Herzklopfen beim Kindabholen?: Es gilt die Raben­muttervermutung

Äußert sich eine Mutter kritisch zur Elternschaft, wird an der Liebe zu ihren Kindern gezweifelt. Sie soll still die Härten ertragen – so wie früher.

Kita-Umkleide

Schön und süß aber für Eltern Alltag: die Kita-Umkleide

Eine Mutter von zwei Kindern, der ich auf Instagram folge, hat mal geschrieben, dass sie täglich Herzklopfen kriegt vor lauter Vorfreude, wenn sie ihr großes Kind von der Kita abholt. Instagram ist keine reale Welt. Dennoch hab ich mich schlecht gefühlt, als ich das gelesen habe. Denn mit Herzklopfen kann ich nicht dienen. Wenn ich die Abholsituationen der letzten Monate Revue passieren lasse, erinnere ich mich lediglich an den ein oder anderen Asthmaanfall, ausgelöst durch das Gehetze in der sommerlichen Hitze und Blütenstaub. Atemnot wird aber nicht mit Mutterliebe assoziiert.

Nein, Herzklopfen habe ich nicht, wenn ich die Kinder aus der Kita abhole. Sobald ich das schreibe, muss ich zwingend auch schreiben, dass ich meine Kinder dennoch liebe. Eine Mutter muss das ständig wiederholen. Wie oft sie es dem Kind sagt, ist den meisten Leuten total egal – nur der Gesellschaft muss sie es regelmäßig sagen. Sonst wird sie verdächtigt, eine schlechte Mutter zu sein.

Es braucht diese performative Liebesbekundung, denn es wird nie von einer guten Mutter ausgegangen. Es gilt die Rabenmuttervermutung. Vor allem wenn man auch noch Kritik übt an den Zuständen, die man zu seinen Kindern dazubekommt. Schlechtere Berufschancen, schlechtere Bezahlung, wenig Betreuungsangebot, keine mentale Gesundheitsvorsorge, kein Schutz vor Armut und unfassbar viele Stunden Gratisarbeit. Die einzige Gratismentalität übrigens, die keinen FDP-Politiker auf den Plan holt.

Es ist ein vollkommen fremdbestimmtes Leben, das einen erwartet. Davon hat man vor seiner Elternschaft oft keine Ahnung, weil auch die Generation davor von der Rabenmuttervermutung wusste und meistens geschwiegen hat. Viele blicken heute verklärt auf frühere Generationen. Sie preisen die Härte der Mütter damals und nennen die Eltern von heute verweichlicht. Wobei sie total außer Acht lassen, wie viele diese Jahre zwischen Medikamenten, Kettenrauchen oder Alkohol verbracht haben.

Gleichzeitigkeiten existieren

Vor einigen Tagen wurde auf Twitter eine Mutter dafür kritisiert, dass sie sinngemäß gesagt haben soll: Hätte sie gewusst, wie schwer es ist, hätte sie keine Kinder bekommen. Diese Aussage könne ihre Kinder verletzen, wurde kritisiert. Einige merkten an, dass die Mutter das in einem größeren Kontext gesagt hatte und angab, mit ihren Kindern über diese Belastung zu sprechen. Dennoch war es bemerkenswert, wie viele Leute von der Mutter erwarteten, ihre Unzufriedenheit still zu ertragen. Wie sie als lieblos dargestellt wurde.

Natürlich kann man aber diese Zustände hassen und gleichzeitig seine Kinder lieben. So wie man seine Arbeitsstelle unerträglich finden kann, obwohl man seinen Beruf liebt. Das Internet ist nicht der Ort für Gleichzeitigkeiten. Dennoch sollte man nie vergessen, dass sie existieren. Und dass Mütter Menschen sind, keine sich aufopfernden Wesen ohne eigene Bedürfnisse oder Gefühle.

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Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

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