Streit um Albertus-Magnus-Professur: Bedrohte Wissenschaftsfreiheit

Kölns Unirektor lädt die US-Philosophin Nancy Fraser aus, weil ihm deren Kritik an Israel zu weit geht. Wis­sen­schaft­le­r:in­nen sind entsetzt.

Der Kölner Unirektor Joybrato Mukherjee sitzt auf einem Podium

Steht nach der Ausladung von Nancy Fraser unter heftiger Kritik von Wissenschaftler:innen: Kölns Unirektor Joybrato Mukherjee Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | „Mit großem Bedauern teilen wir ihnen mit, dass die Albertus-Magnus-Professur 2024 mit Nancy Fraser nicht wie geplant stattfinden wird“, erklärt die Universität Köln auf ihrer Webseite. Alle ursprünglich zwischen dem 15. und 17. Mai geplanten Veranstaltungen würden entfallen. Die Begründung: Die Uni hat die bekannte US-Philosophin ausgeladen, weil ihr deren Kritik an Israel zu weit geht.

Konkret macht sie Fraser ihre Unterschrift unter den offenen Brief „Philosophy for Palestine“ zum Vorwurf. In dem Brief werde „das Existenzrecht Israels als ‚ethno-suprematistischer Staat‘ seit seiner Gründung 1948 faktisch infrage gestellt“, heißt es in einer Stellungnahme der Universität, die am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 werde zudem „in rechtfertigender Weise relativiert“, so ein weiterer Vorwurf. Außerdem würde der Brief „zum akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen“ aufrufen.

Der umstrittene Brief „Philosophy for Palestine“ war im November veröffentlicht worden, bis heute haben ihn 200 Wissenschaftler unterschrieben, darunter Koryphäen wie Etienne Balibar, Angela Davis, Owen Flanagan und Judith Butler. Der Brief hatte aber auch heftige Kritik auf sich gezogen, unter anderen von der türkisch-amerikanischen Politikwissenschaftlerin und Philosophin Seyla Benhabib. In Köln hatte man davon offenbar nichts mitbekommen. Erst nachdem im März die Einladungen versandt worden waren, kam aus der Fakultät ein Hinweis darauf.

„In Anbetracht Ihrer Unterstützung für diese Erklärung sehe ich mich zu meinem Bedauern gezwungen, auf meine Einladung zu verzichten“, schrieb Kölns Universitätsrektor Joybrato Mukharjee daraufhin an Fraser. „Ich bin gerne bereit, Ihnen die Gründe für diese Entscheidung in einem Telefongespräch oder per Videoanruf mitzuteilen.“

Persönliche Entscheidung des Kölner Unirektors

Der Anglist Mukherjee, der auch Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) ist, vertritt die deutsche Staatsraison sehr engagiert. Im Januar lud er etwa den israelischen Botschafter Ron Prosor, einen rechten Hardliner, zu einem Vortrag an die Universität ein. Proteste versuchte Mukherjee schon im Vorfeld zu unterbinden. Gegen drei Studierende, die sich zu der Veranstaltung angemeldet hatten, verhängte er deshalb ein befristetes Hausverbot. Das Kölner Verwaltungsgericht gab einem Eilantrag der Studierenden nach und kippte das Hausverbot rechtzeitig.

Mukherjee persönlich hat jetzt auch die Entscheidung getroffen, Fraser auszuladen. Die Albertus-Magnus-Professur sei „eine zentrale Angelegenheit des Rektors“ mit großer Symbolkraft und werde als „besondere Auszeichnung“ der Universität wahrgenommen, heißt es in der Stellungnahme der Universität. Die Aussagen im Brief der Phi­lo­so­ph:in­nen seien mit der Haltung der Universität und „mit unseren intensiven Beziehungen zu israelischen Partnerinstitutionen nicht vereinbar“. Pikanterweise ist Fraser – wie etliche Un­ter­zeich­ne­r:in­nen – jüdischer Herkunft, was die Uni und ihren Rektor aber nicht weiter beirrt.

Dabei hat sich Fraser der Kritik an dem offenen Brief schon im November in einem Interview mit dem österreichischen Standard gestellt. Sie kritisierte darin „die Brutalität und abstoßende Gewalt des Anschlags, den Hamas-Attentäter am 7. Oktober begangen haben“, und bestritt auch nicht Israels Existenzrecht. Schwerer wiegt allerdings wohl, dass Fraser in dem offenen Brief den akademischen Boykott israelischer Institutionen befürwortete, den Mukherjee ablehnt.

Protest von Wis­sen­schaft­le­r:in­nen

Zahlreiche Wis­sen­schaft­le­r:in­nen zeigen sich über die Kölner Ausladung von Nancy Fraser entsetzt. Das sei ein „weiterer Versuch, die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion zu Israel und Palästina unter Verweis auf vermeintlich eindeutige und regierungsamtlich definierte rote Linien einzuschränken“, schreiben in einer gemeinsamen Stellungnahme mehr als 30 Professor:innen.

Wissenschaftler:innen, „die vermeintlich problematische Positionen vertreten“, sollen aus der Diskussion ausgeschlossen werden, „auch wenn sich, wie im Fall Nancy Frasers, weder ihre eigene Arbeit noch die geplanten Veranstaltungen überhaupt mit dem Konflikt in Israel und Palästina befassen“, kritisieren sie.

Zu den Un­ter­zeich­ne­r:in­nen gehören die Philosophinnen Alice Crary, Sally Haslanger, Rahel Jaeggi, Andrea Maihofer und Julia Rebentisch sowie die Soziologen Klaus Dörre, Axel Honneth, Stephan Lessenich, Oliver Nachtwey und Hartmut Rosa. Mit dabei ist auch Seyla Benhabib.

Das Vorgehen des Kölner Rektorats widerspreche dem hohen Gut der Wissenschaftsfreiheit sowie dem internationalen Austausch, heißt es in der Stellungnahme. Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen forderten Mukherjee auf, seine Ausladung wieder zurückzunehmen, ansonsten würde das „dem akademischen Leben hierzulande weiteren schweren Schaden“ zufügen.

Nicht der erste Fall

Auch in den sozialen Medien schlägt der Fall hohe Wellen. Er markiere „einen neuen Tiefpunkt“, schrieb Lucio Baccaro, Direktor am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, am Freitag auf Facebook. „Ich kann mir keine deutlichere Bedrohung der akademischen und allgemeinen Freiheit vorstellen.“ Der Jurist Ralf Michaels, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, nannte die Vorwürfe gegen Fraser auf der Plattform X „falsch“ und „ehrenrührig“.

Bereits im Februar gab es einen ähnlichen Fall. Da hatte die Max-Planck-Gesellschaft sich von dem renommierten libanesisch-australischen Anthropologen Ghassan Hage getrennt, den sie erst 2023 als Gastforscher an ihr Institut in Halle eingeladen hatte.

Nach dem 7. Oktober äußerte sich Hage in den sozialen Medien wütend über den Gaza-Krieg und seine Opfer. Die Max-Planck-Gesellschaft befand deshalb in einer Presseerklärung, er habe mit seinen Äußerungen „die Wissenschaft beschädigt“, weshalb man die Zusammenarbeit mit ihm beendet habe. Hage hat angekündigt, juristisch gegen seinen Rausschmiss vorzugehen.

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