Eine Sekretärin in rotem Kostüm kraxelt mit Absatzschuhen die Palme hoch

Malerin Rajkamal Kahlon übt in der Kunsthalle Wien dekoloniale Bildkritik und holt uns mit einem Schmunzeln in die postmigrantische Gegenwart

„You’ve Come a Long Way, Baby!“ von Rajkamal Kahlon, 2011 Foto: Foto: Courtesy die Künstlerin

Von Leonie Huber

Am 5. Februar 1872 setzt der Brite Lord Mayo, damals Generalgouverneur von Indien, Kurs auf die Andamanen. Miserable Lebensumstände und Aufstände auf der Inselkette im Golf von Bengalen, die eine Strafkolonie für Verurteilte des indischen Subkontinents war, brachten die britische Regierung in Bedrängnis. Drei Tage später wird er am Hafen der Südinsel ermordet. Ein Bild in „Castell’s Illustrated History of India“ von 1875 illustriert das Attentat: Im Hintergrund die königliche Fregatte, im Vordergrund Lord Mayo, als er von seinem mit Muskeln bepackten und einem Turban bekleideten Angreifer niedergestochen wird.

Malerin Rajkamal Kahlon greift in der Kunsthalle Wien ein in diese Illustration britischer Kolonialgeschichte, mit irritierendem Leichtmut. Sie legt das Bild hinter einen rosa Vorhang, lässt Bluttropfen wie Bonbons vom Himmel fallen, legt die Gewaltszene vor einen zuckerwattig-süßen, pinkfarbenen Grund. Kahlon malt direkt auf die Buchseiten, die sie aus einer bei Sotheby’s ersteigerten Ausgabe von „Castell’s Illustrated History of India“ herausgelöst hat. Ein unbequemer Kontrast entsteht zwischen der Farbenfreude und dem düsteren Motiv.

Historische Zeugnisse europäischer Kolonialherrschaft bilden buchstäblich den Hintergrund für Rajkamal Kahlons Malerei. In ihrer Einzelausstellung in der Kunsthalle Wien zeigt die in Berlin lebende Künstlerin, Jahrgang 1974, Arbeiten der letzten 20 Jahre. Kahlon beginnt dafür meist in Antiquariaten und Archiven, wo sie Bücher wie „Die Völker dieser Erde“ von 1902 ausfindig macht. Diese kolonialistischen Artefakte nimmt sie mit einer feinen, äußerst präzisen Malkunst auseinander – ohne Scheu vor einem juvenilen Humor. Erigierte Glieder mokieren sich über die Porträts von Offizieren und Entdeckern. Menschen, die ursprünglich als ethnografische Studienobjekte entblößt dargestellt wurden, kleidet Kahlon wieder an, gibt ihnen ein enges Top mit flashy Muster oder ein Shirt der Thrash-Metal-Band Slayer. Einen geflochtenen Haarzopf frisiert Kahlon zum Emo-Schnitt, die Abbildung einer indigenen Frau wirkt plötzlich wie der Schnappschuss von einem gelangweilten Teenager.

Kahlons subversive Eingriffe kehren nicht nur die Machtverhältnisse im Bild um, machen menschliche Objekte zu Subjekten, sie holen uns auch mit einem veristischen Schmunzeln in eine postmigrantische Gegenwart. Das ist erfrischend in einer Ausstellung, die sich mit dem europäischen Kolonialismus auseinandersetzt und aufzeigt, wie dieser in den Bildern weiter fortlebt. Kahlon beschränkt sich nicht auf die Anklage. Sie, geboren in Kalifornien als Tochter indischer Einwander*innen, überblendet die schwierigen Bildzeugnisse der Geschichte mit einer ästhetischen Form des Widerstands, mit einem Wir.

„Which Side Are You On?“ ist daher der Titel der Ausstellung. Florence Reece hatte 1931 den gleichnamigen Protestong für die US-amerikanische Ar­bei­te­r*in­nen­be­we­gung geschrieben. Kahlon stellte für die Wiener Schau eine Playlist zusammen, die Reeces Song und andere Protestlieder mit indischer Gebetsmusik verbindet.

An den hohen Wänden der Kunsthalle Wien drohen Rajkamal Kahlons Malereien im zumeist kleinen Format der Buchseiten unterzugehen. Daher bevölkern lebensgroße Figuren auf bemalten Holz die Räume. Die Cut-outs sind Kahlons Neuinterpretation populärer Motive aus der europäischen Malerei, ebenso wie die kolonialer Fotografien. Da kraxelt nun eine Sekretärin in rotem Kostümchen mit Absatzschuhen die Wand hoch, die originale Abbildung hatte einmal „die einheimische Art des Kletterns auf Kakaopalmen in Ceylon“ illustriert.

Der Titel „Which Side Are You On?“ könnte derzeit übrigens nicht passender sein für wohl eines der letzten Projekte in der Kunsthalle unter der Leitung von What, How & For Whom / WHW. Ihr Vertrag wird nach zwei Jahren nicht verlängert. In Wien wird seither von allen Seiten über das Für und Wider dieser kulturpolitische Entscheidung diskutiert.

Rajkamal Kahlon: „Which Side Are You On“, Kunsthalle Wien, bis 9. April