Anti-AfD-Demos: Lieber groß und divers

Manche wollen präzisere Zielsetzungen der Anti-AfD-Demonstrationen. Doch Abgrenzung gegenüber CDU und SPD ist ein Fehler.

Anti-AfD-Demo in Berin

Anti-AfD-Demo in Berlin mit dem Motto: „Unser Kiez ist bunt“, Februar 2024 Foto: Fabian Sommer/dpa

Nichts gegen einen „linken Besser­wisser“, wie sich taz-Redakteur Kersten Augustin in seinem taz-Text zur Zukunft der FCK-AfD-Demos sympathischerweise selbst nennt – aber es wäre ganz schön, wenn er es wirklich besser wüsste. Augustin findet, der Straßenprotest gegen die neuen Nazis müsste „kleiner, aber feiner“ werden, wobei fein bedeutet: unmissverständlich links konturiert und klarer gegen die konfuse Politik der Ampel gerichtet; gegen die Abschiebungsfreunde der CDU und den rechtsoffenen Populismus der CSU sowieso.

Mit dem Wunsch nach inhaltlicher Schärfung und nach Abgrenzung gegenüber den alten politischen Gegnern aus der Union bei den erfreulich breiten Anti-AfD-Demos dürfte Augustin nicht alleine sein. Allerdings kann man fragen, ob man das Spiel der Definition von Reinheitsgeboten nicht besser dem Selbstgespräch von Dogmatikern, welcher Couleur auch immer, überlassen sollte.

Sind zum Beispiel die Fahnen der Freaks der ­MLPD, also der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, auf der letzten Berliner Anti-AfD-Demonstration mit dem Augustin’schen Demo-Reinheitsgebot kompatibel? Auf einen inhaltlichen Grundkonsens mit den anderen 150.000 bis 250.000 Demonstrierenden können die übrig gebliebenen Leninisten der K-Gruppen-Sekte vielleicht nicht unbedingt zählen.

Wo fängt die Abgrenzung an, wo soll sie aufhören? Ich zum Beispiel bin Agnostiker und habe für bedauernswerte Seelen, die ihr Heil in den Tra­di­tions­res­ten des Christentums suchen, eher Verwunderung übrig. Soll ich deshalb die Demonstration verlassen, wenn auch irgendwelche christlichen Gruppen mitmarschieren?

AfD gegen Werte des Grundgesetzes

Vom Musikgeschmack mal ganz zu schweigen: Wenn es so weitergeht, muss man irgendwann auch noch Konstantin Weckers Geknödel, Udo Lindenbergs Geröchel und BAPs Kölschhymnen auf den Demos ertragen, was unter ästhetischen Gesichtspunkten nicht unbedingt erfreulicher ist als eine Rede von Olaf Scholz oder das Zombielächeln von Christian Lindner. Praktizierter Antifaschismus braucht offenbar sehr ausgedehnte Toleranzzonen, eine gewisse Schmerzfreiheit oder gute Kopfhörer.

Natürlich hat Augustin ein starkes Argument, wenn er an den Rechtsschwenk der Ampelparteien zum Beispiel in der Migrationspolitik erinnert und zumindest einzelnen Unions-Politikern ein wahlkampfopportunistisches Anbiedern an AfD-nahe Positionen vorwirft. Natürlich kann man es bigott finden, wenn Scholz und Baer­bock auf einer Potsdamer Anti-AfD-Demonstration in die Kameras lächeln, nachdem sich in ihrer Regierungszeit die Umfragewerte für die AfD nahezu verdoppelt haben.

Aber diese Argumentation übersieht die entscheidende Grenzlinie, die die AfD von den demokratischen Parteien trennt, auch von denen, die unter taz-Redakteuren völlig zu Recht nicht auf gesteigerte Sympathie stoßen. Die AfD will nicht einfach eine andere Regierung. Sie will eine andere Gesellschaft, ethnisch und in den Wertorientierungen homogenisiert, mit einem reaktionären Rollback im Geschlechterverhältnis, nationalistisch bis zur schweren ökonomischen Selbstbeschädigung des Landes in der Abkehr von der EU, autoritär regiert und ohne Freiräume für politischen, kulturellen, religiösen Pluralismus und eine offene, sichtbare Diversität der Lebensstile und sexueller Orientierungen.

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Ihr Programm eines „autoritären Nationalradikalismus“, wie es Wilhelm Heitmeyer nannte, richtet sich gegen die Werte des Grundgesetzes und die offene, pluralistische Gesellschaft als solche. Genau diese Werte verteidigen die Demonstrierenden, wenn sie Menschenketten um Rathäuser und Parlamente bilden. Schönes Paradox: Was sie verbindet, ist ihre Unterschiedlichkeit. Genau den von der AfD bekämpften Pluralismus feiern die Demonstrationen, wenn in vielen Städten Vertreter der Linkspartei zusammen mit CDUlern, junge Alerta-alerta-Antifas mit den tollen Omas gegen Rechts und mit Christen demonstrieren.

Kleinster gemeinsamer Nenner reicht schon

„Alle zusammen gegen den Faschismus“ meint genau das: Es genügt als Minimalgemeinsamkeit solcher Demonstrationen völlig, die Nazis abzulehnen. Alles andere ist alles andere. Und über alles andere, von Migration über Steuergesetzgebung und Mindestlohn bis zur rücksichtslos fahrradfeindlichen Verkehrspolitik der Berliner CDU, kann und muss man dann immer noch streiten, aber bitte in anderen Kontexten und anderen Arenen der demokratischen Aus­einandersetzung.

Die Stärke der „Kein Kölsch für Nazis“- und „Huck Föcke“-Demonstrationen liegt nicht nur in ihrer Größe, sondern gerade in der Diversität der Demonstrierenden – auch als Abbild der pluralistischen Gesellschaft und ihrer bis vor Kurzem schweigenden Mehrheit. War die Neue Rechte in den letzten Jahren fatal erfolgreich darin, den Begriff von Normalität zu verschieben und offenen, aggressiven Rassismus zu ent­tabuisieren, markieren die Demonstrationen eine Stopplinie dieser Normalitätsverschiebung.

Auch deshalb reagieren AfD-Vertreter so gereizt und in einer durchgedrehten Rhetorik darauf. Wenn das zu prinzipiell ist, vielleicht noch ein pragmatisches Argument für möglichst breite Allianzen ohne nervöse Abgrenzungsbedürfnisse: Einen Antrag auf eine Überprüfung der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der AfD und die Eröffnung eines Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht können drei Organe stellen: Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat.

Derzeit sammelt ein CDU-Bundestagsabgeordneter unter seinen MdB-Kolleg:innen aller Fraktionen (außer der AfD natürlich) Unterschriften, mit dem Ziel, eine Bundestagsmehrheit für solch einen Antrag vor dem Verfassungsgericht zu organisieren. Politisch klug wäre solch ein Verbotsverfahren nur, wenn es von allen demokratischen Parteien, gerade auch von den konservativen, getragen und offensiv argumentativ begleitet wird. Wenn er diesen Antrag unterstützt, gehe ich notfalls sogar mit Friedrich Merz demonstrieren.

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ist Theater­kritiker der „Süddeutschen Zeitung“ und recherchiert seit Jahren zum rechten Kulturkampf. 2023 hat er das Buch „Volkstheater. Der rechte Angriff auf die Kunstfreiheit“ (Verlag Klaus Wagenbach) veröffentlicht.

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