Falschaussage vor Gericht: Polizei beim Lügen erwischt

Ein Göttinger Anwalt zeigt eine Polizistin wegen Verdachts der Falschaussage vor Gericht an. Ihre Aussage hatte einen Demonstranten belastet.

Polizist:innen in Kampfmontur halten eine Person an beiden Oberarmen gepackt

Die Polizei griff durch gegen die JVA-Besetzer:innen – nur angekündigt hatte sie das nicht

GÖTTINGEN taz | Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam hat eine Polizistin aus Hannover wegen des Verdachts der Falschaussage vor Gericht angezeigt. Anlass sind Aussagen der Beamtin in einem Verfahren um die Räumung der besetzten Justizvollzugsanstalt (JVA) in der Stadt vor gut einem Jahr.

Am 6. Oktober 2022 waren mehrere Dutzend Polizisten an der ehemaligen JVA in der Göttinger Innenstadt im Einsatz. Aktivisten hatten das seit Jahren leerstehende Gebäude besetzt, das die Stadt verkaufen und in dem eine Bürgerinitiative ein Soziales Zentrum einrichten will. Zahlreiche Unterstützer hielten sich auf dem an dem früheren Knast vorbeiführenden Gehweg auf. Die Demonstranten sollten auf die andere Straßenseite, weil die Polizei in die JVA hinein wollte, folgten der Aufforderung aber nicht. Beamte räumten deshalb den Eingangsbereich, wendeten dabei teilweise Schmerzgriffe an, nahmen Personalien auf.

Gegen mindestens sieben Demonstranten wurden später Verfahren eingeleitet. Sie sollen einer versammlungsrechtlichen Beschränkung nach dem niedersächsischen Versammlungsgesetz nicht nachgekommen sein und damit eine Ordnungswidrigkeit begangen haben. Ihnen gegenüber sei durch eine eingesetzte Hannoveraner Polizeieinheit mehrfach eine sogenannte räumliche Beschränkung ausgesprochen worden, der sie nicht nachgekommen seien, lautet die Begründung. Weil sie Widerspruch gegen die Bußgeldbescheide der Stadt Göttingen einlegen, verhandelt nun das örtliche Amtsgericht über den Vorgang.

Die Hannoveraner Polizeieinheit habe ein Wortprotokoll ihrer Lautsprecherdurchsagen vorgelegt, berichtet der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam. Er vertritt die Beschuldigten. Der Datenträger, auf dem die Durchsagen im Original gespeichert worden seien, sei angeblich nicht mehr vorhanden.

Gerichtlich bestätigt: Das Polizei-Protokoll ist falsch

Adam zufolge enthält das ersatzweise von der Polizei vorgelegte Wortprotokoll an mehreren Stellen die vermeintliche Durchsage einer beschränkenden Verfügung. In einer mündlichen Hauptverhandlung über einen der Widersprüche am 19. Juni habe eine Hannoversche Polizeibeamtin, die die Durchsagen selbst gemacht haben will, diese Aussage in einer Befragung nochmals bestätigt.

Doch das ist ganz offensichtlich die Unwahrheit. Rechtsanwalt Adam selbst bringt anschließend Videomaterial der Göttinger Bürgerrechtsinitiative „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ in das Verfahren ein, das sämtliche Durchsagen der Polizei während des in Rede stehenden Einsatzes in Bild und Ton dokumentiert. Die besagten beschränkenden Verfügungen sind in den Durchsagen nicht enthalten. „Die vermeintliche Mitschrift der Originalaufnahme ist damit falsch“, konstatiert Adam. „Und ein Strafvorwurf gegenüber den Betroffenen nicht mehr zu halten.“

Das sieht das Amtsgericht genauso. Mit dem nun veröffentlichten Beschluss vom 7. November spricht es den Beschuldigten frei. „Ein Tatnachweis konnte nicht geführt werden“, heißt es in dem Urteil. „Der Verteidiger des Betroffenen hat ein Video vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass eine Beschränkung der Versammlung nicht ausgesprochen wurde. Die Echtheit des Videos wird auch von der Staatsanwaltschaft nicht in Frage gestellt.“

Strafanzeige gegen Polizeibeamtin

Für Anwalt Adam ist die Sache allerdings noch nicht beendet. „Die Verfälschung eines Wortprotokolls und die Wiederholung unwahrer Behauptungen in einer mündlichen Verhandlung sollte straf- und dienstrechtliche Konsequenzen für die Polizeibeamtin haben, die in der Verhandlung am 19. Juni 2023 die vermeintliche Echtheit der Lautsprecherdurchsagen bestätigt hat“, sagt er.

Am Montag stellte Adam deshalb Strafanzeige gegen die Beamtin wegen des Verdachts der Falschaussage vor Gericht: „Ohne das Video wären sieben Personen wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt worden, die sie nicht begangen haben.“

Parallel zu den Widerspruchsverfahren laufen auch noch Strafprozesse wegen Hausfriedensbruchs. Betroffen sind mehrere Personen, die sich an der damaligen Besetzung der JVA beteiligt haben sollen. In einem ersten Verfahren hat das Amtsgericht einen Angeklagten freigesprochen. Ihm sei nicht nachzuweisen gewesen, dass er sich in Kenntnis eines Ultimatums durch Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) in dem Gebäude aufgehalten habe. Sie hatte den Besetzern damals ein Ultimatum gestellt, die JVA bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verlassen. Anderenfalls werde die Stadt Anzeige wegen Hausfriedensbruchs stellen.

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