Forscherin über Social Media der Zukunft: „Screens werden verschwinden“

Kann Social Media demokratisch werden? Absolut, sagt die Kommunikationsforscherin Zizi Papacharissi. Sie rechnet mit weitreichenden Veränderungen.

Zwei Frauen halten sich an den Händen und tragen VR Brillen, im Hintergrund viele Menschen mit VR Brillen

Bei einer Ausstellung in Peking im Februar 2024 genießen Be­su­che­r:in­nen den digitalen Ausblick auf Pyramiden Foto: Beijing Youth Daily/imago

wochentaz: Frau Papacharissi, was war die erste Social-Media-Plattform, die Sie verwendet haben?

Zizi Papacharissi: Anfang der 2000er gab es in Europa diese winzigen Handys mit total eingeschränkten Internetfunktionen. Damals waren SMS für mich extrem wichtig, um mich mit meinen Freun­d*in­nen auszutauschen. Aus heutiger Perspektive finde ich das spannend, weil wir gerade dorthin zurückkehren. Meine jungen Studierenden erzählen, dass für sie persönliche Chats und kleine Gruppen am wichtigsten sind. Man tauscht abends mit der besten Freundin Memes oder Videos aus, und plötzlich sind zwei Stunden vergangen. Danach hat man das Gefühl, man hatte einen persönlichen Austausch.

ist Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin an der University of Illinois at Chicago (UIC). Sie forscht zu den sozialen und politischen Auswirkungen von Online-Medien und ist Herausgeberin der Fachzeitschrift Social Media & Society. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt „After Democracy“ (2021).

Viele sagen, Social Media werde immer weniger sozial. Plattformen wie Instagram sind mittlerweile sehr kommerzialisiert, voll von professionellem Content und Werbung von In­flu­en­ce­r*in­nen oder Marken. Woher kommt Ihr Optimismus?

Ich mag den Begriff „Social Media“ nicht. Sozial ist man nicht nur, wenn man jeden Tag rausgeht und auf Partys viele Hände schüttelt. Als Menschen werden wir immer auf die eine oder andere Weise sozial sein, und Medien dienen schon per Definition der Kommunikation. Plattformen bieten uns eine bestimmte Art der Kommunikation an. Auf Instagram zeigen die meisten Menschen eine sehr kuratierte, perfekte Version von sich selbst. Davon fühlen sich viele nicht mehr abgeholt. Eine neue Entwicklung ist, dass wir die Plattformen „hacken“, sie kreativ anders nutzen, als sie gedacht sind.

Wie das?

Zum Beispiel, indem wir nicht mehr auf eine einzige Plattform gehen, sondern auf viele verschiedene: Facebook, um mit der Familie in Kontakt zu bleiben, Instagram, um In­flu­en­ce­r*in­nen zu folgen und dann vielleicht noch eine private Messengergruppe, um mit Freun­d*in­nen zu kommunizieren. Die Zeit der großen Social-Media-Plattformen ist vorbei.

Was ist mit TikTok? Die App ist unter jungen Menschen extrem beliebt.

TikTok würde ich gar nicht als klassische Social-Media-App bezeichnen, da geht es nicht darum, sich zu präsentieren. Die wenigsten posten selbst Content. Als Use­r*in taucht man ab in eine andere Welt, nach drei Stunden taucht man wieder auf und hat eine Menge lustiger Videos gesehen, die man mit Freun­d*in­nen teilt. Ein bisschen so wie man früher Filme angeschaut und sich dann dazu ausgetauscht hat. Man hat einfach eine gute Zeit miteinander.

Wenn große Social-Media-Plattformen irgendwann out sind, was kommt dann?

Vor allem müssten sich die Größe der Plattformen und die Kommerzialisierung ändern. In diesen riesigen Maßstäben von hunderten, tausenden, Millionen von Use­r*in­nen geht die Gemeinschaft verloren. Die Menschen haben kein Gefühl von Zugehörigkeit, von Authentizität mehr. Deswegen blicken wir so nostalgisch auf die Anfangszeit von Social Media zurück. Ich weiß nicht, ob sich das jemals ändern wird, weil es bei privaten Plattformen immer um Profit geht. Und wie viel Geld generiert wird, ist abhängig von der User*innenzahl.

Wie sähe denn das ideale soziale Medium für Sie aus?

