Umstrittene Reform in Brandenburg: Die Nerven liegen blank

Brandenburgs rot-rote Landesregierung hat sich mit ihrer Kreisreform in eine Sackgasse manövriert. Ein Volksbegehren könnte den Druck noch erhöhen.

Kein Herzensprojekt für viele Brandenburger. Foto: dpa

Am Ende wird alles gut. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) wird am 9. November bei den Märchentagen in der Märchenvilla in Eberswalde vorlesen. Was genau, will er noch nicht verraten. Klar ist aber: Für Woidke dürfte die Märchenstunde derzeit einer der angenehmeren Termine sein. In seinem Hauptberuf lief es für ihn zuletzt alles andere als märchenhaft: Die Kritik am zentralen politischen Projekt der Legislaturperiode – der Kreisreform – reißt nicht ab. Bei der Bundestagswahl fuhren seine Genossen des schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung ein und nun gibt es sogar Abweichler in den eigenen Reihen. Wenn es so weitergeht, könnte Woidke bald viel Zeit zum Vorlesen haben.

Bisher wollte die Landesregierung das Reformprojekt trotz aller Kritik durchziehen. Doch in der SPD mehren sich die Stimmen, die für die unpopuläre Reform nicht die eigene Macht­basis riskieren wollen. 2019 steht die nächste Landtagswahl an. Vorher wollte die Koalition das Thema vom Tisch haben. Am 15. November soll der Landtag über das Gesetz abstimmen.

Auf einer Fraktionsklausur der Sozialdemokraten kam es nun kürzlich zum Krach. Bei einer Probeabstimmung soll es mehrere Enthaltungen gegeben haben. Angesichts der dünnen Mehrheit der rot-roten Koalition im Landtag von nur sechs Stimmen könnte dies die Reform scheitern lassen. Woidke soll ein Machtwort gesprochen, seine Genossen gewarnt haben, dass eine Abstimmungsniederlage „Konsequenzen“ hätte und möglicherweise Neuwahlen die Folge wären. Das wurde auch als implizite Rücktrittsdrohung interpretiert.

Im Nachgang versuchte Woid­ke den Streit herunterzuspielen. „Ich habe nicht mit Rücktritt gedroht. Ich habe das Wort nicht in den Mund genommen“, sagte er den Potsdamer Neuesten Nachrichten. Es sei aber klar, dass das zentrale Vorhaben der Regierung, über sieben Jahre vorbereitet, eine eigene Mehrheit brauche. Das sei auch „keine Drohung, sondern eine Feststellung“.

Druck durch Volksbegehren

Woidkes Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Von den Abweichlern blieb nur noch die Cottbusser Landtagsabgeordnete Kerstin Kircheis standhaft. Bei den Linken wird bislang eine Enthaltung erwartet: die des Frankfurter Abgeordneten und dortigen Oberbürgermeisterkandidaten René Wilke.

Ausgestanden ist die Sache aber noch lange nicht – selbst wenn Woidke die Kreisgebietsreform durch den Landtag bringt. Seit Ende August läuft das Volksbegehren gegen das Vorhaben. 80.000 Unterschriften sind nötig. Das scheint vorstellbar, schließlich hatte die Initiative „Bürgernahes Brandenburg“, angeführt vom früheren Prignitzer CDU-Landrat Hans Lange, schon in der ersten Runde, der Volksinitiative, mehr als 120.000 Unterschriften gesammelt. Diesmal darf zwar nicht auf der Straße gesammelt werden, aber falls zwei Drittel davon wieder unterschreiben, kommt das Thema erneut in den Landtag. Der politische Druck wäre enorm. Sollte Rot-Rot sich stur stellen und das Volksbegehren abschmettern, folgt automatisch ein Volksentscheid. Im Jahr vor der Landtagswahl würde eine Niederlage wahrscheinlich die Regierung zu Fall bringen.

Selbst für inhaltliche Konzessionen geht Rot-Rot die Verhandlungsmasse aus. Denn gestartet war das Projekt nach der Empfehlung einer Enquetekommission mit einem Modell mit 8 statt wie bislang 14 Landkreisen. Im ersten Entwurf der Regierungsvorlage im vergangenen Jahr waren es dann 10 Landkreise und Potsdam als einzige kreisfreie Stadt. Die bisher kreisfreien Städte Brandenburg/Havel, Frankfurt und Cottbus sollten mit den Umlandkreisen fusionieren. Nach heftiger Kritik an einem riesigen Lausitzkreis wurden es dann 11 Landkreise plus Potsdam.

Fazit: Die Landesregierung hat sich mit dem Projekt in eine Situation manövriert, in der sie viel verlieren und kaum etwas gewinnen kann. Eine Abstimmungsniederlage im Landtag oder ein erfolgreicher Volksentscheid würden wohl ihr Ende bedeuten. Bringt sie die Reform gegen alle Widerstände durch, ist damit auch kein Blumentopf zu gewinnen. Dass die Reform angesichts der schrumpfenden Bevölkerungszahl in den Berlin fernen Gebieten durchaus ihren Anlass hat, ist eben ein eher abstraktes Thema.

Das weiß man auch in Potsdam und reagiert: Rot-Rot dreht den Geldhahn auf. 200 Millionen Euro hat Finanzminister Christan Görke (Linke) versprochen – allein in einem Nachtragshaushalt für 2018. Mehr Geld soll demnach etwa in die Verkehrsinfrastruktur fließen: Landesstraßen und Brücken könnten saniert werden. Kommunen bekämen Mittel für neue Busse und Straßenbahnen. Auch der Einstieg in die Beitragsfreiheit für das letzte Kitajahr ab Herbst 2018 soll mit dem Nachtragsetat abgesichert werden. Breitbandausbau und Geld für Freie Schulen sowie Feuerwehr und Sport zählen zu den weiteren Schwerpunkten. Vielleicht überzeugt das ja.

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