Mehr Schutz für Queers: Gegen „Heilung“ und „Beratung“

Seit 2020 sind viele Konversionsbehandlungen verboten, doch nicht alle. Ex­per­t*in­nen fordern strengere Gesetze – und damit mehr Schutz für Betroffene.

Zwei Menschen von hinten. Sie tragen Regenbogenfahnen um die Schultern. Im Hintergrund blauer Himmel und die Türme einer Kirche.

Es geht um Akzeptanz, nicht Umerziehung Foto: Christoph Hardt/imago

BERLIN taz | Ex­per­t*in­nen verschiedener queerpolitischer Verbände fordern einen besseren Schutz queerer Menschen vor Therapien zur „Behandlung“ von Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit. In einem Schrei­ben an die Bundesregierung, das der taz vorliegt, kritisiert die Ex­per­t*in­nen­grup­pe, das geltende Gesetz zum Schutz von Konversionsbehandlungen habe Schwachstellen.

Konversionsversuche sind Praktiken, die queere Menschen „heilen“ sollen. Sie zielen darauf ab, die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identität der Betroffenen zu ändern oder zu unterdrücken. In Deutschland gilt seit 2020 ein Gesetz, das solche Therapien für Minderjährige und Erwachsene mit Einschränkungen untersagt.

„Wir brauchen ein Vollverbot“, sagt Matti Seithe im Gespräch mit der taz. Seithe ist einer der unterzeichnenden Expert*innen, er arbeitet bei der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Bislang verbietet das Gesetz nur Konversionsversuche an unter 18-Jährigen und solche, bei denen die Durchführung „auf einem Willensmangel“ von Erwachsenen beruht. Die Ex­per­t*in­nen fordern deshalb: Diese „Interventionen sind grundsätzlich unethisch und menschenrechtswidrig.“ Sie müssten altersunabhängig verboten sein.

Die Ex­per­t*in­nen fordern außerdem, von „Maßnahmen“ statt von „Behandlungen“ zu sprechen. „Konversionsbehandlungen“ lehne zu stark am Begriff der Therapie an. „Das sind keine Therapien, sie helfen nicht, sie schaden“, sagt Seithe. Wie entsprechende Angebote formuliert seien, hätte sich seit dem Verbot 2020 sprachlich – und damit rechtlich – angepasst. Vor allem vermeintlich „ergebnisoffene“ oder seelsorgerische „Beratungen“ fallen nach dem aktuellen Gesetzestext nicht unbedingt unter das Verbot. Sie sind aber ebenso gefährlich.

Druck aus dem persönlichen Umfeld

Das zeigt eine Erhebung des Forschers Klemens Ketelhut vom Verein Mosaik Deutschland, der ebenfalls zu der Ex­per­t*in­nen­grup­pe zählt. In der nicht repräsentativen Umfrage von 2023 gaben von etwa 3.000 befragten Personen 43 Prozent an, dass ihnen vorgeschlagen wurde, ihre geschlechtliche Identität zu unterdrücken, 29 Prozent sei nahegelegt worden, ihre sexuelle Orientierung zu ändern. Das Erschreckende: Am häufigsten passierte dies im nahen Umfeld, von Familienmitgliedern, in der Schule, der Gemeinde oder der Seelsorge, aber auch in Psychotherapien und Beratungen.

Jenny Wilken, Betroffene

„Ich hätte mich früher outen, ich hätte anders leben können“

Jenny Wilken ist ebenfalls unter den Expert*innen, sie hat selbst Konversionsversuche erlebt. Aufgewachsen in einem tiefchristlichen Umfeld habe Wilken mit 19 Jahren gemerkt, dass sie hinter einer Fassade lebe, sagt sie der taz. Das war 2008. Sie suchte Unterstützung bei einer Beratungsstelle. Was sie dort bekam, war Verurteilung. „Die dritte Frage, die mir gestellt wurde, war, ob ich eine geschlechtsangleichende OP möchte“, sagt Wilken. Weil sie die Frage verneinte, sagten die Beratenden: Dann sei sie nicht trans. Daraufhin setzten Selbstzweifel ein, Wilken fragte ihre Eltern um Rat. Die schickten sie zu einer christlichen Beratung.

Wilken schrieb daraufhin mit einem „Berater“ per Mail. „Erst schien er verständnisvoll. Dann wurde er drohender. Ich sollte wöchentlich berichten, wann und wie oft ich Gedanken hatte, eine Frau zu sein“, sagt Wilken. Der „Berater“ habe ihr zur Hilfe Gebete angeboten. Er habe sie zu „Männer“-Seminaren eingeladen, ihre Gedanken als Sünde bezeichnet, den Teufel beschuldigt. Nach einigen Monaten zweifelte Wilken seine Methoden an. „Ich habe alles versucht, aber meine Gefühle gingen nicht weg“, sagt sie. Sie brach die „Beratung“ ab, bekam aber noch jahrelang Post von dem Verein.

Eltern von Strafe prinzipiell ausgenommen

Zwei Jahre später brach Wilken mit ihrem bisherigen Leben. Sie trat aus den christlichen Jugendgruppen aus, verließ ihr soziales Umfeld. Es sei eine schmerzhafte Zeit gewesen. „Ich habe dadurch zwei Jahre länger gebraucht, um herauszufinden, wer ich bin.“ Sie sagt: Vielen Überlebenden falle es schwer, über das Erlebte zu sprechen. Weil es oft im nahen Umfeld passiere, die Vermittlung an Beratungsstellen innerhalb des religiösen Netzwerkes geschehe.

Aktuell sind Erziehungsberechtigte von einer Strafe ausgenommen, sofern sie nicht ihre Fürsorgepflicht „gröblich verletzen“. Im Koalitionsvertrag kündigte die Ampelregierung an, diese Ausnahme aufzuheben. Ein Versprechen, das die Regierung bisher schuldig bleibt, sagt Matti Seithe. Sven Lehmann (Grüne), der Queerbeauftragte der Bundesregierung, sagt auf Anfrage der taz, es sei wichtig, „zügig Schutzlücken im Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen zu schließen“.

Die Ex­per­t*in­nen fordern neben rechtlichem Schutz auch Forschung, Bildung und Prävention, etwa Schulungen für Beratungsstellen. Mehr Wissen über Transgeschlechtlichkeit und sensiblere Beratung hätten Jenny Wilken in ihrer Jugend viel Schmerz erspart, sagt sie. „Ich hätte mich früher outen, ich hätte anders leben können.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.