Das ist die große Preisfrage. Wenn ich eine Idee hätte, würde ich sie bestimmt nicht einfach so verraten. Ich sehe dieses zentrale Problem: Demokratie spielt bei der Konzeption von Social-Media-Plattformen bisher keine Rolle. Das müsste sich ändern. Auch Frauen und marginalisierte Gruppen wurden bisher nicht mitgedacht. Sie werden auf diesen Plattformen schnell das Ziel von Hass und Belästigung.

Wie ließe sich das umsetzen?

Ich glaube daran, dass es möglich ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem das seltener passiert. Wir brauchen dafür strengere Regulierungen und demokratische Strukturen auf den Plattformen. Und eine neue Internetkultur, für die wir selbst verantwortlich sind. Einen sicheren und inklusiven Ort zum Austausch zu schaffen, ist die Herausforderung, mit der wir uns auseinandersetzen müssen – weniger die Frage, wie sozial oder unsozial die Plattformen sind.

Social Media wird nachgesagt, gleichzeitig demokratisierend und antidemokratisch zu sein: Bewegungen wie Black Lives Matter haben sich über Social Media verbreitet, gleichzeitig setzen Milliardäre die Rahmenbedingungen von öffentlichen Diskursen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Social Media war an sich nie demokratisierend, dafür ist es, wie gesagt, nicht ausgelegt. Es geht hier um eine kreative Nutzung. Use­r*in­nen verwendeten irgendwann Twitter oder auch Instagram, um demokratische Diskurse zu führen. Die Plattformen öffneten neue Wege, sich mit mehr Menschen auszutauschen. Ich würde sie pluralisierend nennen, nicht demokratisierend.

Derzeit wird über eine EU-weite öffentlich-rechtliche Social-Media-Plattform diskutiert. Was halten Sie davon?

Ich finde, das klingt vielversprechend. Aber wir sehen an öffentlichen TV-Sendern, dass auch diese nicht sicher vor undemokratischen Entwicklungen sind. Wenn eine neue Regierung gewählt wird, ändert sich oft das Programm dieser Sender. In der EU gibt es einen Rechtsruck in den Regierungen, staatliche Sender sind also nicht automatisch progressiver als private Sender.

Rechtsextreme werden auch in Sozialen Medien immer präsenter. Auf X wurden seit der Übernahme von Elon Musk Profile von bekannten Rechtsradikalen wieder freigeschaltet. In Deutschland wurde ein „Masterplan“ zur Abschiebung migrantisierter Menschen ausgearbeitet. Teil dieses Plans war auch die Gründung einer rechten Influencer*innenagentur. Müssen wir uns Sorgen machen?

Ja, damit müssen wir uns beschäftigen. Aber wenn der Plan der Rechtsextremen erfolgreich wäre, dann nicht nur wegen Social Media, sondern weil wir als Gesellschaft nicht stark genug sind, diese Ideologien zu bekämpfen.

Können Sie das erklären?

Ich glaube, das ist klar genug. Social Media ist nicht das Problem, es gab diese Ideologien schon lange, bevor es Social Media gab.

Auch technisch verändert sich gerade viel. Wie werden wir in zehn oder zwanzig Jahren über Medien kommunizieren?

Wir werden intuitivere Wege der Kommunikation nutzen. Zum Beispiel in Form von „Wearables“, etwa VR-Brillen, über die wir uns miteinander verbinden können. Irgendwann wird es auch Armbänder, vielleicht auch Schmuck oder Kleidung mit eingebauter „Connectivity“ geben. Wir werden uns in immersiven virtuellen Realitäten bewegen. Screens werden verschwinden. Das klingt jetzt wie Science-Fiction, aber als das Internet oder Social Media entstanden, wurde auch das zuerst als futuristisch wahrgenommen.

Gerade ist die VR-Brille von Apple auf den Markt gekommen. Im Netz kursieren Videos, in denen Menschen damit in der Bahn sitzen oder auf Dates gehen und die Brille mit Handbewegungen steuern. Das sieht wirklich aus wie aus einem Science-Fiction-Film. Wie könnte das die Gesellschaft verändern?

Ich fürchte, wir werden dieselben Fehler machen, die wir mit Social Media gemacht haben: immer größere Communities, ständige Kommerzialisierung, Verlust von Authentizität und Raumgefühl. Wir müssen verstehen, dass nicht die Plattformen das Problem sind, sondern wie wir sie nutzen und regulieren. Wenn ich viel Schokolade esse, ist das ungesund. Aber die Schokolade ist nicht das Problem. Genauso ist es mit Social Media. Wir können Regulierungen einbauen, aber am Ende müssen wir auch unser Verhalten ändern.

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