Kremlkritischer Rapper aus Russland: Designer-Alien gegen Putin

Der russische Rapper Face hat sich gewandelt. Vom hohlen HipHop-Meme zum Kremlkritiker und „ausländischen Agenten“. Ein Porträt.

Der Rapper Face mit charakteristischen Tattoos im Gesicht

Da war er noch ein HipHop-Meme: Face, 2019 Foto: Tatyana Makeyeva/reuters

Ein Bär kämpft gegen den Comichelden Captain America. Die US-Flagge brennt, und aus den Augen des russischem Rappers Face schießen Blitze auf Wolkenkratzer. Dazu rappt er immer wieder: „Я роняю запад“ – ich lass den Westen fallen. Der Videoclip zum gleichnamigen Song von 2017 stellte sich die Frage: Will da wirklich gerade einer den Westen brennen sehen? HipHop aus Russland ist seinerzeit so erfolgreich und kreativ wie nie zuvor. Androgyne Rapper mit langen Haaren, Gesichtstattoos, lackierten Fingernägeln wie Pharaoh und Face, der eigentlich Iwan Timo­fejewitsch Driomin heißt, bedienen sich der US-Trap-Ästhetik und spinnen sie weiter. Oder, sie parodieren sie, wie im Falle von „Я роняю запад“. Der 26-jährige Face wird bereits Mitte der zehner Jahre zum wandelnden Meme und Star. Damals reimt er, wie er den Gucci-Store in St. Petersburg ausräumt.

Im Text „Я роняю запад“ repetiert er „Esskeetit“, die Signature­phrase des damals angesagten US-Rappers Lil Pump. Natürlich hasst Face den Westen nicht. Seine Künstleridentität ist an US-Lifestyle orientiert. Ihm geht es lediglich darum zu provozieren. Mit seiner direkten Sprache eckt er zwar an, und mit seinem Style bricht er mit männlichen Stereotypen, ansonsten wirkt Face politisch unbedarft; obwohl in Russland schon damals Rapper wegen vulgärer Texte bestraft werden und der Kreml kein Fan dieser Musik ist. Man solle, sagte Putin einmal sinngemäß, die Inhalte von Rappern regulieren.

Im März 2022 entfernt Face seine Musik von allen russischen Musikplattformen. Er wird zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sich öffentlich gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht. Bald danach wird Face von der russischen Regierung als „ausländischer Agent“ eingestuft. Er verlässt das Land, verschwindet aus der Öffentlichkeit, spielt nur gelegentlich Konzerte. Nun, im September 2023 veröffentlicht er das neue Album „Ничего хорошего“ („Nichts ist gut“). Darin rappt Face, dass er zurück nach Russland kommen und Molotowcocktails auf den Kreml werfen will.

Musik und Texte von Face klingen nun reflektierter und eigenständiger. Er schreit seine Texte nicht mehr manisch ins Mikrofon, sondern singt zu Gitarren, rappt auf brachiale Beats. Er spricht über postsowjetische Zerrissenheit in Großstädten, über seinen Vater, der in seiner Jugend abwesend war, über das Gewaltpotenzial der Adoleszenz. Auch wenn sich Face in seiner Musik einen gewissen Größenwahn erhält, wird er immer ernster.

Öffentlich gegen den russischen Angriffskrieg

Face: „Ничего хорошего“ („Nichts ist gut“)

Das Image als Alienwesen mit Designerfimmel ist ihm zunehmend egal. Er rasiert sich die Haare ab, positioniert sich öffentlich gegen den russischen Angriffskrieg. Die Einstufung als „ausländischer Agent“ macht das Künstlerdasein in Russland für ihn unmöglich, mittlerweile reist Face mit Touristenvisum um die Welt. Und „Ничего хорошего“ beschreibt nun in acht Songs diese innere Zerrissenheit. Er gibt sich wütend auf den Staat, auf die Scheinheiligkeit der Mitläufer, auf die Kriegsunterstützer und die Schweigenden. „Das Problem ist, dass der Staat nicht nur nervt, sondern auch beißt“, rappt er an einer Stelle und umschreibt damit die Angst, die viele russische Künst­le­r*in­nen davon abhält, sich kritisch zu äußern. Face beißt mit seiner Musik immerhin zurück.

Andererseits ist da die Trauer über den Verlust des engen sozialen Umfelds, das Fehlen eines Zuhauses, einer Heimat, hinter der er auf keinen Fall mehr stehen kann. Face macht auf „Ничего хорошего“ auch klar, dass Fünfsternehotels im Westen denjenigen nichts bringen, die nicht mehr wissen, wo sie hingehören. Wut in seiner Musik wechselt sich ab mit Ohnmacht, depressiven Episoden, die sogar in Suizidgedanken münden.

Spannend klingt dabei, wie die Wut, Ohnmacht und Trauer in den Texten oft dem Sound antagonistisch gegenüberstehen. Während Face erzählt, säuseln im Hintergrund Soulsamples, erklingen ruhige Gitarren und E-Pianos. Dieser Sound wirkt so, als solle er mit rhythmischen Bewegungen Hö­re­r:In­nen in den Schlaf wiegen. Er beruhigt, und wahrscheinlich war dieser Kon­trast für Face ein wichtiger Kniff, um sich zu öffnen. Systemkritik umhüllt von Watte funktioniert bei ihm sehr gut.

Allerdings findet seine Musik in Russland nur als Randnotiz in HipHop-Blogs Beachtung. Den Kreml in Brand zu setzen, wie er in einem Song rappt, ist dort im Vergleich zu brennenden US-Flaggen ein Wagnis. Faces Funrapperdasein endete eigentlich schon 2017 mit seiner Antiwestenparodie. Die PR-Leute der russischen Regierung fanden das Video nämlich so gut, dass sie es für ihre Zwecke vereinnahmen wollten. Putin sollte auf dem Bären im Video reiten, der gegen Captain America kämpft. Face lehnte ab – und legte damit – vermutlich, ohne es zu wissen – den Grundstein für seinen Wandel zum subversiven Musiker. „Ничего хорошего“ ist die logische Konsequenz dieser Entwicklung und ein Dokument der inneren Zerrüttung.

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