Die Wahrheit: Die Noah-Verschwörung

Alle Jungs, aber auch alle heißen Noah und machen in Schiffen und Booten. Kommt sie jetzt, die Sintflut?

Eine Spielzeugarche.

Auch die bei Playmobil haben die Bibel gelesen Foto: dpa

Als ein etwa 5-jähriger Knirps eine T-Shirt-Kanone auf mich richtete, wusste ich, dass ich auf einer heißen Spur war.

Aber von vorne. Ein gut informierter Freund eines Freundes, für den ich gefragt hatte, hatte mir eine Statistik gezeigt: An­gesichts des fortlaufenden Weltuntergangs aka Spätkapitalismus waren die Geburtenzahlen der letzten Jahrzehnte stetig heruntergegangen, ja, sie waren tatsächlich abgesackt; doch im Vergleich dazu war die Anzahl der männlichen Kinder, die den Namen Noah verpasst bekamen, nahezu exponentiell angestiegen.

Ich wusste nur ungefähr, was das bedeuten sollte, das Wort „exponentiell“ hatte ich im Zuge irgendeines Krankheitsverlaufs mal aufgeschnappt. Es bedeutete, so versicherte mir der Freund und Geburts­experte, dass es immer weniger Kinder geben würde, aber von den Jungen und Buben hießen immer mehr Kids Noah. Und diese würden seit geraumer Zeit nun beginnen, kleine Archen zu bauen. Alles nur ein Zufall?

Ich schlug in der Bibel nach, wusste aber nicht, wo genau. Würde ich bei Adam und Eva beginnen müssen? Waren die auf dem Schiff aus dem Paradies vertrieben worden? Oder hatten sie trampen müssen? War „Das Buch Noah“ zuständig oder doch die „Offenbarung des Johannes“?

Gott hasst alle

Findig wurde ich in der Genesis, dem 2. Kapitel. Da stand, dass Gott alle hasste. „Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist da; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat.“ Wie prophetisch! Wie aktuell! Krass, dieser Gott, dachte ich. Wusste doch recht viel. Doch dann hieß es etwas später im Text: „Noah war sechshundert Jahre alt, als die Flut über die Erde kam.“ Wie bitte? Das konnte nur bildlich gemeint sein.

Vielleicht war mit Noah der Mensch an sich gemeint. Oder der Mensch nach der Entdeckung Amerikas. Oder Gott hatte sich mit den Nullen vertan – einfach zwei angehängt. Noah war, wie ja auch meine Quellen vermuteten, sechs Jahre alt. Sechs, nicht sechshundert.

Ich blätterte weiter, aß etwas, gähnte herzlich und sah mir „aus Recherchegründen“ und Langeweile einen absonderlichen Film mit Steve Carrell auf Sat.1 an, für den er für den besten Schrei ausgezeichnet worden war. Die darauffolgenden Tage hörte ich mich im erweiterten Bekanntenkreis um: Kinder waren da zahlreich vorhanden, schließlich hatte ich selbst eins, das einen biblischen Namen trug. Allerdings war das ein Mädchen.

3 Akkorde

Tatsächlich gab es wohl eine Linie – der Name Noah hatte sich überall vervielfacht; und nun waren nach und nach Kinder mit Schiffsbauprojekten und Kuscheltiersammlung, von jeder Gattung zwei, aufgetaucht. Was sollte das bedeuten? Hieß es in den heutigen Heißzeiten nicht mehr „Hier sind drei Akkorde, gründet eine Band“, sondern „Hier sind drei Kuscheltiere, werft eines weg und baut eine Arche“? Aber reichten denn viele, viele kleine Archen, um Mensch und Tier vor gewaltigen Wassermassen zu retten?

Ich traf mich mit Fräulein Menke, die sich selbst so nannte, der professionellen Tante meiner Tochter, die diesseits der Grenze zu Österreich allerdings nach alter Mode Kinder­gärtnerin genannt wird und nach neuer Mode Erzieherin. Komplizierte Welt! Im Hintergrund schrie heftig ein Kind, obwohl es schon sprechen konnte. Fräulein Menke roch streng aus dem Mund, eine Tatsache, die ich jedoch über­riechen konnte, sodass ich uneingeschüchtert von ihrer oralen Aura meinen Fragen­katalog vor ihr ausbreitete.

Ja, sie hatte Werkkurse mit den ­Kindern absolviert, und ihre drei Noahs hatten dafür tatsächlich recht werktreue Nachbildungen der berühmten Arche von zu Hause mitgebracht und im Kurs nachgebaut. Gedacht habe sie sich nichts dabei – wer Noah heißt, will Arche bauen, so habe sie sich das Phänomen erklärt.

„Allerdings reden die seit Neuestem nur noch in so einer Art Kauderwelsch miteinander“, fügte sie hinzu. „Babysprache.“ – „Nein, das klingt schon nach echter Kommunikation. Altgriechisch oder so.“

Sintflut, bitte nach mir

Der Verdacht erhärtete sich: Die Noahs waren Schläfer, die jetzt allmählich geweckt und vorbereitet wurden. Ich sah mich im angeschlossenen Kindergarten um. Der Noah, den ich am Schlaffittchen packen konnte, entwischte mir leider schnell. Antworten wollte er nicht. Der zweite richtete wie oben bereits berichtet eine T-Shirt-Kanone auf mich, Gott weiß, wo die herkam.

Für diesen Tag, der noch nicht der letzte war, blieb die Frage: Sind wir Erwachsene doomed, ist der archetypische Bau nur für die Generation A wie Arche? Kommt die Sintflut und gehen wir alle unter, außer den Noahs und ihrer Kuscheltiersammlung? Oder wird diese sukzessive durch richtige Tiere ersetzt?

„Durch richtige vielleicht schon“, meinte Fräulein Menke dann überraschenderweise doch, „allerdings nur durch solche, die man auch im Streichelzoo findet“. Und die Artenvielfalt? „Die ist eh ruiniert“, ließ mich das Fräulein schließlich im Regen stehen.

Im Regen stehen! Ging es jetzt schon los? Die letzten Tage waren apokalyptisch genug, allerdings in die umgekehrte Richtung: Wir würden alle verglühen und verdursten, da alles Wasser weggedunsen sein würde oder wie das heißt. Das Gegenteil von Regen, das Gegenteil einer Sintflut.

Im Vorhof des Kindergartens lag ein Einhorn mit abgeschlagenem Horn, ein Nullhorn. In der Garage nebenan sah ich ein halb verrostetes, halb neugestrichenes Tretboot. Wehe dem, wer Zeichen sieht. Am Ende des Tages hilft nur noch warten. Vielleicht kommt ja Quinn der Inuit und rettet uns.

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kari

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