Krankenhausreform: Zurück zum Patientenwohl

Die Vorschläge von Lauterbachs Reformkommission sind eine gute Grundlage dafür, Fehlentwicklungen in unseren Krankenhäusern zu beseitigen.

Babyhändchen ragt aus einem Gitterbett, Pflegerin im Hintergrund

Kinderkliniken und ihre Pa­ti­en­t:in­nen zählen zu den Opfern des Fallpauschalensystems Foto: Marijan Murat/dpa

Kurz vor der Jahrtausendwende nahm sich die gerade angetretene rot-grüne Regierung eine Reform des deutschen Gesundheitswesens vor. Ich war damals als Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium unter der Grünen-Ministerin Andrea Fischer für das Projekt zuständig.

Die Krankenhausbehandlung wurde vorwiegend über Tagespflegesätze finanziert. Das belegte Bett brachte den Erlös, unabhängig vom Aufwand für den einzelnen Kranken. Das führte dazu, dass Deutschland in der Krankenhausbettenstatistik und bei den stationären Liegezeiten europaweit ganz vorne lag.

Da die Leistung des Krankenhauses für seine Bezahlung keine Rolle spielte, existierten auch keine Daten zum tatsächlichen Aufwand der Krankenhäuser für die Behandlung ihrer Patienten. Auch welche Krankheiten wie häufig und wo in Deutschland behandelt wurden, konnte niemand beantworten. Mögliche regionale Unterschiede in der medizinischen Behandlung blieben im Dunkeln und entzogen sich damit einer kritischen Diskussion über Qualitätsstandards.

All dies war Anlass, sich mit den Bedingungen für eine transparente und leistungsgerechte Finanzierung von Krankenhäusern zu befassen. Unseren Vorstellungen entsprach am besten das in den USA für die staatlich finanzierte Kranken­haus­ver­sorgung Medicare entwickelte aufwandsbezogene System der Fallpauschalen (DRG/diagnosis related groups), für dessen ausdifferenzierte australische Variante wir uns schließlich entschieden. Zwei Weichenstellungen haben dann leider die Grundlagen gelegt für Fehlentwicklungen, über die heute zu Recht geklagt wird.

Anders als im damaligen Arbeitsentwurf vorgesehen, wurden in die DRG-Kalkulationen keine investiven Kostenanteile einbezogen und somit das duale Finanzierungsprinzip (Finanzierung der laufenden Kosten durch die Krankenkassen, Finanzierung der Investitionen durch die Länder) unangetastet gelassen. Damit vermied man ein Scheitern des Reformprojekts im Bundesrat, in dem zwischenzeitlich die CDU-regierten Länder die Mehrheit hatten. Krankenhäuser hatten damit, anders als vorgesehen, nicht mehr die Möglichkeit, eigenständig mit Investitionen die Krankenversorgung zu optimieren und dabei auch Effizienzgewinne zu erwirtschaften.

Die andere Weichenstellung rückte die DRGs ins Zentrum der Vergütung und nutzte sie nicht nur als Methode zur Kalkulation von Krankenhausbudgets. Weltweit hat kein anderes Land die Finanzierung der Krankenhäuser so stark an erbrachte Leistungen gebunden. Damit ermöglichte man, die Krankenversorgung an eine betriebswirtschaftliche Optimierung der DRG-Abrechnung zu binden. Sowohl die Aufgabe wenig lukrativer Leistungen als auch die Ausweitung eher lukrativer Leistungen waren die Folge. Die Aufgabe von Geburtshilfeabteilungen und die Reduzierung von Kapazitäten in Kinderkliniken sind dafür ebenso Beispiele wie die Ausweitung orthopädischer und kardiologischer Eingriffe.

Rund 20 Jahre Erfahrungen mit diesem Abrechnungssystem unterstreichen die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte im Mai eine 17-köpfige „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ eingesetzt, die dazu Vorschläge erarbeiten sollte.

Den Kern der jetzt vorgelegten Vorschläge bilden drei Kriterien, nach denen zukünftig die Krankenhausversorgung honoriert werden soll: Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen. Das Vorhalten von Personal und bestimmten Ausstattungen wie einer Notaufnahme soll mit festen Beträgen finanziert werden.

Krankenhäuser sollen drei unterschiedlichen Versorgungsstufen zugeordnet werden, die Grundversorgung wohnortnah gesichert und aufwendige Behandlungen nur noch in spezialisierten Kliniken mit hoher Fallzahl durchgeführt werden. Statt einer allgemeinen Zuweisung von Fachabteilungen (wie „Innere Medizin“) sollen in der Krankenhausplanung genauer definierte Leistungsgruppen (zum Beispiel „Kardiologie“) ausgewiesen werden. Diese sollen an genau definierte Strukturvoraussetzungen gebunden werden (Personal und Ausstattung) und Voraussetzung für die Abrechenbarkeit mit den Kassen sein.

Ein gelungener Aufschlag

Für jede Versorgungsstufe sollen einheitliche Mindestvoraussetzungen gelten. Zur untersten Versorgungsstufe sollen auch ambulant-stationäre Zentren zählen, deren Finanzierung aus dem DRG-System herausgenommen werden soll. Die „Regel- und Schwerpunktversorgung“ sollen Kliniken der zweiten Stufe übernehmen. Für die umfassendere „Maximalversorgung“ stehen dann große Kliniken mit einem weiten Spektrum von Fachabteilungen, denen auch die Unikliniken zugeordnet werden. Für die zweite und dritte Versorgungsstufe soll die DRG-Finanzierung auch weiterhin eine bestimmende Rolle spielen.

Bisher sind das nur Grundzüge einer Reform, deren Ausgestaltung abzuwarten bleibt. Am 5. Januar soll es dazu ein Gespräch zwischen Gesundheitsministerium, Regierungskommission, den Bundestagsfraktionen sowie den Ländern geben. Schon jetzt ist abzusehen, dass die bundesweit einheitliche Zuordnung von Kliniken in drei Versorgungsstufen auf wenig Gegenliebe bei den Ländern stoßen wird, die bisher dafür allein zuständig sind. Zudem erhöht die vorgesehene Bindung der Leistungsgruppen an Strukturvoraussetzungen den Druck auf die Länder, dafür nötige Gelder zur Verfügung zu stellen.

Der Aufschlag für weitere Diskussionen ist durchaus gelungen. Dem Reformprojekt ist zu wünschen, dass es die Schwachstellen und Fehlanreize des bisherigen Systems korrigiert und damit die Weichen für eine qualitativ bessere Patientenversorgung in unseren Krankenhäusern stellt.

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Arzt für Innere Medizin, Senator a.D. Früherer Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium und frühere Leitungsfunktionen in den Gesundheitsverwaltungen von München, Berlin und Bremen.

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