Begegnung in den Bergen: Ein Butterbrot braucht Nähe

Es ist schwierig, ein von fremden Leuten geschmiertes Brot anzunehmen – vielleicht, weil es so etwas Persönliches ist.

Ein Butterbrot mit Messer drauf

Hat was Verbindliches: selbst geschmiertes Butterbrot Foto: Jens Büttner/dpa

Berge und Brot. Berge und Hunger. Wenn ich an den letzten Berg vor Italien denke, sehe ich das Butterbrot vor mir. Graubrot mit Käse, darauf Salatblätter. Der Mann lächelte und streckte er es mir entgegen: „Willst du eins? Wir haben genug.“

Ich schüttelte den Kopf. Wir waren nach einem Gang über Schnee gerade endlich an der Hütte angelangt. Wir hatten uns schon Essen vorgestellt, vielleicht einen Kaiserschmarrn, eine Brotzeit, eine Belohnung für den Aufstieg. Doch die Hütte war ganz unerwartet geschlossen.

Davor auf einer Bank saß dieses Paar, was uns schon seit Tagen immer wieder begegnet war auf unserer Wanderung. Ich war mit einer guten Freundin seit drei Tagen auf der Route der Alpenüberquerung von Österreich nach Südtirol unterwegs. Jetzt passierten wir die Bergkuppe. Vor uns lag Südtirol. Wir hatten eine Vesper hier in dieser Hütte vor dem Abstieg eingeplant. Wir hatten etwas Hunger, doch noch keinen großen, weil wir gut gefrühstückt hatten.

Das Paar, das mit den Butterbroten vor der verschlossenen Hütte saß, war uns schon in den Pensionen zuvor begegnet, in denen wir übernachtet hatten. Sie wirkten nett und wie frisch verliebt. Sie hätten drei Kinder, die nun erwachsen seien, erzählten sie mit leuchtenden Augen. Sie würden das Reisen zu zweit nun noch einmal neu entdecken. Sie wirkten auch fröhlich, als sie auf der Bank vor der verschlossenen Hütte saßen, auf dem Schoß in Tupperdosen die liebevoll belegten Butterbrote.

Der Hunger nahm zu

„Die haben wir uns heute morgen beim Frühstück in der Pension geschmiert“, sagten sie. „Wir haben da gar nicht daran gedacht, uns noch welche zu machen“, antworteten wir. „Wir sind da ganz schamlos“, sie zwinkerten uns zu. „Hier, wollt ihr wirklich keins?“ Sie zeigten wieder auf ihre belegten Brote. Sie sahen appetitlich aus, doch aus einem bestimmten Grund zögerte ich: „Danke, wir haben noch Müsliriegel“, sagten wir.

Ich weiß gar nicht, woran es lag, dass wir das Brot nicht annahmen. Wir kannten sie doch. Vielleicht waren wir zu höflich und wollten ihnen ihr Essen auf dem Berg nicht wegnehmen. Vielleicht stellten wir uns den Abstieg auch nicht so lange vor. Als wir dann den Berg hinunterliefen, wurde die Landschaft um uns üppiger, mediterraner.

Wir tranken frisches Quellwasser. Es war wunderschön, so zu laufen. Doch unser Hunger nahm zu. Der Weg bis zu unserer nächsten Unterkunft zog sich in die Länge. „Wir hätten doch die Butterbrote annehmen sollen“, sagte meine Freundin.

Ich dachte daran zurück, wie der Mann uns das schön belegte Brot gereicht hatte. Dass es uns Kraft gegeben hätte für den Abstieg. Was hatte uns zögern lassen? Vielleicht waren wir den beiden doch nicht nah genug gewesen.

Ein Butterbrot zu essen, bindet einen an die Person, die es belegt hat

Es hat etwas eigentümlich Persönliches, ein Butterbrot gemacht zu bekommen. Ein Butterbrot zu essen, bindet einen an die Person, die es belegt hat. Es besteht ein riesiger Unterschied zwischen einem belegten Brot beim Bäcker in der Auslagetheke und dem Butterbrot, das einem die Mutter schmiert, der Vater, der Partner oder die Partnerin.

In einem Butterbrot steckt eine besondere Zuneigung und eine persönliche Handschrift. Es schmeckt anders und es erzählt etwas über die Person, die es gemacht hat. Es zu essen, bedeutet auch, sich mit diesem Menschen zu verbinden.

Während wir weiterwanderten, dachte ich an die vielen Butterbrote, die mir in meinem Leben schon geschmiert worden waren. Als Kind, als Erwachsene. Dass ich die Menschen, die mir wichtig sind, auch immer mit einem Butterbrot in Verbindung bringen kann. Und ich dachte an die Brote, die ich schon für andere geschmiert hatte, dass es schön ist, so etwas geben zu können.

Schade, dass wir diesen letzten Schritt auf das Paar zu nicht gemacht hatten. Nicht nur wegen unseres Hungers, auch weil so vielleicht noch etwas Neues zwischen uns entstanden wäre. Warum fällt es manchmal so schwer, ein Geschenk anzunehmen? Als wir abends endlich unser Ziel erreichten, schmeckte das Abendessen wie eine Offenbarung. Am nächsten Morgen, beim Frühstück, schmierten wir uns Brote.

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Christa Pfafferott schreibt die Kolumne "Zwischen Menschen" für die taz. Sie wurde zum Dr. phil. in art. an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg promoviert. Sie hat zuvor Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und die Henri-Nannen-Journalistenschule absolviert. Sie lebt als Autorin und Regisseurin in Hamburg.

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