Grüne Oberbürgermeisterin zu Asylpolitik: „Akzeptanz ist weiter vorhanden“

Auch Bonn stehe bei der Unterbringung Geflüchteter vor Herausforderungen, sagt Oberbürgermeisterin Katja Dörner. Populismus sei aber keine Lösung.

Mehrere Personen an Bierbänken in einem Zelt.

Geflüchtete aus Syrien sitzen im Ankunftszentrum in Berlin im Essensbereich Foto: Sebastian Gollnow/dpa

taz: Frau Dörner, derzeit heißt es ja häufig, die Kommunen sind bei der Aufnahme von Geflüchteten am Limit. Wie sieht es bei Ihnen in Bonn aus?

Katja Dörner: Bei uns ist die Situation auch schwierig. Wir haben im Landesvergleich in den letzten Jahren weit überproportional Menschen aufgenommen und nur noch sehr geringe Kapazitäten in unseren eigenen Unterkünften. Hinzu kommt, dass wir im Laufe der nächsten zwei Jahre größere Liegenschaften, in denen ukrainische Geflüchtete leben, nicht weiter nutzen können, weil die Mietverträge auslaufen und voraussichtlich nicht verlängert werden können.

Was heißt das konkret in Zahlen? Wie viele Menschen hat Bonn mit seinen gut 334.000 Einwohnerinnen und Einwohnern aufgenommen?

Wir haben ungefähr 10.000 Menschen mit Fluchthintergrund in der Stadt. In den städtischen Unterkünften leben aktuell circa 2.800 Menschen, die Hälfte davon sind aus der Ukraine. Aber es leben leider Geflüchtete, die 2015 bis 2017 nach Bonn gekommen sind, weiterhin in Gemeinschaftsunterkünften. Das ist ein großes Problem, insbesondere für Familien. Grund ist der extrem angespannte Wohnungsmarkt in einer wachsenden Stadt wie Bonn.

Wann müssen Sie wieder die erste Turnhalle belegen?

Es ist unser Ziel, nicht auf Turnhallen zurückgreifen zu müssen. Im Frühjahr 2022, also als Russland die Ukraine angegriffen hat, mussten wir drei Hallen belegen, das konnten wir aber glücklicherweise schnell wieder auflösen.

Und was machen Sie, wenn Sie bis zum kommenden Jahr keinen Ersatz für die auslaufenden Liegenschaften finden?

Wir suchen sehr intensiv nach anderen Unterbringungsmöglichkeiten. Wir haben bereits Menschen in ehemaligen Hotels untergebracht, wir suchen Standorte für Container, wir sind mit Vermietern von Liegenschaften im Gespräch. Sollte das alles nicht im nötigen Umfang gelingen, und das wird natürlich auch immer schwieriger, werden wir erhebliche Kapazitätsprobleme haben.

Probleme gibt es nicht nur bei der Unterbringung, sondern oft auch bei den Kapazitäten von Kitas und Schulen. Wie ist da die Lage in Bonn?

Wir können noch allen Kindern einen Schulplatz zur Verfügung stellen, aber auch hier ist alles auf Kante genäht. Bei den Kitas ist es noch schwieriger, weil wir da ohnehin lange Wartelisten haben. Das hat aber in erster Linie mit dem Fachkräftemangel zu tun.

47 Jahre, ist Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn. Von 2009 bis 2020 war die Grüne Abgeordnete im Deutschen Bundestag.

Die Debatte spitzt sich mancherorts dramatisch zu, die gesellschaftliche Stimmung auch. Wie ist es in Bonn?

Diese Zuspitzung haben wir in Bonn zum Glück nicht, die Akzeptanz ist weiter vorhanden. Wir haben eine Solidaritätspartnerschaft mit der ukrainischen Stadt Cherson, da ist das Engagement sehr groß, aber auch insgesamt in der Flüchtlingsarbeit. Als Oberbürgermeisterin ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es nicht zusammenpasst, für die Solidarität mit der Ukraine zu demonstrieren und gleichzeitig Stimmung gegen Geflüchtete zu machen.

