Die Wahrheit: Statistik neu denken!

Die FDP ist unter die Fünfprozenthürde gerutscht. Alles nur eine Frage der Mathematik für den Spitzen-Finanzminister Christian Lindner.

Christian Lindner

Rechengenie Lindner weist den Zahlen den rechten Weg Foto: Reuters

Wenn Finanzminister Christian Lindner der Geduldsfaden zu reißen droht, dann kann er schon mal unsympathisch werden. Also, noch unsympathischer als sonst.

„Wie lange dauert das denn noch?“, mault er mit Blick über die Schulter von Professor Aenne Gerlach, Leiterin des frisch gegründeten Lindner Institute for Applied Mathematics (LIAM). „Wozu bezahle ich euch denn knapp überm Mindestlohn?“

Seit fast einer Woche tüfteln Prof. Gerlach und ihr Team an einer neuen Formel, von der bisher nur der Name bekannt ist: die Lindner-Formel. Sobald die Forschenden ihren Heureka-Moment haben, wird ihr Vorgesetzter als Erster davon erfahren und die Theorie in die Praxis umsetzen.

Aber von Anfang an: Wie das RTL-Trendbarometer von Forsa zeigt, würde die FDP mit aktuell vier Prozent nicht mehr den Einzug in den Bundestag schaffen, wenn am kommenden Sonntag Wahl wäre. Ein Absturz, über den man sogar in der SPD lacht – was der FDP-Vorsitzende nicht hinzunehmen bereit ist.

Finger auf Schuldige

„Jetzt mit dem Finger auf Schuldige zu zeigen, wäre aber verfehlt“, bekräftigte Parteichef Lindner in der letzten Folge seines Podcasts. „Stattdessen bauen wir einmal mehr auf die heilsame Kraft der Innovation.“ Und die soll folgerichtig aus dem Gebiet der Zahlenkunde kommen.

„Wenn wir beweisen, dass Vier das neue Fünf ist, können wir es wieder schaffen. Hier, diese Kurve, können Sie die nicht stärker ansteigen statt fallen lassen?“, bekniet der 45-Jährige seine Institutsleiterin und fuchtelt vor einem Monitor mit Wahlprognosen-Graphen herum.

„Vielleicht mal durch null teilen?“ – „Das geht nicht“, erhält er zur Antwort, was ihn bloß noch mehr anstachelt: „Kennen Sie nicht dieses tolle Motivationszitat? ‚Alle haben gesagt, das geht nicht, dann kam einer, der hat es einfach gemacht.‘ Dieser eine war ich!“

Die Einrichtung eines Innovations-Zentrums für Mathematik war den Liberalen ein dringendes Anliegen, seit sich herausgestellt hat, dass es keine FDP-nahe Stiftung mit ähnlicher Ausrichtung gibt. „Tatsächlich gibt es überhaupt keine FDP-nahen Stiftungen mehr. Die schämen sich alle“, gibt Christian Lindner zähneknirschend zu. Zudem finden sich weder an der Parteispitze noch in den Landesverbänden studierte oder gar promovierte Mathematiker, denn in diesem Fach ist es besonders schwer, zu plagiieren. Nun also soll es das LIAM richten.

„Wir müssen an die Axiome ran!“, beschwört Lindner das Forschungsteam. „Nichts ist in Stein gemeißelt. Höchstens in Ton geritzt, aber was interessieren mich die staubigen Gedanken von irgendwelchen Babyloniern? Das waren auch nur bessere Bauern, und Bauern habe ich gefressen, das könnt ihr mir glauben!“

Sollte es mit der numerischen Innovation nicht klappen, will Lindner es auf dem juristischen Wege versuchen. „Wozu stellen wir schließlich den Justizminister? Der Buschi soll mal überprüfen, ob altbackene Gesetze wie das Kommutativgesetz oder das Distributivgesetz nicht reformiert werden können!“

Blockade mit Spaß

Für die Abschaffung der Fünfprozenthürde möchte sich die FDP indes vorerst nicht einsetzen: „Das würden wir nur tun, wenn die Grünen oder die Sozen ausdrücklich dagegen wären. Andernfalls macht es doch keinen Spaß; Gesetze zu blockieren ist schließlich unsere letzte Raison d'être.“

Im LIAM beißt man sich unterdessen die gebleichten Zähne am Paradoxon von Banach-Tarski aus. Aus diesem lässt sich, stark vereinfacht, angeblich beweisen, dass 1 gleich 2 ist, was bedeuten würde, dass aus den vier Prozent für die Freien Demokraten im Handumdrehen satte acht werden könnten.

„Disjunkte Mengen in einer vollen Einheitskugel im dreidimensionalen Anschauungsraum könnten zusammengesetzt werden, wenn der Abstand aller Punkte vom Koordinatenursprung …“, hebt Prof. Aenne Gerlach mit zittriger Stimme an, nur um von Christian Lindner barsch unterbrochen zu werden. „Erstens war ‚volle Einheitskugel‘ mein Spitzname für Helmut Kohl, zweitens kann man so was dem tumben Volk niemals vermitteln. Wir brauchen eine simple Lösung, die auch der gewöhnliche Bürgergeld-Bezieher kapiert. Raus aus der sozialen Hängemathe!“

Der naheliegendste Schritt, so die Erkenntnis nach einer Woche Arbeit im neuen Lindner-Institut, wäre das Aufrunden: Vier ist rund fünf, und mit 5,0 % der Stimmen säße die alte Tante FDP weiterhin im Parlament. Finanzminister Lindner wiederum sitzt nun in seinem sogenannten Innovations-Pod, einem buchstäblichen Think-Tank in Gestalt einer mit Nährschlamm gefüllten Deprivationskammer. Hierin wird er in den nächsten Wochen auf frische Eingebungen hoffen, im Gedanken weitere Institute gründen und Aristoteles widerlegen. Man wünscht ihm Glück.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.