Klimaschutz in Schleswig-Holstein: Halbwegs auf grünem Kurs

Bis 2040 will das Land klimaneutral werden. Ausgerechnet drei CO2-intensive Bereiche tun sich schwer: Landwirtschaft, Verkehr und Gebäude.

Eine neue Solaranlage neben Feldern und der Autobahn bei Neumünster

Eine neue Solaranlage neben Feldern und der Autobahn bei Neumünster Foto: Christian Charisius/dpa

RENDSBURG taz | Kühe auf grünen Wiesen, einsame Gehöfte, idyllische Straßen – was klingt wie die Werbung der Tourismuszentrale, ist durch die Klimaschutz-Brille betrachtet ein Problem: Landwirtschaft, Gebäude und Verkehr sind in Schleswig-Holstein die größten Treibhausgas-Produzenten. Dieses Problem muss die Landesregierung lösen, denn „wir wollen Schleswig-Holstein zum ersten klimaneutralen Industrieland machen“. Mit diesem Versprechen ist die schwarz-grüne Koalition vor einem Jahr angetreten.

Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) legt damit mehr Tempo vor als die Bundesregierung, die Deutschland bis 2045 Treib­hausgas-neutral machen will. Schleswig-Holstein soll dieses Ziel bis 2040 erreichen. Für das „Klimaschutzprogramm 2030“ haben nun alle Ministerien Pläne vorgelegt, wie sie für ihren Sektor die Weichen stellen wollen. Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) spricht von einem „neuen Kapitel in der Klimapolitik“. Doch gerade die CDU-geführten Ministerien sind zögerlich mit konkreten Vorschlägen.

Beispiel Landwirtschaft: So hat das Land bundesweit die höchste „Rinderdichte“ pro Fläche, das Methan aus den Mägen der Tiere entspricht drei Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Im Vergleich zum Bundesschnitt leben mehr Menschen in Ein- und Zweifamilienhäusern, und es wird weiter gebaut – das bedeutet Bodenverbrauch, schlechtere Energiebilanz und Probleme beim Aufbau von Fernwärmenetzen.

Beispiel Verkehr: Die kleinteilige Struktur des Flächenlandes, deren Hauptverkehrsachsen von Nord nach Süd verlaufen, lässt für viele Menschen das eigene Auto alternativlos erscheinen, und E-Wagen konnten sich bisher kaum durchsetzen. Im Jahr 2020 lag der Anteil der Stromer bei 0,01 Prozent, der Anteil der Dieselfahrzeuge bei 64,5 Prozent. Autos und Lastwagen tragen damit zu 96 Prozent zum Treibhausgas-Ausstoß im Verkehrssektor bei.

Energie und Industrie halbwegs auf Kurs

Jeder der drei Bereiche Landwirtschaft, Gebäude und Verkehr stößt zurzeit rund fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr aus. Knapp darunter liegt die Energiewirtschaft mit zurzeit 4,7 und die Industrie mit 3,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Insgesamt bläst Schleswig-Holstein pro Jahr rund 24 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre. Damit steht die Region zwischen Nord- und Ostsee zwar im Vergleich der Bundesländer recht gut da – unter anderem, weil ein großer Teil des Stroms durch Windkraft produziert wird –, aber der CO2-Fußabdruck der knapp drei Millionen Schleswig-Holsteiner*innen ist dennoch um ein Mehrfaches zu groß.

Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müssen die Werte in allen Bereichen sinken: „Das ist verpflichtend, kein ergebnisoffener Konsultationsprozess“, sagt Umwelt- und Energiewendeminister Goldschmidt. Jedes Ministerium trage Verantwortung für sein Ressort, mit klaren Zielvorgaben.

Halbwegs auf Kurs sind die Bereiche Energie und Industrie, die das Umwelt- und Energiewendeministerium selbst verantwortet: Kraftwerke, die heute noch mit Kohle laufen, müssen sich mittelfristig umstellen, Wind- und Solarkraftanlagen werden weiter ausgebaut. Davon profitiert der Industriesektor, der bisher vergleichsweise klein ist, der aber, Stichwort Industrieland, wachsen soll. Der bisher größte Coup der Regierung ist das Abkommen mit dem schwedischen Unternehmen North­volt, das bei Heide eine Giga-Fabrik für E-Auto-Batterien bauen und dabei den grünen Strom nutzen will, den Schleswig-Holstein produziert.

Schwieriger sieht es bei den Klima-Sorgenkindern Landwirtschaft, Gebäude und Verkehr aus. Der ehemalige Bauernpräsident und heutige Landwirtschaftsminister Werner Schwarz (CDU) möchte am liebsten die Treibhausgase aus Kuhmägen und Schweineställen mit der positiven Bilanz aus Mooren oder Naturschutzgebieten gegenrechnen – das passt nur nicht zur Methodik des Programms, die verlangt, dass jeder Sektor sein Ziel eigenständig erreicht.

Effizientere Landwirtschaft

Aber Schwarz will nicht weniger, sondern effizientere Landwirtschaft, etwa durch eine intensive Bewirtschaftung von Grünland und industrielle „Futterergänzungsmittel“, durch die Kühe weniger Methan produzieren. Weniger Tierhaltung sieht Schwarz kritisch: Dann würden Ver­brau­che­r*in­nen ausländische Produkte mit vielleicht noch schlechterer CO2-Bilanz kaufen. Damit die Betriebe klimafreundlicher wirtschaften, wünscht sich das Ministerium Fördergelder von der EU, dem Bund und dem Land, etwa für die Bewirtschaftung nasser Moorflächen oder für den Bau von Photovoltaikanlagen.

Der für Gebäude zuständige Staatssekretär im Innenministerium, Jörg Sibbel, tut sich schwer, auch nur ein „Zielszenario“ zu erstellen: „Wesentliche Entscheidungen im Gebäudebereich werden auf Bundesebene getroffen“, heißt es im Maßnahmenplan, der weitgehend im Konjunktiv geschrieben ist. Geschätzt werden pro Jahr rund 35.000 fossil betriebene Heizungen durch klimafreundliche Alternativen ersetzt, damit könnten bis 2040 alle Öl- und Gasheizungen verschwunden sein – eine wirklich nachhaltige Lösung sei aber „weitaus komplexer“. Es brauche mehr Fachkräfte, mehr neue Häuser und Hilfen für die Sanierung älterer Immobilien, die die schlechteste Energiebilanz haben – wie genau das passieren soll, bleibt offen.

Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (parteilos) hofft unter anderem auf eine positive Wirkung der Querung über den Fehmarnbelt – dabei lehnen die Grünen ebenso wie viele Naturschutzgruppen die feste Querung ab, weil sie mehr Auto- und Lastverkehr bringen könnte. Darüber hinaus setzt das Verkehrsministerium auf mehr E-Ladesäulen, Schienen- und Radverkehr, ohne allerdings genaue Zahlen vorzulegen. Einen Vorstoß für ein Tempolimit auf Autobahnen – laut Studien ein einfaches Mittel, um CO2 einzusparen – wird es von Schleswig-Holstein aus nicht geben. Bei der Landtagssitzung im Juli hatten beide Regierungsfraktionen gegen einen entsprechenden Antrag der Minderheitenpartei SSW gestimmt.

Umweltminister Goldschmidt freute sich dennoch über die „sehr gute Arbeit“ der Ka­bi­netts­kol­le­g*in­nen und sah das Land auf einem guten Weg. Im kommenden Jahr soll sich ein ausgeloster „Bürgerrat“ mit den Themen befassen, ein zweiter Entwurf des Plans soll im Sommer 2024 vorliegen und kurz danach verabschiedet werden.

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