Meine größte Sorge ist die finanzielle Situation der Kommunen, weil die Kommunen in Nordrhein-Westfalen sehr große Herausforderungen haben und sie durch Entscheidungen im Land und im Bund voraussichtlich massive Einsparungen werden vornehmen müssen. Das könnte zu einer Stimmung führen, die sich negativ auf den sozialen Zusammenhalt allgemein und auf die Geflüchteten auswirkt.

Was können Sie als Oberbürgermeisterin tun, damit trotz der schwierigen Lage die Solidarität erhalten bleibt?

Es ist sehr wichtig, wie man über die Situation spricht, und dass man sehr transparent mit der Bevölkerung kommuniziert. Wichtig ist auch, auf Zuspitzungen zu verzichten. Und da hat Bonn mit seinem politischen Spektrum das große Glück, dass wir als internationale, als weltoffene Stadt, Menschen, die vor Krieg flüchten und zu uns kommen, eine gute Ankunft ermöglichen wollen. Da gibt es einen gewissen Grundkonsens.

Das heißt, Sie haben hier zum Beispiel eine CDU vor Ort, die sich nicht äußern würde wie Friedrich Merz?

Genau, und nicht nur das: Die hiesige CDU wendet sich dezidiert gegen einen Teil dieser Äußerungen, zum Beispiel was die Zusammenarbeit mit der AfD angeht.

Sie haben schon auf die schwierige Finanzsituation hingewiesen. Tut die schwarz-grüne Landesregierung zu wenig, um die Kommunen zu unterstützen?

Ja. Wir bekommen für die Asylsuchenden eine Pauschale, die bei weitem nicht auskömmlich ist. In Bonn hatten wir, was die Finanzierung von Geflüchteten angeht, in 2021 ein Defizit von etwa 18 Millionen und 2022 von 20 Millionen Euro, das wir aus dem städtischen Haushalt finanzieren mussten. Es ist gut, dass es nun eine Vereinbarung der kommunalen Spitzenverbände mit der Landesregierung gibt, über diese Pauschale zu verhandeln. Sie muss deutlich erhöht werden.

Was würde Ihnen jenseits von mehr Geld helfen?

Die Erhöhung der Unterbringungskapazitäten des Landes selbst. In der genannten Vereinbarung von Ende September sind 3.000 zusätzliche Plätze vorgesehen, aber das ist zu wenig und kommt spät. Und dann gibt es diverse Regelungen auf Landes- und besonders Bundesebene, die vieles schwerer machen.

Zum Beispiel?

Wir stellen für die Unterbringung hochwertige, neue Container auf. Wir dürfen sie aber nach der aktuellen Erlasslage nur für drei Jahre vorhalten. Gut wäre, diese länger nutzen zu können. Entbürokratisierung tut Not. Und mit Blick auf den Bund: Wenn endlich die eine Milliarde Euro finanzielle Unterstützung, die schon im Frühjahr versprochen wurde, bei den Kommunen ankommt, würde das helfen. Darüber hinaus brauchen wir eine langfristige, auskömmliche und atmende Finanzierungsregelung. Ich begrüße es sehr, dass jetzt endlich Integration durch Arbeit vereinfacht werden soll. Angesichts des massiven Mangels an Arbeits- und Fachkräften wäre das eine Win-Win-Geschichte. Schnellere Verfahren, aber auch legale Fluchtwege zu schaffen, wäre auch sehr wichtig.

Und sind Sie zufrieden damit, was Ihre Partei auf Bundesebene in diesem Bereich macht?

Meine Wahrnehmung ist, dass sich sowohl die Regierungsmitglieder als auch Partei und Fraktion sehr reinhängen, damit der notwendige Zweiklang von Humanität und Ordnung auf den unterschiedlichen Ebenen zum Tragen kommt. Annalena Baerbock verhandelt auf europäischer Ebene hart, humanitäre Aspekte der Geflüchtetenpolitik in einem leider sehr anders agierenden Umfeld durchzusetzen. Ich habe aber kein Verständnis dafür, dass es hinsichtlich der finanziellen Unterstützung der Kommunen oder auch bei sehr konkreten Fragen wie dem Aufenthaltstitel für ukrainische Geflüchtete, die im März auslaufen, immer noch keine Lösung gibt.

