Zukunft des Kirchenasyls: Schrumpfende Spielräume

In NRW hat die Polizei ein irakisches Paar aus dem Kirchenasyl geholt. Neue EU-Regeln schränken diese letzte Zuflucht künftig noch stärker ein.

Eine Uhr und ein Kreuz über einer Holztür

Szenen in einem Amtsgericht Foto: Daniel Vogl/picture alliance

Just in jener Woche, in der Teile der Union laut über ein Ende des individuellen Rechts auf Asyl nachdenken, holt die Polizei in NRW ein kurdisches Paar aus einer Kirche, in der es Zuflucht gefunden hatte. Es soll nach Polen abgeschoben werden – wo ihm erneut die Abschiebung droht.

Kirche und Staat hatten sich lange darauf geeinigt, dass das Kirchenasyl als Ultima Ratio für Härtefälle respektiert wird. Seit Jahren gibt es dazu eine formelle Vereinbarung, die das Nähere regelt. Doch der dahinterstehende Konsens bröckelt immer weiter. Zu sehen war das unter anderem an der Serie von Kriminalisierungsversuchen gegen Geistliche in den vergangenen Jahren, die teils bis zu fünf Strafverfahren laufen hatten, weil ihre Gemeinden Kirchenasyl gewährten.

Faktisch steht das Kirchenasyl fast nur noch sogenannten Dublin-Fällen offen, die in einen anderen EU-Staat abgeschoben werden sollen, in Deutschland aber Aussicht auf Anerkennung hätten.

Schon bisher sind diese Geflüchteten darauf angewiesen, eine Gemeinde zu finden, die für mindestens sechs Monate bereit ist, die Verantwortung für sie zu übernehmen. Und das heißt, neben Alltäglichem wie Einkaufen vor allem auch den zwischenmenschlichen Kontakt aufrecht zu erhalten. Ohne diesen können für die oft stark vorbelasteten Geflüchteten sechs Monate sehr lang werden. Erstaunlich genug, dass sich dafür immer wieder viele Engagierte in den Gemeinden finden – selbst wenn ihnen dafür juristischer Ärger droht.

Künftig dürften es deutlich weniger Engagierte sein. Denn die derzeit auf EU-Ebene verhandelten Änderungen beim sogenannten Dublin-System laufen darauf hinaus, dass die EU-Staaten künftig 24 statt 6 Monate Zeit haben, die sogenannten Dublin-Fälle zurückzuschicken. Das ist ein Zeitraum, den nur die wenigsten Härtefälle und Kirchengemeinden durchstehen können.

Die bisher verbleibende Möglichkeit, Menschen wie dem kurdischen Paar eine letzte Zuflucht zu bieten, mögliche Fehlentscheidungen der Asylbehörden zu korrigieren – sie schrumpft rasend schnell.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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