Präventionsnetzwerk für Pädophile: Praktizierter Kinderschutz

Vor 13 Jahren startete das Projekt „Kein Täter werden“. Die Zwischenbilanz ist positiv. Doch noch gibt es zu wenige speziell ausgebildete TherapeutInnen.

Plakat wirbt für die Präventionskampagne „Kein Täter werden“

Viele Teilnehmer schaffen es, ihr Verhalten langfristig zu kontrollieren Foto: dpa

Ein Mann sitzt im Park, auf dem Smartphone wischt er Bilder von kleinen Mädchen hin und her – in immer schnellerem Rhythmus. Die Tonspur dazu: ein erregter Herzschlag. „Liebe kennt kein Tabu. Diese schon. Sprich über das, was dich anspricht“, sagt eine Hintergrundstimme.

Diese Spots (es gibt auch eine Variante mit kleinen Jungen) werden ab sofort auf YouTube, in Kinos und auf mehreren Fernsehsendern gezeigt. Das Zielpublikum: Männer, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Laut Schätzungen sind das zwischen 250.000 und 1 Million Menschen in Deutschland.

Um diejenigen unter ihnen zu erreichen, die befürchten, ihre Neigung in die Tat umzusetzen, wurde 2005 an der Berliner Charité das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ ins Leben gerufen. Gut 9.500 Menschen dieser sich hauptsächlich im Dunkelfeld bewegenden Bevölkerungsgruppe konnten die Mediziner bislang erreichen, 925 Teilnehmer haben eine Therapie begonnen, 360 erfolgreich abgeschlossen.

Eine Nachuntersuchung von Patienten mit abgeschlossener Behandlung ergab, dass nur einer von 56 Menschen in der Zwischenzeit rückfällig wurde und ein Kind missbrauchte. Der Rest schaffte es, sein Verhalten langfristig zu kontrollieren. So konnten sexuelle Übergriffe an Kindern verhindert werden. Denn normalerweise werden pädosexuelle Sexualstraftäter außerordentlich oft rückfällig.

Von gesetzlichen Krankenkassen anerkannt

„Das ist ein sensationeller Erfolg“, betonte Klaus Beier, Sexualmediziner an der Berliner Charité und Sprecher des Präven­tionsnetzwerks, der am Mittwoch eine Zwischenbilanz der Arbeit zog. Als noch effektiver bewertete er die Arbeit mit Heranwachsenden, die sich unter dem Projektnamen „Du träumst von ihnen“ an Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren wendet. Je früher man ansetze, desto größer sei die Chance, dass der Behandelte künftig ohne den Konsum von Missbrauchsabbildungen auskomme, sagte Tillmann Krüger, Klinischer Psychologe an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Eine erfreuliche Entwicklung für das international einmalige Präventionsprojekt: Seit Anfang 2018 wird die anonyme und kostenlose Therapie von den gesetzlichen Krankenkassen als Gesundheitsleistung anerkannt. Das Modellvorhaben läuft zunächst fünf Jahre, 5 Mil­lio­nen Euro jährlich geben die Kassen dafür aus. Eine 18-monatige Therapie kostet rund 12.000 Euro. „Häufig leiden Betroffene unter sozialer Isolation und psychischen Begleiterkrankungen wie Depression und Angststörungen.“ Die zu therapieren, hel­fe nicht nur den Betroffenen, sondern auch der Gesellschaft, betonte Krüger und ergänzte: „Die Folgekosten für erlittene sexuelle Gewalt sind ungleich höher.“

„Dank des Projekts ‚Kein Täter werden‘ kann heute viel differenzierter, unaufgeregter und offener über Pädophilie geredet werden“, sagte Monika Egli-Alge, Sprecherin des neu gegründeten Netzwerk-Beirats. Noch gebe es aber zu wenige speziell ausgebildete TherapeutInnen. Das Stigma der Pädophilie sei unter KollegInnen fast so ausgeprägt wie in der Normalbevölkerung. „Wir müssen uns immer wieder klar werden, dass das ein gesamtgesellschaftliches Problem und die Arbeit mit Betroffenen in der Konsequenz praktizierter Kinderschutz ist“, so die Psychologin.

Da Pädophilie und Kinderpornografie auch globale Phänomene sind, betreibt das Netzwerk seit 2014 eine englischsprachige Internetplattform, die seit Mittwoch auch auf Deutsch erreichbar ist. Auf troubled-desire.com können sich Betroffene und Interessierte durch verschiedene Diagnose- und Behandlungsmodule klicken. „Anfragen kommen aus mehr als 40 Ländern“, sagt Klaus Beier von der Charité. Besonders groß sei das Interesse in Indien. Eine Sprachversion auf Marathi ist in Arbeit.

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