Einigung bei Kindergrundsicherung: Kleinste gemeinsame Sicherung

Nach zähem Ringen hat sich die Ampelkoalition auf die Kindergrundsicherung geeinigt. Sozialverbände zeigen sich vom Ergebnis enttäuscht.

Linder und Paus schauen sich an

Am Ende zumindest ein Kompromiss: Finanzminister Lindner und Familienministerin Paus am Montag Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Nach monatelangen Verhandlungen hat sich die Bundesregierung doch noch verständigt: Die Kindergrundsicherung kommt. 2,4 Mil­liar­den Euro sind dafür im nächsten Haushalt vorgesehen. Das ist deutlich weniger Geld als die 12 Mil­liarden Euro, die Bundesfamilien­ministerin Lisa Paus (Grüne) ursprünglich angemeldet hatte. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hingegen kann zufrieden sein. Er nannte als haus­hälterischen „Merkposten“ für die Kindergrundsicherung im Vorfeld 2 Milliarden Euro.

„Nach Jahrzehnten ist es diese Bundesregierung, die eine Antwort auf Kinderarmut gefunden hat“, sagte Paus dennoch am Montagmittag in der Bundespressekonferenz. „Es ist kein Geheimnis, dass ich im Einklang mit vielen Wissenschaftlern einen noch größeren Schritt erhofft hätte. Die Kindergrund­sicherung ist eine kluge Investition in die Zukunft unseres Landes. Deswegen bin ich mit der Einigung zufrieden. Wir haben die Ampel endlich auf Grün gestellt.“

„Ich bin heute auch zufrieden. Ich glaube, es ist ein gutes Ergebnis“, so Christian Lindner. „Die Gespräche habe ich als konstruktiv empfunden. Die haben sich aus der Komplexität der Materie ergeben und nicht aus Kontroversen.“ Sozialminister Hubertus Heil (SPD) sagte zur Einigung: „Es haben die Kinder in Deutschland gewonnen, es ist ein großer Fortschritt erwirkt worden.“

Mit der Kindergrundsicherung will die Ampel Leistungen bündeln und Bürokratie abbauen, ab dem 1. Januar 2025 soll sie in Kraft treten. Dafür ist ein Grundbetrag vorgesehen, das heutige Kindergeld. Sowie ein Zusatzbetrag, den Menschen beantragen können, die Kinderzuschlag, Kinderfreibetrag und Bürgergeld bekommen. Darüber sollen Berechtigte künftig informiert werden. Eigentlich war auch vorgesehen, dass das Bildungs- und Teilhabepaket von 15 Euro mit in die Kindergrundsicherung fließt. Damit werden etwa Vereinsgebühren für Sportkurse und Musik­unterricht übernommen. Diese sollen jedoch weiterhin einzeln beantragt werden.

Lindner will fördern und fordern

Die 2,4 Milliarden Euro werden für die Zusammenführung der Leistungen in Anspruch genommen werden. Zudem sieht die Koalition vor, dass Alleinerziehenden in Sozialhilfe und Bürgergeld weniger Unterhaltsvorschuss angerechnet wird. Bislang wird dieser immer angerechnet, künftig sollen es nur noch 45 bei niedrigen Einkommen bis 75 Prozent bei hohen Einkommen sein. Dies gilt allerdings nur bedingungslos, solange das Kind noch nicht in die Schule geht. Danach müssen Alleinerziehende mindestens 600 Euro im Monat Einkommen vorweisen. Mini­jobs gelten nicht. „Mir war wichtig, dass wir das Prinzip Fördern und Fordern erhalten bleibt“, sagte Lindner in der Bundespressekonferenz.

Das Statistische Bundesamt rechnet zurzeit das soziokulturelle Existenzminimum neu aus. „Kinder, die im Kinderzuschlag sind, werden dadurch von höheren Regelsätzen profitieren“, so Paus. Dabei geht die Koalition davon aus, dass zunächst etwa 47 bis 48 Prozent der Leistungsberechtigten den Zusatzbetrag beanspruchen.

Laut Paus könnte es bis 2028 zu einer Steigerung von 10 Prozent pro Jahr kommen, das wäre ein Posten von 6 Milliarden Euro im Haushalt.

Dass die Koalition sich überhaupt auf die Kindergrundsicherung einigen würde, war wohl zwischenzeitlich ungewiss: „Es war tatsächlich so, dass es ein hartes Ringen um die Kindergrundsicherung gab und sie zwischenzeitlich auch auf der Kippe stand. Letztlich sind aber alle Beteiligten mit dem gefundenden Kompromiss zufrieden“, erfuhr die taz aus Regierungskreisen.

Enttäuschung auch bei den Grünen

„Es ist kein Geheimnis, dass wir uns als Bündnisgrüne eine stärkere Leistungsanhebung gewünscht hätten“, heißt es in einem Presse­statement der Grünen-Bundestagsfraktion. „Im parlamentarischen Verfahren werden wir nun sorgsam um wichtige Detailfragen ringen.“

In der Grünen Jugend reagiert man mit Kritik auf die Einigung: „Nein, diese Kindergrundsicherung holt viele Kinder nicht aus der Armut“, schrieb die Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich auf X, vormals Twitter. Auch Heidi Reichinnek, familienpolitische Sprecherin der Linkspartei, zeigt sich enttäuscht: „Mit dem heutigen Tag ist klar: Es gibt nicht einmal eine Kindergrundsicherung light, sondern maximal eine Verwaltungsreform“, so Reichinnek zur taz. „Keine nennenswerten Leistungserhöhungen und als Zielvorgabe für 2025 nicht einmal eine um 10 Prozentpunkte verbesserte Ausschöpfung beim Kinderzuschlag. So lässt sich Kinderarmut nicht bekämpfen.“

Silvia Breher, familienpolitische Sprecherin der CDU, bemängelt die Eckpunkte der Koalition als „Mogelpackung“: „Das Papier und die vorgestellten Eckwerte bleiben vage“, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP.

Kinderschutzbund-­Präsidentin Sabine Andresen ist ebenfalls enttäuscht: „Das ist keine Kindergrundsicherung“, so Andresen in einem Pressestatement. „Im weiteren Prozess werden wir sehr genau beobachten, dass die Bundesregierung zumindest ihr Versprechen hält, einzelne Kinder nicht schlechter zu stellen als vor der Reform.“ Die Diakonie Deutschland begrüßt, dass mit der Auflösung der politischen Blockade „erste Schritte zur Kindergrundsicherung möglich werden. Allerdings erfolgt entgegen den Ankündigungen im Koalitionsvertrag keine systematische Überprüfung des Existenzminimums“, so eine Sprecherin der Dia­konie zur taz.

Auch Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband kritsiert die Berechnung des Existenzminimums als unzureichend: „Die ­Regelsätze sind nach Berechnungen des Paritätischen Gesamtverbandes derzeit um 44 Prozent zu niedrig, um das Existenzminimum sicherzustellen. Sollten arme ­Kinder am Ende nicht mehr Geld bekommen, bleiben sie arme Kinder. Genau das aber ist zu befürchten.“

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