Die Bundesregierung hat gerade mit dem Segen der Grünen der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, kurz GEAS, und der Krisenverordnung zugestimmt, die unter anderem die haftähnliche Unterbringung von Geflüchteten an der EU-Außengrenze vorsehen. Die Grünen haben sich lange für eine humanitäre Flüchtlingspolitik stark gemacht. Wie passt das zusammen?

Als Grüne setzen wir uns ganz klar weiter für eine humanitäre Politik für Geflüchtete ein. So bewerte ich auch die Aktivitäten von Annalena Baerbock. Aber die Verhandlungen auf der europäischen Ebene sind komplex, Deutschland muss in einem sehr schwierigen Umfeld Kompromisse finden. Dass die Außenministerin sich einsetzt, um Ausnahmeregelungen zum Beispiel für Familien und Kinder durchzusetzen, ist wichtig. Ich würde mir wünschen, dass wir da größere Erfolge haben.

Alles in allem geht es aber um eine massive Verschärfung. War die Zustimmung aus Ihrer Sicht falsch?

Nein, nicht zuzustimmen fände ich angesichts der schwierigen Gesamtkonstellation nicht richtig. Nicht zuletzt, weil Lösungen auf europäischer Ebene unabdingbar sind.

Das Nachgeben zahlt sich für Ihre Partei nicht aus. Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben die Grünen deutlich an Prozentpunkten verloren, Umfragen zeigen, dass die Wählerinnen und Wähler meinen, dass Sie keine Antworten auf die Migrationsfrage haben. Fehlt den Grünen da ein angemessener Umgang?

Nein. Wir haben auf unterschiedlichsten politischen Ebenen klare inhaltliche Positionierungen formuliert. Aber die Diskussion ist sehr schwierig und sehr komplex. Und derzeit werden von anderen Parteien viele Gespensterdebatten geführt und Forderungen in den Raum geworfen, die den Kommunen gar nicht helfen würden. Zum Beispiel die Diskussion um Sachleistungen für Geflüchtete, das lehnen die Kommunen ab, da wir das mit unseren Kapazitäten und logistisch gar nicht leisten können.

Im Wahlkampf haben etwa in Bayern CSU und Freie Wähler den Grünen quasi die Schuld für die jetzige Situation in die Schuhe geschoben, weil die Grünen angeblich nötige Maßnahmen verhindern. Warum verfängt das so?

Einfache Antworten verfangen leider oft. Vor allem, wenn es um komplexe Probleme geht, auf die es gar keine einfachen Antworten geben kann. Ich finde es richtig, da sehr sach- und lösungsorientiert zu bleiben. Ich hoffe, dass die Diskussion jetzt, nach den Wahlen, wieder runterkocht und sich die Debatte normalisiert. Wir brauchen dringend eine lösungsorientierte Auseinandersetzung.

Nach den Landtagswahlen mit den guten Ergebnissen für die AfD drängen viele auf eine gemeinsame Lösung der Ampel mit der Union, die 90er Jahre werden dabei als positives Beispiel genannt – damals wurde das Grundrecht auf Asyl massiv beschnitten. Ihre Partei wird das stark unter Druck setzen, weiteren Verschärfungen zuzustimmen. Fänden Sie das richtig? Und was wünschen Sie sich jetzt von den Grünen in der Regierung?

Grüne sind in der Lage, Kompromisse mit Parteien des demokratischen Spektrums zu finden. Das zeigen wir jeden Tag und das ist auch hier richtig, wenn es darum geht, Probleme ernsthaft anzugehen. Die Humanität darf aber nicht auf der Strecke bleiben. Die 90er Jahre sind für mich kein positives Beispiel – ich denke da an Hoyerswerda, Mölln, Solingen. Alle demokratischen Parteien sind gefragt, zu verhindern, dass eine gesellschaftliche Stimmung sich weiter ausbreiten kann, die derartigen Verbrechen den Boden bereitet.

Ich bin mir sicher, dass die Grünen da den richtigen Kompass haben. Die genannten Entlastungen für die Kommunen müssen jetzt schnell kommen. Im Übrigen sehe ich auch alle demokratischen Parteien in der Pflicht, der Lösung der dringlichsten Krise unserer Zeit, der Klimakrise, das notwendige Engagement zu widmen. Das vermisse ich zurzeit.

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