Die Wahrheit: Noch mal acht sein

Hinaus, hinaus, den Fluss entlang! Wer dann auf ein waschechtes Eierhäuschen trifft, kann von so mancher Moritat aus Kindheit und Jugend berichten.

Es war in etwa so wie auf dem Faust’schen Osterspaziergang, wo es beim Goethe heißt: „Sieh nur, sieh! wie behänd sich die Menge / durch die Gärten und Felder zerschlägt / Wie der Fluss in Breit’ und Länge / so manchen lustigen Nachen bewegt, / […] Ich höre schon des Dorfs Getümmel …!“, und so weiter und so fort.

Jedenfalls trug sich das Folgende zu am Ostersamstag in Berlin, Hauptstadt von und zu Hipster-, Spießer- und Trödeltum. Denn: „Hier ist des Volkes wahrer Himmel / Zufrieden jauchzet Groß und Klein: / Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“

Hinaus also an die Spree, hinaus mit Tausenden, auf und mit tausenden Fortbewegungsmitteln aller Art und Launen, hinaus mit menschlichen und tierischen Windhunden und mit kleckernden Kleinkindern. Alles und jedes dekoriert mit Saharasand, der den Himmel über Berlin weitläufig wegdämmern ließ.

Wir waren also entlängs der Massen am Ziel unserer Navigationswünsche angelangt, die Reifen der Räder trugen uns geschwind und unplattbar durch den vollen Volkspark Treptower Park zum „Eierhäuschen“, einem einst im 19. Jahrhundert erbauten Berliner Ausflugslokal am Rande des Plänterwalds direkt am Ufer der Spree. So weit so idyllisch.

Idyllisch ist auch, dass das Eierhäuschen entweder so österlich heißt, weil hier nebenbei Eier an Spreeschiffer verhökert wurden, oder weil der Preis beim Ruderwettbewerb aus einem Schock Eier bestand, das da ist fünf Dutzend, also 60 Stücker.

Sonderbar benamst

Schon der alte Autor Fontane fand, dass das Häuschen, das gar kein Häuschen ist, sondern ein stattlich schönes, höchst einladendes Haus, „sonderbar benamst“ sei. Sonderbar benamst ist es auch heute. Denn nach aufwändiger Sanierung, das Eierhäuschen lag seit nach der Wende und einem nach Peru getürmten Investor brach, wurde das im PLZ-Bereich 12437 liegende Lokal „EI-12437-B“ getauft. PLZ-Witze haben sich mir noch nie erschlossen, aber vielleicht werde ich einfach auch nur alt.

Dafür aber nicht kaltherzig, denn als unsere Räder nahe Eierhäuschen schließlich einen freien Parkplatz fanden, schloss nebenan ein mittelalter Mann sein Gefährt an. Was er sprach von früher und einst erwärmte mein Gemüt. Der Mann hub an, dass er noch in den DDR-Achtzigern mit Großfamilie und Kegel den neben dem Eierhäuschen gelegenen Kulturpark Plänterwald besucht hatte.

Jener war der einzige Freizeitpark im Arbeiter- und Bauernstaat gewesen. Als Spreepark Berlin verfiel er bis vor Kurzem, inklusive Riesenrad und rotten Dinos. Jetzt soll alles wieder schnieke werden, Berlin hat irgendwo Geld gefunden.

Ob es allerdings im Spreepark so knorke wird wie damals, bezweifle ich. Der Mann am Eierhäuschen-Ständer endete mit: „Das Schönste dort war die Westernstadt, vor dem Saloon rauchten die Colts.“ Winkend verließ er uns: „Noch mal acht Jahre sein, das wärs.“

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Seit 2013 bei der taz-Wahrheit, zeitweise auch Themenchefin in der Regie und Redaktionsrätin. Außerdem Autorin mit Schwerpunkt Frankreich-Themen

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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