Polizeieinsatz in Tempelhof: „Palästina-Kongress“ aufgelöst

Die Polizei beendete den Kongress bereits wenige Stunden nach dessen Beginn in Berlin-Tempelhof. Einer der Redner habe politisches Betätigungsverbot.

Berlin: Polizisten stehen vor der Veranstaltungshalle des Palästina-Kongress 2024 vor Teilnehmern, die darauf warten reingelassen zu werden.

Die Polizei setzt am gesamten Wochenende bei dem Kongress 2.500 Be­am­t*in­nen ein Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Aktualisiert am 12. April 2024 um 21:39 Uhr

BERLIN taz | Die VeranstalterInnen des am Freitag von der Polizei beendeten Palästinakongresses haben das Vorgehen in einer Stellungnahme gegenüber der Presse scharf kritisiert und rechtliche Schritte angekündigt. Der Vorsitzende des Vereins „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“, Wieland Hoban, sagte am Freitagabend, der „deutsche Staat“ habe „einen sehr zweifelhaften Vorwand gefunden, um die Veranstaltung zu unterbrechen“, nachdem es ihm nicht gelungen sei, sie von Anfang an zu verbieten.

Hoban sprach von „antidemokratischen und autoritären Tendenzen“, die Tag für Tag zunähmen, „aber die Welt schaut zu“. „Wenn man einen Kongress wegen Dingen cancelt, die dort vielleicht gesagt werden könnten“, so Hoban über die nachträglich von der Berliner Polizei gegebene Begründung, „dann befinden wir uns auf dystopischem Terrain.“ Das gebe dem Staat beliebige Autorität zum Handeln. Die Polizei hatte erklärt, Grund des Abbruchs sei die per Video übertragene Rede eines Mannes gewesen, für den in Deutschland ein politisches Betätigungsverbot gelte.

Der frühere griechische Finanzminister und linke Palästina-Aktivist Yanis Varoufakis, der als Teilnehmer des Kongresses nach Berlin gekommen war, veröffentlichte am Abend in den sozialen Medien die Rede, die er halten wollte. „Machen Sie sich selbst ein Bild davon, wohin sich die deutsche Gesellschaft entwickelt, wenn die Polizei solche Aussagen verbietet“, schrieb er dazu.

Erst am Vormittag hatten die Ver­an­stal­te­r*in­nen den Ort des Palästinakongresses bekannt gegeben – ein Bürogebäude in Tempelhof, ausgerechnet in der Germaniastraße. Dort war am Freitagnachmittag das Chaos perfekt: Mehrere Polizeihundertschaften aus Berlin und NRW schirmten den Veranstaltungsort und die Straße ab. Bereitschaftspolizei befand sich auch im Saal. Insgesamt waren an dem Tag 900 Po­li­zis­t*in­nen eingesetzt.

Polizei lässt Teil­neh­me­r*in­nen nicht rein

Angeblich ließen die Brandschutzbestimmungen nur eine Anzahl von 250 Menschen zu; etwa 250 weitere Teil­neh­me­r*in­nen wurden deshalb nicht in den Saal gelassen und versammelten sich aufgebracht vor dem Gebäude. Einige hielten Palästinafahnen hoch, Ak­ti­vis­t*in­nen bauten eine improvisierte Soundanlage auf und intonierten Parolen wie „Freiheit für Palästina“ oder: „Meinungfreiheit – hahaha!“. Sie hielten es für Schikane, dass sie nicht in den Saal gelassen wurden. Pro-israelische Gegenproteste gab es diesmal nicht.

Der angekündigte Livestream begann um Stunden verspätet. Die ersten Red­ne­r*in­nen feierten es als Erfolg, dass der Kongress überhaupt stattfinden könne trotz aller „State Repressions“. Den Vortrag von Salman Abu Sitta, während dessen Übertragung die Polizei den Strom abgestellte, hatten die Ver­an­stal­te­r*in­nen als zuvor aufgenommene Videobotschaft eingespielt. Im Vorfeld hatte der Antisemitismusbeauftragte des Bundes ein Einreiseverbot für Abu Sitta gefordert. Eingeleitet hatte der Redner seinen Videobotschaft mit den Worten, dass das, was in Gaza derzeit passiere, „mit nichts in der Menschheitsgeschichte vergleichbar“ sei.

Am Nachmittag wurde ebenfalls bekannt, dass einer der Hauptredner*innen, Ghassan Abu Sittah, am Flughafen BER die Einreise verweigert wurde. Der in London lebende Abu Sittah ist Arzt und verbrachte den Angaben zufolge im Oktober und November 43 Tage im Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt, während dieses bombardiert wurde. Ein Grund für die Einreiseverweigerung wurde nicht genannt.

