Vor einer Woche waren es wieder über 300, auch Bundes- und Landtagsabgeordnete von CDU bis Grüne, dazu der Aachener Polizeipräsident. Der hatte selbst die Presse eingeladen. Da hab ich gesagt, das ist’ne Unverfrorenheit, als mein Gast das ungefragt zu machen. Aber dann haben wir die Bühne genutzt. Am Ende sagte er, er appelliere für die Aussetzung der Rodungen. Das rechne ich ihm hoch an, es ist ungewöhnlich, wenn er das als Polizeipräsident ausdrücklich in die Mikrofone spricht. Respekt!

Jahrgang 1959, ist Naturführer und Waldpädagoge im deutsch-belgischen Grenzgebiet und engagiert sich gegen die Rodung.

Wie nehmen die Waldbesetzer den vorläufigen Stopp auf?

Sehr zurückhaltend. Sie bereiten sich weiter darauf vor, Rodungen zu verhindern. Die Stimmung ist phänomenal: Es sind so viele Menschen da wie nie, es gibt so viele Baumhäuser wie nie. Wenn der Wald gerettet ist, gehen alle. Das ist beschlossen. Die sagen, ohne uns geht es dem Wald besser.

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