Grüne Jugend Nachwuchs über die Ampel: „Es läuft so viel schief“

Die Ampel muss radikal umsteuern, finden Svenja Appuhn und Katharina Stolla. Sie wollen Vorsitzende der Grünen Jugend werden.

Svenja Appuhn und Katharina Stolla

Svenja Appuhn, links im Bild, und Katharina Stolla, rechts, kritisieren die fehlende Sozialpolitik der Grünen Partei Foto: Elias Keilhauer

BERLIN taz | Klare Worte scheuen die beiden jungen Frauen nicht. „Die Politik der Bundesregierung braucht eine 180-Grad-Wende“, sagt Svenja Appuhn. „In Zeiten des Rechtsrucks ist es falsch, Rechten hinterherzulaufen“, sagt Katharina Stolla. „Deshalb ist es falsch, was die Ampel tut.“ Appuhn und Stolla wollen neue Sprecherinnen, also Bundesvorsitzende, der Grünen Jugend werden. Und damit den Jugendverband der Partei führen, die in der Ampelregierung viele Zugeständnisse macht. Viel zu viele, so sieht das ein großer Teil der Grünen Jugend.

Am Wochenende trifft sich der Jugendverband in Leipzig zum Bundeskongress, der Bundesvorstand wird neu gewählt. Die beiden aktuellen Sprecher*innen, Sarah-Lee Heinrich und Timon Dzienus, dürfen nicht noch einmal antreten, die Amtszeit ist auf zwei Jahre begrenzt. Appuhn und Stolla, die beide bereits im Bundesvorstand sitzen, sind bislang die einzigen Kan­di­da­t*in­nen für die Nachfolge.

Ein Interview wollen die beiden vor ihrer Wahl nicht geben, zu einem Kennenlerntreffen erklären sie sich bereit. Deshalb sitzen sie am Montagvormittag in einem Café im Berliner Regierungsviertel, nicht weit von der Geschäftsstelle der Grünen entfernt, die eine vor einem Cappuccino, die andere vor einem Croissant. Sie sprechen über soziale Gerechtigkeit und solidarische Migrationspolitik, erst nach etwa 20 Minuten kommt das Gespräch auf Klimaschutz.

Wird der Klimaschutz mit ihnen an der Spitze also in den Hintergrund rücken? Stolla schüttelt den Kopf: „Dass wir die anderen Themen betonen, liegt vor allem an der aktuellen politischen Situation.“ Soll heißen: an den Wahlerfolgen der AfD, der aufgeheizten Asyldebatte, dem fehlenden sozialpolitischen Engagement der Ampel. Und Grünen, die bei den jüngsten Landtagswahlen stark verloren haben.

Soziale Frage im Mittelpunkt

Einen Kurswechsel der Grünen Jugend, das betonen beide, wollen sie nicht. Im Gegenteil: Heinrich und Dzienus machten das ausgesprochen gut. Insbesondere Heinrich hatte die soziale Frage stets sehr betont, Dzienus zuletzt die Zugeständnisse der Grünen bei der Verschärfung des Asylrechts scharf kritisiert, beide haben ihren Unmut über die Politik der Ampel immer wieder klar formuliert.

„Die Grünen müssen lernen, dass immer die soziale Frage zuerst geklärt werden muss, wenn es um Klimapolitik geht“, sagt auch Appuhn. Ohne diese Verbindung würden sich die Grünen die Mehrheit nehmen. Das habe die Debatte um das Heizungsgesetz klar gezeigt.

