Diskussion Antisemitismus und Justiz: Ist das strafbar?

Dass Polizei und Justiz beim Thema Antisemitismus weiterhin Nachholbedarf haben, wurde bei einer Veranstaltung in Berlin deutlich.

Die umstrittene Parole, die die Auslöschung Israels impliziert, Anfang November in Frankfurt am Main Foto: Boris Roessler

„Seit Jahren branden die Wogen des Judenhasses auch bis in die Gerichtssäle hinein und zwingen unsere Vereinigung, ihre Abwehrdämme auch auf diesem Gebiete auszubauen.“ Geschrieben hat diesen Appell der wenig bekannte jüdische Rechtsanwalt Ludwig Foerder in einem Fachaufsatz – im Jahr 1924. Ein Satz, der in seiner Aktualität beklemmend wirkt. Polizei und Justiz kämpfen auch heute mit Antisemitismus – mit seiner juristischen Bewältigung und mit seinem Auftreten in den eigenen Reihen.

Es gibt dafür zahlreiche Beispiele: In Hessen streiten Staatsanwaltschaft und Gerichte darüber, ob die in einer internen Chatgruppe von Po­li­zis­t*in­nen der Frankfurter Innenstadtwache geteilten, teils antisemitischen Inhalte strafbar sind. Das Landgericht Frankfurt verneinte im Februar 2023, denn für eine strafbare Volksverhetzung kommt es unter anderem auf die Öffentlichkeit der Äußerungen an; und die sei bei internen Chats nicht gegeben.

Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Nun muss die nächsthöhere Instanz entscheiden. Oder Niedersachsen: Dort ist man sich uneins, ob der von der Partei Die Rechte im Europawahlkampf 2019 plakatierte Slogan „Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“ strafbar ist oder nicht. Die Staatsanwaltschaft Hannover erkannte keine Volksverhetzung und sprach von einer legitimen Kritik am Staat Israel. Die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft sah das anders, scheiterte aber vor den Gerichten.

Doch die Taten müssen überhaupt vor Gericht landen, das Dunkelfeld ist riesig. Der Journalist Ronen Steinke weist im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung in der Topographie des Terrors am Montag in Berlin auf Studien hin, nach denen nur 24 Prozent der antisemitischen Taten in Deutschland überhaupt gemeldet werden. So kommen nur wenige Fälle zu den Richter*innen. Das wiederum habe zur Folge, dass die Ju­ris­t*in­nen seltener Fortbildungen zu dem Thema belegten, fügt Ulrike Lembke, Landesverfassungsrichterin in Berlin und Freie Rechtswissenschaftlerin, hinzu.

Eine späte Wissenschaft

Auch sonst liege einiges im Argen: „Die deutsche Rechtswissenschaft ist insgesamt eine späte Wissenschaft, was die Aufarbeitung der NS-Zeit angeht“, so Lembke. Sie forscht im Verbundprojekt „Antisemitismus als justizielle Herausforderung (ASJust)“ und identifiziert mehrere Herausforderungen, vor denen die Justiz im Bereich Antisemitismus stehe. So gebe es fast keine rechtswissenschaftliche Literatur zu dem Thema, man könne darüber „nur in Spurenelementen“ lesen.

Es mangele weiterhin an Transfer von Forschungsergebnissen in die Rechtswissenschaft und -praxis. Ju­ris­t*in­nen hätten „keine Fachkultur, in der Selbstreflexion ganz oben steht“. So waren wichtige Gesetzeskommentare noch bis vor wenigen Jahren nach nationalsozialistischen Juristen benannt.

Zu beobachten sei in der Strafverfolgung auch eine Amerikanisierung der Meinungsfreiheit: „Die deutsche Meinungsfreiheit hat Grenzen“, bei antisemitischen Inhalten rutsche diese Erkenntnis aber oft weg. Ihr Appell am Ende der Veranstaltung: Es brauche „mehr Professionalisierung im Staatsdienst“.

In jüngster Zeit stand die oft auf propalästinensischen Demos skandierte Parole „from the river to the sea“ im Fokus der öffentlichen Debatte. Wie damit strafrechtlich umzugehen ist, ist noch ungeklärt. Was ist strafbare Volksverhetzung, was ist noch legitime Meinungskundgabe? Das trieb schon Anwalt Foerder in der Weimarer Republik um, denn: „Die antisemitischen Gewohnheitshetzer sind allmählich so schlau geworden, sich gewunden auszudrücken.“

Den Gesetzen Geltung geben

Genau darüber wurde im Rahmen der Veranstaltung leider wenig gesprochen. Dabei liegt darin auch heute eines der Kernprobleme. An­ti­se­mi­t*in­nen können den liberalen Ansatz des Grundgesetzes oft austricksen, indem sie in Codes und Chiffren sprechen. Die Justiz verwehrt sich dann Verurteilungen mitunter, denn der Wortlaut der einschlägigen Strafgesetze erfasse das Gesagte nicht.

Daran etwas ändern kann der Gesetzgeber, aber der kann auch nicht jede einzelne Äußerung explizit unter Strafe stellen. Am Ende sind es die Menschen in Polizei und Justiz, die den Gesetzen Geltung verschaffen müssen.

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