Umgang mit Gestapo-Gedenkort: Hamburger Dilettantismus

Von der Hamburger Stadthausbrücke aus organisierte die Gestapo den Nazi-Terror. Statt des geplanten Gedenkortes gibt es nun eine Debatte um eine Buchhändlerin.

Ein langer, kahler Gang mit kleinen, hoch gelegenen Fenstern

Dieser Verbindungsgang in den „Stadthöfen“ wurde von ehemaligen Gestapo-Gefangenen als „Seufzergang“ bezeichnet. Um einen Erinnerungsort wird derzeit gerungen Foto: dpa

HAMBURG taz | Wer geglaubt hat, dass um den Gedenkort an der Stadthausbrücke allmählich Ruhe einkehrt, wird dieser Tage eines besseren belehrt: Tatsächlich wird erst jetzt deutlich, wie dilettantisch und fahrlässig von Seiten der Stadt Hamburg vorgegangen wurde.

Es geht um das wuchtige Ensemble an der Stadthausbrücke, das ab 1933 die Leitstelle der Gestapo beherbergte, außerdem die örtliche Kriminalpolizei und schließlich auch Einheiten der Ordnungspolizei. Wer immer in Hamburg, aber auch in Bremen und Schleswig-Holstein gegen das NS-Regime opponierte oder nur dessen verdächtigt wurde, wurde hier verhört, misshandelt und gefoltert.

Im Sommer 2009 verkaufte der damalige Hamburger Senat von Ole von Beust (CDU) das stadteigene Ensemble für 54 Millionen Euro an die ebenfalls in Hamburg sitzende Quantum Immobilien AG. Quantum ließ den Komplex unter dem Motto „Hommage an das Leben“ umbauen, mit Hotel, Wohnungen und derlei Dingen.

Beim Verkauf wurde auch ein Gedenk- und Lernort beschlossen, ohne inhaltliche Konzeption allerdings und ohne die Opferverbände einzubinden. Aus den mal anvisierten 700 Quadratmetern für das Dokumentationszentrum sind nun lediglich 70 Quadratmeter geworden. Und fertig ist selbst diese Mini-Ausstellung noch lange nicht. Die Eröffnung einer Dauerausstellung ist für Mitte 2019 zumindest versprochen. Inhaltlich richten soll diese die KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Für den Konflikt um den angemessenen Umgang mit diesem Ort sorgte dann Anfang des Jahres der schmiedeeiserne Schriftzug „Bienvenue / Moin Moin / Stadthof“ über dem Eingang, der so deutlich an den Schriftzug über dem Eingang zum KZ Auschwitz mit den zynischen Worten „Arbeit macht frei“ erinnerte, dass der Vorgang international Wellen schlug. Quantum ließ den Schriftzug entfernen.

Stepahnie Krawehl, Inhaberin der Buchhandlung in den Stadthöfen

„In Kenntnis dieser für mich neuen Informationen muss ich heute davon ausgehen, dass es auch in meiner Familie treue Mitläufer und Unterstützer der Nazis gab“

Für weiteren Unmut sorgte besonders unter vielen Angehörigen ehemaliger Opfer der Nationalsozialisten, dass sich der kleinen Ausstellungsfläche ein Café und eine Buchhandlung anschließen: Kaffee trinken, Kuchen essen und den neuen Frank-Schätzing-Roman kaufen – an einem Schreckensort?

Doch die für die Buchhandlung gewonnene Buchhändlerin Stephanie Krawehl konnte mit einer Art indirekter Legitimation aufwarten: Ihre Großmutter, ließ sie die zum Teil aufgebrachte Öffentlichkeit wissen, sei damals selbst zu Verhören in die Stadthausbrücke vorgeladen worden. Und es fiel der heute wenigstens unglücklicher Satz: „Meine Großmutter wäre stolz, dass dieser Ort hier entsteht.“

Auch wenn Krawehl immer wieder betonte, selbst nie mit ihrer 1912 in Uruguay geborenen Großmutter über die damaligen Verhöre gesprochen und davon über das familiäre Hören-Sagen erfahren zu haben, der gewünschte Effekt stellte sich trotzdem ein: Wirft es nicht ein positives Licht auf den Gedenkort Stadthausbrücke, wenn hier eine Buchhandlung von einer Frau geführt wird, in deren eigener Familie es offenbar einen Akt der Verfolgung gab? In Momenten der Erregung, der Empörung und der robusten Rechtfertigung kann sich schließlich das Vage und Unklare, auf das man so unbedingt hören sollte, kaum noch Gehör verschaffen.

Bestürzendes Rechercheergebnis

Heute stellt sich nun vieles anders dar. Denn der Förderkreis Stadthaus, der sich dafür einsetzt, dass die Gedenkarbeit an der Stadthausbrücke grundsätzlich neu verhandelt wird, hat sich die einsehbaren Akten der Großeltern von Stephanie Krawehl vorgenommen. Und hat recherchiert, dass beide Großeltern Mitglieder der NSDAP waren, jeweils ab 1937.

Großmutter Krawehl wurde zudem 1938 Mitglied in der NS-Frauenschaft. Und ein Detail, das alle Beteiligten zumindest hätte irritieren müssen, ruft danach, beleuchtet zu werden: Die Krawehls kamen 1939 von Uruguay aus, wo sie sich in der dortigen deutschen Community kennengelernt hatten, nach Hamburg. Als also alle, die vom Regime bedroht waren und die den nächsten Krieg aufziehen sahen, verzweifelt versuchten, Nazi-Deutschland zu verlassen, kehrten die Großeltern Krawehl heim ins Reich.

Zusammenbrechende Gewissheiten

In einer persönlichen Erklärung versucht Stephanie Krawehl nun ihrer Bestürzung Ausdruck zu verleihen. Sie schreibt: „In Kenntnis dieser für mich neuen Informationen muss ich heute davon ausgehen, dass es auch in meiner Familie treue Mitläufer und Unterstützer der Nazis gab. Das löst Störgefühle bei mir aus, die ich in Bezug auf meine Großeltern bislang nicht kannte.“ Und: „Da ich aus meinem bisherigen Bild meiner Großmutter keinen Hehl gemacht habe, habe ich mich entschlossen, nun auch diese konträren neuen Einblicke zu teilen. Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, ich wolle meiner Großmutter eine Opferrolle zuschreiben.“

So sind wir nun mitten in den Verstrickungen der Enkelgenerationen mit ihren Großeltern angekommen und können zusehen, wie schnell es gehen kann, dass stilisierte Gewissheiten in Windeseile zusammenbrechen. Es ist auch ein mehr als warnender Hinweis, Gedenkarbeit ließ sich mal eben nebenbei erledigen, während links und rechts hochpreisige Gewerbeflächen bezogen werden.

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