Die Wahrheit: Berufsbegleitendes Anpfeifen

Wer auf Sizilien mit pilotenbebrillten ­Helden des Nahverkehrs aka freundlichen Busfahrern unterwegs ist, will nie wieder in Deutschland zusteigen.

Meine Freundin ist neuerdings eine große Bewunderin sizilianischer Busfahrer. Mit „Sprezzatura“, jener Fähigkeit, lebensgefährliche Situa­tio­nen lässig zu ignorieren, navigierten diese pilotenbebrillten ­Helden des Nahverkehrs uns einige Wochen durch Sizilien. Daneben halfen die Busmänner beim Gepäckeinladen, charmierten Frauen, Kinder und Haustiere und gaben Touristen bereitwillig Auskunft, sogar in ahnungsweise englischer Sprache.

Wenn ein Fahrgast dem Bus verspätet hinterherwetzte, hielten sie einfach noch mal an. Wenn jemand auf einer Überlandfahrt Pipi musste, stoppten sie an der nächsten Bar. Auch im Stau kamen den Wagenlenkern nie Schimpfworte über die Lippen. Und wenn, dann nur äußerst wohlklingende auf Italie­nisch. Fahrgäste blieben hingegen auch bei Fehlverhalten unkujoniert.

Eine ganz andere Beförderungskultur herrscht bekanntlich in Deutschland. Dort darf sich auch der ortsfremde Laie kein bisschen dumm anstellen, sonst gibt es gleich Mecker. Als wir kürzlich nach dem Rückflug von Palermo nachts an der heimischen Haltestelle standen, konnten wir zunächst den Bus nicht finden, weil er nicht hupte.

Als wir einsteigen, schaut meine Freundin den Fahrer erwartungsvoll an. „Gepäck nicht in den Gang!“, raunzt der zur Begrüßung, und meine Freundin antwortet mit einer Geste, die sie als Souvenir vom Mittelmeer mitgebracht hat.

Ich frage mich dagegen, wie die identitätsstiftende Unfreundlichkeit deutscher Busfahrer auch in einer Zuwanderungsgesellschaft garantiert wird, und stelle mir vor, dass in Abendkursen der Verkehrsunternehmen zahlreiche Irinas und Bülents, Aminullahs und Radovans sitzen, die unter der sachkundigen Anleitung eines altgedienten Helmuts oder einer resoluten Annemarie berufsbegleitendes Anpfeifen und Abkanzeln pauken.

Rüffel-Coach für Migranten am Öffi-Steuer

Auf Bundesebene übernimmt Friedrich Merz gern die Rolle des herablassenden Maßreglers. Als Rüffel-Coach für Migranten am Öffi-Steuer wäre er eine Idealbesetzung, aber er fliegt ja lieber mit dem Privatjet. Dabei tritt der Sauerländer mit dem verkniffenen Busfahrergesicht derart eigenbehaglich nach unten, dass sogar Schulbusfahrer von ihm lernen könnten.

„Kennen Sie Friedrich Merz?“, spreche ich unseren Fahrer an. „Der ist das Gegenteil von Sizilien.“ Den CDU-Vorsitzenden kennt der Mann nicht, aber die italienische Insel ist ihm gut vertraut. Seine Eltern stammen aus einer sizilianischen Kleinstadt.

„Dort sind wir sehr schön umgestiegen“, erzähle ich. „Aber es hat etwas gedauert, bis wir die Haltestelle fanden.“ Wir verstricken uns in eine Diskussion über die verstecktesten Bushaltestellen Siziliens, von denen einige von den Phöniziern angelegt und dann sofort vergessen wurden.

Dann angelt der Busfahrer eine Sonnenbrille aus seiner Hemdtasche und komplimentiert meine Freundin zur Frühlingsbräune. Um sich zu revanchieren, zahlt sie die Tickets mit einem Schein. „Kann ich nicht rausgegeben“, motzt der Busfahrer pflichtgemäß, aber dann winkt er uns lässig durch.

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kari

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