Ulrike Demmer neue Intendantin des RBB: Pleiten, Pech und Pannen

Nach den Skandalen um Patricia Schlesinger hat der RBB eine neue Chefin gesucht. Gefunden hat er Ulrike Demmer – nicht ohne Chaos.

Ulrike Demmer, eine Frau mit schulterlangen, dunklen Haaren lächelt. Sie trägt ein schwarzes Oberteil und eine dunkle, große Brille.

Neue RBB-Intendantin: Ulrike Demmer Foto: Fabian Sommer/dpa

BERLIN taz | Es sind nur wenige Sekunden. Aber die haben es in sich. Kurz vorm dritten Wahlgang, nach mehr als zwei Stunden Stille, läuft im Live-Stream: Für die In­ten­dan­t*in­nen­stel­le steht jetzt offenbar nur noch eine Kandidatin zur Wahl. Die Digitalisierungs-Managerin Heide Baumann, frühere Führungskraft bei Vodafone Deutschland, ist zurückgetreten. „Gehen wir in einen dritten Wahlgang?“, fragt eine Männerstimme, dann bricht der Ton wieder ab. Diese Info, die ganze Wahl, hätte nicht öffentlich sein dürfen. Ist das ganze eine peinliche Panne oder eine bewusste Aktion, um endlich mal wieder Informationen durchsickern zu lassen? Das bleibt unklar. Ja, wir befinden uns beim RBB. Mit Krisen und Pannen kennt man sich da momentan leider gut aus.

Klar ist dann, wer gewählt wurde: die letzte Verbliebene, Ulrike Demmer, ehemalige stellvertretende Sprecherin der Regierung Merkel. Sie bekam letztlich die notwendige Zweidrittelmehrheit. Ihre Nähe zur Politik? Die scheint wohl egal zu sein.

Für die Wahl zuständig sind die 30 Personen, die im Rundfunkrat sitzen. 15 Menschen brauchte es für die Beschlussfähigkeit, 24 waren am Freitag um 14.00 Uhr in Potsdam bei der außerordentlichen Sitzung des Rundfunkrates anwesend. Auch dabei war unter anderem die Interims-Intendantin Katrin Vernau. Die Frau also, die den Scherbenhaufen RBB im Herbst 2022 anschaute und sich dachte: Kann man doch noch was draus machen! Dann kandidierte sie aber doch nicht, um nach Ablauf des Einjahresjobs noch zu bleiben.

Bewerbungstumult: Erst vier, dann zwei

Direkt zu Beginn des Treffens am Freitag, als die ersten Regularien geklärt waren, wies RBB-Rundfunkratschef Oliver Bürgel auf das Chaos hin, das in den vergangenen Tagen den RBB und die Öffentlichkeit beschäftigten: das Hin und Her beim Bewerbungsprozess. Aus den 50 Bewerbungen um den Posten der*s In­ten­dan­t*in waren ursprünglich vier ausgewählt worden, als Bürgel die Veranstaltung und den öffentlichen Teil der Live-Übertragung eröffnete, waren es nur noch zwei. Die anderen beiden stiegen in den Tagen zuvor aus. Und einige Stunden nach Beginn der Veranstaltung – vor allem im nichtöffentlichen Kämmerchen – war dann nur noch eine übrig: Ulrike Demmer hatte den längsten Atem.

Vom letzten Rückzug wusste Bürgel jedoch noch nichts, als er zu Beginn der Sitzung erzählte, er habe sich überlegt: „Was ist, wenn wir heute nicht wählen?“ Man hätte neu ausschreiben müssen. Aber wer würde sich dann dieser Verantwortung stellen?

Dieses Chaos, auf das Bürgel anspricht, schadet dem RBB. Der ist ohnehin nicht nur durch die Vorwürfe gegen Patricia Schlesinger und Wolf-Dieter Wolf angekratzt, sondern auch durch die aktuelle Stimmung gegen Medien, insbesondere den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Statt die Konsequenzen zu erklären, man starte den Prozess doch von Neuem, um möglichst viel Glaubwürdigkeit zu erhalten, stellte Bürgel allerdings fest: „Der Wahlkampf ist beendet.“ Damit könne die Wahl am Freitag auch stattfinden. Man solle sie „fair, anständig“ durchführen und „mit viel Respekt“. Es sei nun an der Zeit, eine Intendantin zu wählen, mit der der Aufbruch und die Transformation gelinge. Den Bewerbungsprozess zu evaluieren und zu hinterfragen, das steht hinten an. So viel wird klar.

Das sahen jedoch nicht alle so. Ein Anwesender meldet sich mit einem weiteren Anliegen: Es solle vor der Wahl eine Aussprache über den „Stand des Verfahrens“ geben – also eine Diskussion darüber, wie es sein konnte, dass zwei von vier Kan­di­da­t*in­nen kurz vor der Wahl das Handtuch geworfen hatten. Der Mann erreichte immerhin die notwendigen Stimmen, um diese Debatte auf die Tagesordnung zu setzen, wenngleich sie, ebenso wie die Wahlen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden.

Für Demmer ist der RBB unverzichtbar

Vor der geheimen, aber langen Diskussion und Wahl dürfen sich die Kan­di­da­t*in­nen aber dann doch vorstellen. Eine halbe bis drei Minuten Zeit gibt ihnen der Rundfunkrat, um sich selbst bestmöglich im Blitzlicht zu präsentieren. Und das tun sie: Beide mit zitternder Stimme, aber klaren Worten. Demmer macht den Anfang und beginnt mit dem, was den RBB seit den Vorwürfen unter anderem um Vetternwirtschaft im Sommer 2022 so sehr beschäftigte. Sie bedauert, „dass sich in der Krisenzeit niemand mit einem breiten Kreuz vor den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den RBB“ gestellt hat.

