Leistungen für Geflüchtete: Existenzminimum muss gedeckt sein

Die FDP-Minister Lindner und Buschmann wollen durch Leistungskürzungen Pull-Faktoren mindern. Dabei geraten sie an verfassungsrechtliche Grenzen.

Touristen laufen mit Rollkoffern auf einen Zug der Deutschen Bahn am Gleis zu.

Lindner und Buschmann wollen Geflüchteten bei Dublin-Fällen nur noch das Ticket zur Ausreise zahlen Foto: Philip Dulian/dpa

FREIBURG taz | Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann (beide FDP) wollen Sozialleistungen für Asylsuchende absenken oder ganz streichen. Dies dürfte zumindest teilweise gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoßen.

Lindner und Buschmann gehen in einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag davon aus, dass es aus rechtlichen und faktischen Gründen in der Regel nicht gelingt, ausreisepflichtige Aus­län­de­r:in­nen abzuschieben. Deshalb müsse verhindert werden, dass sie überhaupt nach Deutschland kommen. Hierzu wollen sie finanzielle „Pull-Faktoren“ reduzieren, die Deutschland vermeintlich attraktiv machen.

So sollen bei der Berechnung des Existenzminimums Kosten für Festnetzanschlüsse, Kulturveranstaltungen und Zeitungen nicht mehr berücksichtigt werden. Leistungen sollen nur noch per elektronischer Bezahlkarte ausbezahlt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil von 2012 und einem Beschluss von 2021 dazu Vorgaben gemacht. Danach darf das Leistungsniveau für Asylsuchende nicht unter das Existenzminimum abgesenkt werden, um Mi­gran­t:in­nen und Flüchtlinge abzuschrecken, nach Deutschland zu kommen. „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“, entschied das Gericht.

Keine Differenzierung

Allerdings hat der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Existenzminimums. Darauf berufen sich die FDP-Minister. Sie wollen das Existenzminimum nicht unterschreiten, sondern nur ausgestalten. Das ist nicht per se verboten. So kann der Gesetzgeber laut Bundesverfassungsgericht frei entscheiden, ob er Bargeld, Gutscheine oder Sachleistungen auszahlt und ob er die Höhe der Leistungen nach einem Warenkorb oder anders berechnet.

Beachten muss der Gesetzgeber aber, dass das Existenzminimum „einheitlich“ gewährt werden muss. Eine Differenzierung nach körperlichen Bedürfnissen (Essen, Unterkunft, Hygiene) und sozialer Teilhabe (Telefon, Kultur, Medien) ist nicht möglich. Das haben Lindner und Buschmann bei ihrem Kürzungsvorschlag wohl übersehen. Zwar darf der Gesetzgeber bei einem „kurzzeitigen“ Aufenthalt von anderen Bedarfen ausgehen als bei einem längeren Aufenthalt. Allerdings wollen die Minister die Absenkungen gerade nicht auf eine kurze Ankunftssituation beschränken, sondern sogar zeitlich ausweiten.

Außerdem schlagen Buschmann und Lindner vor, Flüchtlingen nur noch eine Fahrkarte zu bezahlen, wenn ein anderes Land nach den Dublin-Regeln für die Asylprüfung zuständig ist. Hier geht es nicht mehr um die Reduzierung von Pull-Faktoren, sondern um Druck auf Ausreisepflichtige.

Im Asylbewerberleistungsgesetz gibt es schon seit 1998 Vorschriften, die eine Absenkung der Leistungen auf das „unabweisbar Gebotene“ vorsehen, wenn Ausreisepflichtig die Abschiebung gezielt vereiteln. Das Bundessozialgericht (BSG) hielt den entsprechenden Paragrafen 1a in einem Urteil von 2017 für verfassungskonform. Die Gewährung des vollen Existenzminimums dürfe an die Einhaltung gesetzlicher Mitwirkungspflichten gebunden werden. Es ging dabei um einen Mann aus Kamerun, der bereits seit 2003 ausreisepflichtig ist, die Abschiebung aber durch mangelnde Kooperation bei der Identitätsfeststellung verhinderte.

„Noch“ keine Verletzung der Menschenwürde

Gegen das BSG-Urteil erhob der Kameruner Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht in einer kaum bekannten Entscheidung von 2021 abgelehnt hat. Anders als das BSG stellte es nicht darauf ab, dass der Mann die Absenkung der Leistungen selbst vermeiden könnte, indem er kooperiert.

Vielmehr stellten die Rich­te­r:in­nen fest, dass die Beschränkung auf das „unabweisbar Gebotene“ die Menschenwürde „noch nicht“ verletze, weil auch hier das Existenzminimum gewährt werden muss – zumindest wenn der Bedarf im Einzelfall nachgewiesen wird. Vermutlich aus Angst vor Kritik hat das Bundesverfassungsgericht zu diesem Beschluss (1 BvR 2682/17) keine Pressemitteilung gemacht.

Inzwischen wurde Paragraf 1a weiter verschärft. Es wird nicht einmal mehr das unabweisbar Gebotene garantiert. Vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, die nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert sind, erhalten seit 2015 nur noch Unterkunft, Ernährung und Körper- und Gesundheitspflege. Sonstige Leistungen erhalten sie nur noch, „soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen“. Damit sind in der Regel Leistungen des sozialen Existenzminimums (für Telefonate, Verkehr, Medien, Kultur) ausgeschlossen. Hierzu gibt es soweit ersichtlich noch keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Die Idee, Flüchtlingen nur noch eine Fahrkarte in den nach dem Dublin-System zuständigen EU-Staat zu zahlen, war damals auch im Gespräch. Diesen Vorschlag des damaligen Innenministers Thomas de Maizière (CDU) verhinderte jedoch die SPD. Jetzt greifen ihn die FDP-Minister auf. Sollte er Gesetz werden, müsste das Bundesverfassungsgericht doch Farbe bekennen, ob die (nachholbare) Verletzung von Mitwirkungspflichten eine Unterschreitung des Existenzminimums erlaubt.

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