Die spontane Kundgebung vor dem Gebäude wurde von der Polizei nur bis 16 Uhr genehmigt. Anschließend betraten Po­li­zis­t*in­nen den Veranstaltungssaal und brachen die Konferenz und den Livestream ab. Auch hierfür wurden laut VeranstalterInnen zunächst keine Gründe genannt.

Dass der umstrittene Palästina-Kongress, den israelkritische Gruppen unter dem Motto „Wir klagen an“ für dieses Wochenende organisiert hatten, in Tempelhof stattfinden würde, teilten die Ver­an­stal­te­r*in­nen am Freitagvormittag auf einer Pressekonferenz in einem Büro in Wedding mit. Draußen vor dem Interbüro in der Genter Straße stand bereits viel Polizei. Etwa 20 De­mons­tran­t*in­nen demonstrierten friedlich mit Israelfahnen gegen den Kongress. Eine Frau hielt ein Schild „Antizionism = Antisemitism“ in die Höhe.

Gegenseitiges Misstrauen

Nicht alle Pres­se­ver­tre­te­r*in­nen passten in den kleinen Raum, die Stimmung war angespannt und von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Wieland Hoban, Vorsitzender des Vereins „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ und Karin de Rigo von der kleinen linken Partei MERA25 leiteten die Pressekonferenz. „Zeiten des Friedens gibt es für Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen nicht“, begann de Rigo.

Der Kongress unter dem Motto „Wir klagen an“ sei eine Anklage gegen den „Genozid“ und die deutsche Mitschuld daran. Hoban verwies darauf, dass der Internationale Gerichtshof den Vorwurf des Völkermords gegen Israel für „plausibel“ halte und der UN-Menschenrechtsrat einen Stopp der Waffenlieferungen gefordert hat. Dennoch habe Deutschland seit 2003 über 4.000 Exportlizenzen für Rüstungsgüter nach Israel erteilt. „Diese Unterstützung muss sofort unterbrochen werden“, so Hoban.

In teils drastischen Worten prangerten Hoban und de Rigo das Vorgehen Israels in den palästinensischen Gebieten sowie die deutsche Unterstützung Israels an. Auf dem Kongress wolle man Ideen und Perspektiven austauschen und Strategien entwickeln. Hoban beklagte die Repression im Vorfeld des Kongresses, diese sei eine „klare politische Bedrohung der freien Meinungsäußerung“. Versammlungs- und Organisationsfreiheit würden eingeschränkt, „um die Forderung nach einem Waffenstillstand zu verhindern“.

Angebliche „Hasskampagne“ gegen den Kongress

Zudem beklagte er eine „Hasskampagne“ gegen den Kongress. Diese sei „unglaublich und nicht würdig für ein demokratisches Land“. Aber man werde „nicht zulassen, dass die Stimmen gegen einen laufenden Völkermord zum Schweigen gebracht werden“. Man werde sich „über alle Strategien des friedlichen Widerstands unterhalten“, ergänzte de Rigo. Der Kongress wird von zahlreichen BDS-nahen Organisationen sowie kommunistischen Gruppen unterstützt.

Gegen den Kongress hat sich ein „Bündnis gegen antisemitischen Terror“ gegründet, dem neben dem Zentralrat der Juden auch Po­li­ti­ke­r*in­nen fast aller im Parlament vertretenen Parteien angehören. Sie befürchten, dass es auf der Konferenz zu „Terrorverherrlichung“ und „Forderungen nach der Vernichtung Israels“ kommen könnte. Davon war auf der Pressekonferenz jedoch nichts zu hören.

Allerdings vermieden es die Ver­an­stal­te­r*in­nen auch auf Nachfrage, sich klar von der Hamas zu distanzieren: „Wir kooperieren mit keinen verbotenen Organisationen. Wir lehnen das Töten von Zivilisten ab“, so Hoban. Priorität sei, dass alle Menschen im von Israel kontrollierten Gebiet frei und gleichberechtigt leben könnten. Auf die Frage nach dem Existenzrecht Israels antwortete Hoban, dass er eher die Existenz der Palästinenser bedroht sehe.

Die Polizei setzt am gesamten Wochenende bei dem Kongress in einem Bürokomplex in der Germaniastraße 2.500 Be­am­t*in­nen ein und hat gegen die Veranstaltung zahlreiche Auflagen erlassen. Ähnlich wie schon bei propalästinensischen Demonstrationen sind Aufrufe zur Gewalt, Terrorverherrlichung, antisemitische Sprüche, die Leugnung des Existenzrechts Israels oder Aufrufe zur Vernichtung Israels untersagt. Innensenatorin Spranger sagte der Polizei schon im Vorfeld volle Unterstützung bei ihrem Handeln zu.

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