„Oktober in Europa“ der Antilopen Gang: Der Antisemitismus der anderen

Die Band Antilopen Gang macht mit ihrem neuen Track vor, was gerade sehr verbreitet ist: Deutsche Schuld wird auf andere abgeladen.

3 Männer der Band Antilopen Gang

Die Band Antilopen Gang Foto: Danny Koetter

Die Band Antilopen Gang hat mit „Oktober in Europa“ einen neuen Song veröffentlicht – mit dem eigentlich löblichen Vorhaben, Antisemitismus zu kritisieren und der Hamas-Opfer zu gedenken.

Leider wirkt es aber auch hier so, als würde die Band in ein sich wiederholendes Muster verfallen: Viele, die sich zum Nahostkonflikt positionieren, scheinen damit vorrangig eine politische Agenda zu verfolgen.

So gibt es unter Palästina-Solidarischen oft auch solche, denen der Konflikt ein Vorwand ist, um den eigenen Antisemitismus auszuleben; und umgekehrt gibt es unter Israel-Solidarischen oft auch solche, denen der Konflikt ein Vorwand ist, um den eigenen antiarabischen oder antimuslimischen Rassismus auszuleben.

Als gäbe es nicht progressive Kräfte und schützenswerte Leben auf beiden Seiten – wobei allein die Idee von „zwei“ Seiten schon verkehrt und nationalistisch ist.

Der akute Mangel an Verstand und das Desinteresse am Menschlichen, mit denen diese diskursiven Fronten weiter ausgebaut werden, ist Rechthaberei auf dem Rücken von Menschenleben. Oder, mit den Worten von Ilija Trojanow vor wenigen Wochen in dieser Zeitung: „Wer die Verbrechen der Hamas gutheißt oder die Grauen der israelischen Angriffswellen ohne Wenn und Aber rechtfertigt, hat an seiner Seele Schaden genommen.“

Diesem Seelenschaden gesellt sich insbesondere in Deutschland (auch in Form dieses Lieds) noch ein weiterer Aspekt hinzu. Es scheint eine Sehnsucht im kollektiven Unterbewusstsein der Deutschen zu geben, sich der deutschen Schuld – auf welche Art auch immer – zu entledigen. So lässt sich auch die Antilopen Gang zu dubiosen Zeilen hinreißen, darunter insbesondere folgende: „Zivilisten in Gaza sind Schutzschild der Hamas / Schutzschild der Nachfahr'n der Juden-Vergaser“.

Abgesehen von der Holocaust-Verharmlosung, die dem innewohnt, sowie der Reduzierung Zehntausender Toter auf die Funktion eines Schutzschildes: Die „Nachfahr'n der Juden Vergaser“ – sorry für den Spoiler – sind in erster Linie Deutsche. Wer dazugehört, sollte klarstellen, dass darin ein „Wir“ steckt und nicht „die anderen“. Die Täter-Abstammung jemand anderem anhängen zu wollen, die deutsche Schuld und Täterschaft also abzuwälzen, kann nicht im Sinne des Kampfs gegen Antisemitismus sein.

Wenig rühmlich und in dieselbe Richtung äußerte sich auch der Antisemitismus-Beauftragte von Baden-Württemberg, Michael Blume. Als im Dezember die Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr in einer DLF-Debatte von „Menschen mit Nazi-Hintergrund“ sprach und korrekterweise klarstellte: „Also wir, die wir hier sprechen“, unterbrach Blume sie empört: „Ekelhaft! Ekelhafter Spruch. Lasse ich mir nicht sagen. Deutsche mit Nazi-Hintergrund, was soll denn das bitte heißen?“. Augen auf bei der Berufswahl. Als Antisemitismus-Beauftragter hätte man sich zu dieser Frage mitunter am meisten Gedanken machen sollen.

Beide Beispiele verdeutlichen eine katastrophale Dimension der Selbstgerechtigkeit und der Geschichtsverklärung: Antisemitismus, das sind die anderen.

Die Steigerung dessen: Der Holocaust, das waren die anderen.

Diese Tendenz tritt zutage, wenn Deutsche die Verbrechen der Hamas mit dem Holocaust gleichsetzen. Darin steckt auch eine Sprachlosigkeit über das Grauen, man greift zu äußersten Mitteln, um es zu beschreiben – darin offenbart sich aber auch ein Bedürfnis, von eigenen Verbrechen abzulenken. Womöglich ist das eine neue Stufe dessen, was Max Czollek als Versöhnungstheater beschrieben hat: Alles ist gut, wir waren's nicht.

Doch die deutsche Schuld ist nicht zu tilgen. Der Kampf gegen Antisemitimus ergibt sich als Notwendigkeit aus dieser Schuld, aber er wird sie niemals beseitigen.

Nun werden Antilopen Gang oder Michael Blume womöglich erklären, das sei alles ganz anders gemeint. Fair enough. Vielleicht können sie Missverständnisse ausräumen. Sie müssten aber mindestens zugeben, dass ihre Worte eine Zweideutigkeit zugelassen haben, dass sie damit einen Nerv getroffen haben, wie die begeisterten Reaktionen von Regierungsvertretern bis Springer-Presse zeigen.

Wünschenswert wäre vor allem, auch bei anderen Äußerungen mehr Milde zu zeigen, mehr in die Debatte zu gehen, nachzufragen: Wie war das gemeint?

Denn aktuell ist es absurderweise so, dass antisemitische Geschichtsklitterung aus dem Munde von Deutschen meist keine Konsequenzen hat, solange sie sich dabei der israelischen Regierung gegenüber treu zeigen. Dagegen führt Kritik an der israelischen Regierung, oft auch von nichtdeutschen Juden und Jüdinnen, wie zuletzt der Philosophin Nancy Fraser, zur Aberkennung von Preisen und Posten. Das ist eine unhaltbare Schieflage.

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