Danach lobt sie ausschweifend die ARD und insbesondere den RBB für deren Programm und stellt klar: „Der RBB ist für mich unverzichtbar.“ Das bleibt Demmer zufolge auch nur so, wenn der Sender weiterhin Qualität liefert. Sie wolle gemeinsam mit den Mitarbeitenden und den unterschiedlichen Gremien und Räten für eine Zukunft arbeiten, in der die Mitarbeitenden für genau diese Qualität sorgen können. Ihre Ansage: Schwierig, aber jetzt, mit mir in eurem Team wird das wieder. Den Merkel-Satz „Wir schaffen das“ verkneift sich Demmer.

Baumann hingegen argumentiert komplexer, unterstreicht ihre eigenen Qualifikationen, indem sie die Anforderungen, um der „großen Verantwortung“ Intendanz nachzukommen in drei Punkte gliedert. Zum einen blickt sie auf das „hervorragende Programm für alle“ im Sendegebiet und erwähnte dabei ihr Lieblingsthema, die Digitalisierung. In diesem Prozess steckt auch der RBB. „In dieser komplexen Welt kenne ich mich aus“, sagt Baumann, die auch als Gastprofessorin an der Technischen Universität in Berlin war. Ihr Schwerpunkt: Technologie-und Innovationsmanagement.

Danach schwenkt sie über auf eines der größten Probleme, mit dem sich der RBB auseinandersetzen muss: Verlorenes Vertrauen. Um dieses bei Belegschaft und Publikum zurückzugewinnen, brauche es Transparenz und diesbezüglich bringe sie Erfahrung durch ihre Arbeit bei Vodafone mit. Erst am Ende kommt sie auf die „Frau von Außen“ zu sprechen, die sie für manche tatsächlich ist. Baumann rechtfertigt sich durch eine Aufzählung ihrer unterschiedlichen Stationen bei Medienunternehmen, ihre Arbeit als Freie Journalistin und ihre „Passion für Medienjournalismus und Qualitätsinhalte“. Ihr Status als Neue sei eine Chance und ein Signal für einen Neustart mit Respekt und Vertrauen. Trotzdem scheidet sie dann aus. Bis Redaktionsschluss blieb unklar weshalb.

Rückzug aus vielerlei Gründen

Unter den Leuten, die zurückziehen, ist Baumann in guter Gesellschaft. Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales bei ARD-aktuell („Tagesschau“, „Tagesthemen“), die einzige Shortlist-Kandidatin mit Ostbezug, schied nur drei Tage vor der Wahl aus. Auf der Plattform Linkedin schrieb sie am Dienstagabend, sie wolle den Weg freimachen für „eine Kandidatin oder einen Kandidaten, deren oder dessen Angebot besser zu dieser aktuellen Situation passt“. Wen sie damit meint, ist nicht klar. Dass sie jedoch selbst diese Person nicht sein wird, begründet sie damit, dass der „Kern“ ihres Angebots die digitale Transformation des Journalismus sei, sie aber in Gesprächen in den Tagen vor ihrem Rückzug den Eindruck gewonnen habe, dass für viele Menschen im RBB andere Fragen wichtiger seien.

Dazu gehört auch: „Wie bleibt am ehesten alles so, wie es ist?“ Zwischen den Zeilen ist dies als heftiger Vorwurf zu werten: Der RBB will keine Zukunft, sondern in der Vergangenheit bleiben.

Ein weiterer Bewerber trat hingegen offensichtlich wegen der Zukunftsperspektive zurück: Jan Weyrauch. Erst entschied sich die Findungskommission dafür, den gebürtigen Berliner und Programmdirektor von Radio Bremen, einen Vertreter der klassischen öffentlich-rechtlichen Hierarchie, auf die Shortlist zu setzen. Aber bei der Präsentation jener Liste fehlte sein Name. Somit stand er auch nicht zur Wahl. Der Grund: Die Gehaltsvorstellungen stimmten nicht so sehr überein. Die Sparmaßnahmen, die der RBB erfüllen muss, werden sich auch auf der Führungsebene widerspiegeln. Nach Protest stand er dann wieder auf der Liste, aber dann – ganz spontan – sagte er am Donnerstagabend wieder ab.

Ein Rückzug aus bisher unbekannten Gründen. Einer wegen Geld. Einer wegen starrer Ideen. Gewonnen hat dann eine Frau, die früher Journalistin war, für den Spiegel, den Focus, das ZDF-Morgenmagazin, bevor sie Leiterin des Hauptstadtbüros vom Redaktions-Netzwerks Deutschland wurde – und dann Sprecherin der Bundesregierung.

Wie das zusammengehen soll, eine Ex-Regierungssprecherin und der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der sich ohnehin immer wieder als Staatsmedium, „eliten“- und politikgesteuert diffamiert sieht, muss Demmer jetzt zeigen. Mehr als 3.000 Mitarbeitende hat sie, sie erbt ein riesiges Finanzloch, weil sie beim jährlichen Budget von 450 Millionen Euro bis Ende 2023 ganze 49 Millionen einsparen muss. Und ganz viel Aufmerksamkeit während ihrer fünfjährigen Amtszeit.

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