Wie umgehen mit Bettwanzen?: Konfrontation mit mir selbst

Unsere Autorin hatte eigentlich den Anspruch, keine Speziesistin zu sein. Dann kamen die Bettwanzen.

Eine Bettwanze.

Eine Bettwanze auf dem Weg zu einer Sexparty Foto: imago

Ich liebe Tiere. Eigentlich alle. Denn ich habe den Anspruch an mich selbst, keine Speziesistin zu sein, also etwa die süßen Tiere den vermeintlich ekligen vorzuziehen, einem Waschbärbaby eine größere Daseinsberechtigung beizumessen als einer Ratte oder allgemein jenen, die den Menschen als Quälgeister gelten, Stechmücken, Wespen – oder Bettwanzen.

Letztere sorgen aktuell in Frankreich für Panik. Laut einer Studie sollen 11 Prozent aller französischen Haushalte betroffen sein. Auch in Berlin warnte jüngst im Tagesspiegel ein Kammerjäger vor der Ausbreitung der Zivilisationsfolger. Und ja, Bettwanzen sind eine logistische Herausforderung, sie wieder loszuwerden ist teuer und aufwändig. Vor allem aber zwingen sie uns zu einer schonungslosen Auseinandersetzung mit uns selbst. Ich habe es selbst erfahren.

Alles fing an mit einem Streit darüber, wer gepupst hat. Das war vor etwa fünf Jahren. Wir waren gerade ins Bett gegangen, plötzlich roch es seltsam, ein bisschen metallisch. Komischer Pups. Egal, wir schliefen trotzdem ein. Einige Wochen später fanden wir uns morgens im Wohnzimmer vor dem Laptop wieder, das Schlafzimmer hatten wir fluchtartig verlassen, die Tür krachend zugeschlagen. Der eine untersuchte die juckende gerötete Haut, die andere las auf tierenzyklopaedie.de: „Das Paarungsverhalten der Bettwanzen ist recht einfach und erfolgt meist zur Nachtzeit. Das Weibchen lockt das Männchen mit einem Duftstoff an.“ Dabei kriecht das Männchen an das Weibchen heran und begattet es, indem es einfach die Körperwand durchbohrt.

Der Pups war gar kein Pups gewesen, sondern ein Lockmittel, um direkt unter uns vermutlich noch in derselben Nacht eine wilde Sexparty zu feiern! Die Zeichen waren unverkennbar, die Nachkommen dieser Wanzen-Party waren unter uns. Etwa ein bis zwölf Eier legt ein Weibchen täglich, sieben Tage später schlüpfen die Larven, fünf Wochen später feiern diese als junge Erwachsene die nächste Sexparty.

Nachdem wir ein wenig Mut gefasst hatten, stellten wir im Schlafzimmer weitere Nachforschungen an. Und plötzlich sahen wir sie überall: kleine schwarze Punkte, Wanzenkacke, auf den Fußleisten, an der Tapete, hinter dem Bilderrahmen, an den Steckdosen, pfui bah.

Ich muss zugeben: Das mit dem Alle-Tiere-lieben-Wollen hat im Fall der Bettwanzen nicht ganz geklappt

In den folgenden Wochen focht ich mit meinem besseren Ich einen erbitterten Kampf aus. Da war die Nora mit dem anerzogenen Ekel vor allem, was kreucht und fleucht und krabbelt und saugt, die am liebsten das ganze Schlafzimmer auseinandergenommen hätte, um voller Genugtuung jede Wanze eigenhändig mit der Giftsprühdose zu erledigen. Und da war die friedvolle, vernünftige, harmoniesüchtige Nora, die Gewalt gegenüber jeglichen Lebewesen verurteilt und Ekel nicht mehr zeitgemäß findet, ommm …

Ich erinnere mich noch lebhaft an einen Sonntagmorgen. Ich bin gerade aufgewacht, setze mich langsam auf und schlage die Bettdecke zurück, da kommt sie auf mich zugerast auf ihren kurzen Beinchen, wie eine Kamikaze-Wanze, die schreit: „Neiiin, nicht aufstehen, ich will noch mal ran!“ In nackter Panik spreche ich der Wanze binnen einer Millisekunde ihre Daseinsberechtigung ab und lösche sie aus, zermalme sie in der Falte des Bettbezugs zwischen Daumen und Zeigefinger, mit ungeahnter Energie.

Als ich mich beruhigt habe, versuche ich, mildere Gedanken zuzulassen: Die Wanze wollte doch nur ein zweites Frühstück einnehmen. Oder einen letzten Snack vorm Schlafengehen. Das kennst du doch auch, Nora, wenn du von einer durchzechten Nacht nach Hause kommst und noch ein Käsebrot essen musst, bevor du ins Bett gehst.

Irgendwann waren die Wanzen und ich per Du. Das ganz bestimmt. Sie haben mir meinen eigenen ansozialisierten Speziesismus vor Augen geführt und mich dazu gebracht, ihn zu hinterfragen, immer wieder, dafür bin ich ihnen dankbar.

Trotzdem mussten sie sterben und diese Erde verlassen, die ich mir doch eigentlich so gern mit ihnen geteilt hätte. Eigentlich. Denn ja, ich muss zugeben, dass das mit dem Alle-Tiere-lieben-Wollen im Fall der Bettwanzen nicht ganz geklappt hat. Aber lieben ist ein starkes Wort, und es ist wie mit den Menschen: Die einen lassen sich eben leichter lieben als die anderen.

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Redakteurin und Reporterin für die wochentaz. Jahrgang 1988, Studium der Sozial- und Kulturanthropologie, Ausbildung an der Reportageschule Zeitenspiegel. Im Ressort der wochentaz zuständig für lange Lesestücke zu Gesellschaft und Politik.

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