Gewalt als Konsequenz des Klimawandels: Keine kühlen Köpfe

Der Klimawandel ist neben einer ökologischen auch eine soziale Krise. Denn steigende Temperaturen bedeuten mehr Gewalt, sagen Wissenschaftler.

Eine Frau gießt mit einer durchlöcherten Plastikflasche während eines Waldbrandes ihr Feld.

Während eines Waldbrandes muss eine indonesische Bäuerin selbst für Niederschläge sorgen Foto: Muhammad A.F/Anadolu Agency/Getty Images

Hitzewelle in den Weltmeeren, Eisschmelze in der Arktis, Waldbrände in Kanada – laut einer Analyse des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus wird 2023 das wärmste Jahr seit 125.000 Jahren.

Dass im Mittelmeer ein Medicane wütete und in der Wüste von Libyen tausende Menschen durch eine Flutkatastrophe starben, hat man vor lauter Kriegsnachrichten aus Nahost und der Ukraine fast vergessen, was auch deshalb so fatal ist, weil sich der Klimawandel wahrnehmungspsychologisch so schwer greifen lässt. Es gibt keinen lauten Knall oder Rauch, der signalisiert: Hey, das ist gefährlich!

Doch solche Extremwetterereignisse werden in Zukunft häufiger und heftiger – mit Folgen: Nahrungsmittelpreise werden weiter steigen, wenn Containerschiffe den Panamakanal wegen ausbleibender Regenfälle nicht passieren können und die Gemüsegärten verdorren, Menschen fliehen, wenn Ernten ausfallen und Häuser zerstört werden. Der Klimawandel ist neben einer ökologischen eine soziale Krise, die die Schwächsten der Gesellschaft am härtesten trifft.

Gewalt nimmt mit höherer Temperatur zu

Besonders drastisch zeigt das eine Studie internationaler Wissenschaftler. Sie haben herausgefunden, dass die Erderwärmung in südasiatischen Ländern mit erhöhter häuslicher Gewalt gegen Frauen einhergeht.

In der Langzeitstudie wurden knapp 200.000 Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren in Indien, Pakistan und Nepal im Zeitraum zwischen 2010 und 2018 über ihre Erfahrung mit emotionaler, physischer und sexualisierter Gewalt befragt. Ergebnis: Mit einem Grad steigender Durchschnittstemperatur nimmt die physische Gewalt um acht Prozent zu, die sexualisierte Gewalt um 7,3 Prozent.

Klar: Korrelation bedeutet nicht gleich Kausalität. Nur weil die Außentemperatur steigt, wird ein Mann nicht gleich gewalttätig. Doch die Forscher präsentieren eine schlüssige Kausalkette, die dieses Phänomen erklären kann: Extremereignisse vernichten Ernten, die Familien verlieren ihr Einkommen, die Männer bleiben zu Hause und reagieren dort ihren Frust ab – an Frauen.

Auch in Kenia, wo 75 Prozent der Menschen ihr Einkommen aus der Landwirtschaft beziehen, führt der Klimawandel zu ökonomischem Stress, der sich in häuslicher Gewalt entlädt. Der Zusammenhang zwischen Extremwetter und genderbasierter Gewalt ist sehr robust, wie eine Metastudie belegt.

Ökonomischer Stress wird zu häuslicher Gewalt

Gerade in den patriarchalischen Gesellschaften, wo Männer noch die Rolle des Familienoberhaupts und „Haupternährers“ einnehmen, verstärkt die durch die Erderhitzung hervorgerufene ökonomische Instabilität und Versorgungsunsicherheit die ohnehin schon starke Abhängigkeit von Frauen zu Männern.

Man kann den Zusammenhang zwischen der Erderwärmung und erhöhter Gewaltbereitschaft aber nicht nur auf soziologischer Ebene, also innerhalb von Familien, sondern auch in der gesamten Gesellschaft beobachten.

So haben die Ökonomen Marshall Burke, Solomon M. Hsiang und Edward Miguel in einer quantitativen Studie aufgezeigt, dass mit steigenden Temperaturen die Konflikte zwischen Gruppen zunehmen: So sind zum Beispiel Spannungen zwischen Hindus und Muslimen in Zentralasien wahrscheinlicher, wenn Regenfälle heftiger ausfallen und Ernten vernichten.

Es ist kein Zufall, dass sich die größten Volkswirtschaften der Welt mit einem robusten Konfliktmanagement in einem Temperaturoptimum von 13 Grad Celsius Durchschnitts­temperatur clustern.

Größte Volkswirtschaften bei 13 Grad Celsius

Wissenschaftler haben immer wieder auf die Verteilungskämpfe um knappe Ressourcen wie Wasser oder Getreide hingewiesen, die in multiethnischen Gesellschaften mit schwachen staatlichen Strukturen und fehlender sozialer Absicherung nicht mehr moderiert werden können und in kriegerische Auseinandersetzungen münden.

So ist womöglich die jüngste Putsch-Welle in der Sahel-Zone durch den Klimawandel verursacht worden: Die Ökonomen Ahmadou Aly Mbaye und Landry Signé zeigen in einem Paper auf, dass die Zahl der Konflikte in Subsahara-Afrika mit dem Anstieg der Temperaturen und unvorhersehbaren Regenfällen in den letzten Jahren massiv angestiegen ist. Auch der syrische Bürgerkrieg könnte nach Ansicht einiger Forscher durch eine klimabedingte Dürreperiode ausgelöst worden sein.

Natürlich kennt die Friedens- und Konfliktforschung viele Konfliktursachen wie Armut, Ungleichheit oder Nationalismus, und die Konfliktdynamiken in Bürgerkriegsregionen sind teilweise so komplex, dass es schwierig ist, zwischen einzelnen Auslösern und Ursachen zu differenzieren. Dürren scheinen einer dieser Auslöser zu sein.

Der Klimawandel wird die Verteilungskonflikte verschärfen und damit auch die Gefahr von kriegerischen Auseinandersetzungen erhöhen. Wasserkriege, wie sie sich bereits zwischen den Anrainerstaaten des Nils abzeichnen, werden in Zukunft häufiger.

Es werden notorische Klimaleugner gewählt

Obwohl die Folgen des Klimawandels evident sind, wurden zum Beispiel mit Jair Bolsonaro in Brasilien oder Donald Trump in den USA zwei notorische Klimaleugner ins Präsidentenamt gewählt. Der Umweltforscher Joel Millward-Hopkins hat in einem Essay auf die Paradoxie aufmerksam gemacht, warum die Auswirkungen des Klimawandels die Reduktion von Emissionen gerade nicht wahrscheinlicher machen.

Die Folgen des Klimawandels, die auch in den USA in Form von Hitzewellen, Überflutungen und Ernteausfällen zu spüren sind, führen zu mehr Ungleichheit, Flüchtlingsbewegungen und Kriminalität, was den Ruf nach starken Führern lauter werden lässt, die wiederum die Migration gegenüber der Klimapolitik priorisieren. Man baut lieber Mauern als Windräder.

Die globale Erderwärmung befeuert also eine Form des autoritären Populismus, was man auch hierzulande in der Debatte um das Heizungsgesetz beo­bachten konnte, wo die AfD mit aggressiven Wahlplakaten wie „Heizen wir der Ampel ein“ oder „Heizhammer stoppen“ Stimmung machte. Zu sagen, man müsse in der Schwüle des Deutens und Meinens einen kühlen Kopf bewahren, wäre psychopolitisch zu kurz gegriffen. Fakt aber ist: Die Erderwärumng beeinflusst längst auch das soziale Klima.

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