Svenja Appuhn und Katharina Stolla sind beide 25 Jahre alt und im selben Geburtshaus in Frankfurt/Main zur Welt gekommen. Appuhn ist in einem wohlhabenden Frankfurter Vorort aufgewachsen, Stolle in der Stadt. Zum Medizinstudium zog Appuhn, die bis zum Abitur Landesschulsprecherin war, nach Hannover, seit dem ist sie in der Grünen Jugend aktiv. Erst in der vergangenen Woche hat sie das zweite Staatsexamen abgelegt. Statt dem Praktischen Jahr im Krankenhaus soll nun ein Vollzeiteinsatz für die Grüne Jugend kommen. „Es läuft so viel schief, deshalb ist jetzt der Moment, das zu machen, anstatt vom Seitenrand zuzuschauen.“

Katharina Stolla hat nach dem Abitur einen Freiwilligendienst in der Gedenkstätte für Holocaust und Menschenrechte in Belgien gemacht, dann ist sie zum Studium der Meteorologie nach Hamburg gegangen, seit Februar hat sie einen Master. „Ich wollte die physikalische Seite hinter der Klimakrise verstehen“, sagt sie. „Dass wir klimapolitisch nicht vorankommen, liegt aber nicht an fehlendem Wissen, sondern an fehlendem politischen Willen.“

„Wir haben den Konflikt in der Partei geführt“

Dass die Grünen in der Regierung sind, hat die Arbeit der Grünen Jugend nicht leichter gemacht. „Die Grünen sind in vielen Fragen unsere Verbündeten, können sich aber in der Regierung zu selten durchsetzen.“ Natürlich sehe man auch die Zwänge, räumt Stolla ein. „Aber wir sind ein eigenständiger Jugendverband und haben eigene Positionen.“ Da müsse man manchmal eben auch Konflikte austragen. „Die Grüne Jugend ist eine starke, wahrnehmbare Kritikerin dieser Regierung und das werden wir auch sein“, sagt auch Appuhn.

Beide betonen: Die Grüne Jugend, die mit ihren etwa 16.000 Mitgliedern deutlich kleiner als etwa die Jusos oder die Junge Union sind, sei gestärkt aus den vergangenen zwei Jahren hervorgegangen. Ihr Beispiel dafür: die Auseinandersetzung um das Dorf Lützerath im rheinischen Kohlerevier.

Im Zuge eines Kompromisses mit dem Energiekonzern RWE hatten die grünen Wirt­schafts­mi­nis­te­r*in­nen Robert Habeck (Bund) und Mona Neubaur (NRW) dem Abriss von Lützerath zugestimmt, die Grüne Jugend hatte mit einem Antrag auf dem Parteitag im vergangenen Jahr versucht, das zu verhindern. Sie unterlag zwar, aber denkbar knapp, mit gerade gut 20 Stimmen – obwohl Bundesvorstand und Regierungsmitglieder den Delegierten eindringlich vor den Folgen des Antrags gewarnt hatten. Die Grüne Jugend hatte dem Unmut der Delegierten mit der Regierungspolitik der Grünen eine Stimme gegeben.

„Wir haben den Konflikt in der Partei geführt und waren davor und danach in Lützerath an der Seite unserer Bündnispartner“, sagt Stolla. Das sei der richtige Weg. Derzeit, sagt ­Appuhn, nage besonders die Migrationspolitik an der Partei. „Viele von uns sind seit 2015 eingetreten, um für eine solidarische Geflüchtetenpolitik einzustehen. Für sie ist der Kurs der Bundesregierung nicht tragbar.“ Die Grünen müssten sich die Frage stellen, wer noch bereit sei, Wahlkampf zu machen, wenn sie das alles mitmachten.

Jetzt gehe es für die Grüne Jugend darum, junge Menschen zu mobilisieren und für ihre Interessen auf die Straße zu bringen, um die Bundesregierung von links unter Druck zu setzen. „Wir müssen die jungen Menschen aus ihrem Krisengefühl abholen“, sagt Stolla. „Da ist viel Frust, aber auch Trotz.“ Worauf sich die beiden nicht einlassen: rote Linien für die Grünen zu formulieren oder einen Bruch der Koalition zu fordern. Sie wollen zwar neu an die Spitze, gänzlich politisch unerfahren sind sie nicht.

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