Israels Militär in Gaza: Der überzogene Krieg

Israels Ministerpräsident Netanjahu zeigt sich im Gazakrieg starrsinnig. Deutschland ist bei aller Solidarität nicht verpflichtet, eigene Werte aufzugeben.

Eine Frau und ein Mädchen laufen durch ein völlig zerstörtes Viertel in Gaza.

Szenen der Zerstörung in Gaza inmitten des anhaltenden Konflikts zwischen Israel und der Hamas Foto: Dawoud Abu Alkas/reuters

Die israelische Regierung hat die Unterstützung, die sie in Europa und Nordamerika genoss, weitgehend verspielt. Auch in Deutschland läuft kaum noch jemand herum, der sich hinter Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu stellen und sagen mag: Lass weiterbomben, Gaza hat es nicht anders verdient.

Netanjahu findet erkennbar nicht, dass er denen, die stets für die Interessen seines Landes eingestanden sind, irgendetwas schuldet. Vielmehr vertraut er darauf, dass seine Impertinenz und Starrköpfigkeit gegenüber Verbündeten ihm innenpolitisch sogar nützt, ihm daheim weiterhin als Stärke zugerechnet wird: Zeig’s ihnen, Bibi, hau ihnen ihr weichgespültes Wohlmeinen um die Ohren! Lass Deutschland, lass die USA ihre diplomatischen Lieder singen, kämpfen müssen wir hier ohnehin allein für uns.

Das Existenzrecht Israels steht für die Bundesrepublik nicht infrage. Das muss so bleiben, die Gründe sind alle bekannt. Bisher hieß das, dass auch die Unterstützung der Bundesrepublik für die Sicherheit Israels nicht infrage zu stehen habe, was Rüstungslieferungen aller Art mit einschloss. Das muss nicht so bleiben. Netanjahu fährt im Gazakrieg einen Kurs ins Nichts. Nichts soll von Gaza übrig bleiben, nichts ist ihm das Leben der Menschen dort wert, nichts zeigt er an Kompromissbereitschaft für eine gemeinsame Zukunft mit den PalästinenserInnen. Diese Sicherheitspolitik ist keine Unterstützung wert – nicht mehr.

Immerhin öffnet das israelische Kriegskabinett nun doch einige Grenzübergänge für Nahrungs­lieferungen, ob und wie diese dann verteilt werden können, muss sich noch herausstellen. Für diesen ersten Schritt aber bedurfte es der verschärften Drohung der USA, militärische Hilfe zu stoppen – ausgelöst vom Tod der sieben MitarbeiterInnen der internationalen Hilfsorganisation World Central Kitchen.

Nichts soll vom Gazastreifen übrigbleiben, nichts ist Netanjahu das Leben der Menschen dort wert

Das heißt nicht, dass genau jetzt der Punkt erreicht ist, an dem die Abwägung, ob Israels Krieg Unterstützung verdient, kippen muss. Es gab schon vorher genug Gründe, zum selben Schluss zu kommen. Es geht nicht darum, dass das Leben der HelferInnen aus Europa oder Australien irgendwie wertvoller wäre als die von Kindern, die noch keine Chance hatten, sich gegen die Hamas zu entscheiden. Der Vorfall – und derzeit ist durchaus unklar, ob da nicht doch Absicht im Spiel war – illustriert aber, dass die Kriegsführung Israels sogar noch die Belieferung der hungernden Bevölkerung in Nordgaza mit Nahrungsmitteln bedroht. Das darf schlicht nicht sein.

Israel hatte das volle Recht, nach den unerträglichen, bis heute kaum beschreibbaren Attacken der Hamas vor einem halben Jahr zurückzuschlagen. Der Krieg gegen die Hamas schließt notwendig zivile Opfer mit ein, solange diese Terrortruppe ehrlos genug ist, ZivilistInnen als Schutzschilde zu missbrauchen. Es wäre wünschenswert, dass die Hamas zerschlagen würde, und der Gazastreifen hätte, wenn, dann nur ohne die Hamas so etwas wie eine Zukunft.

Zu viele Unschuldige sterben

Doch inzwischen stellt sich heraus, dass die Art Krieg, die Israel führt, zwar viele Hamas-Kader das Leben kostet – aber nur um den Preis, dass zu viele Menschen sterben, die mit der Hamas nichts am Hut haben, dass zu viele Regeln, die im Krieg zu gelten haben, gebrochen werden, dass aus der Gemengelage deutlich wird: Hier wachsen garantiert neue Terrortruppen-Kader heran.

Natürlich wäre ein Stopp der Rüstungsausfuhren nach Israel zunächst eher symbolischer Natur. Das Land ist auf Waffen aus Deutschland nicht angewiesen – wobei sich die Ausfuhrgenehmigungen nach Israel ab dem 7. Oktober 2023 vervielfacht haben. In jedem Fall würde Netanjahu einen solchen Exportstopp vermutlich mit Hohn quittieren.

Deutschland verliert Glaubwürdigkeit

Doch gibt es sehr berechtigte Zweifel, ob Waffenlieferungen an Israel überhaupt noch völkerrechtlich zulässig sind. Deutschland verliert in den Augen der Welt Glaubwürdigkeit, wenn es an Israel so grundsätzlich andere Standards anlegt als an andere Länder. Wie will die Bundesregierung noch auf Basis des Völkerrechts internationale Solidarität mit der Ukraine einfordern, wenn sie für Israel solche Ausnahmen vom Völkerrecht zulässt?

Es muss der großartigen Demokratie Israel – ja, genau: der einzigen Demokratie in Nahost – gelingen, ihre aktuelle Regierung abzuschütteln. Mag sein, die internationale Isolation der Regierung Netanjahu bestärkt ihn und seine Fans sogar noch in ihrem falschen Stolz. Doch auch die Bundesrepublik ist nicht verpflichtet, zugunsten einer israelischen Innenpolitik, die nur auf blinden, verhärteten Trotz setzt, ihre eigenen Werte aufzugeben.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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