Menschenrechtlerin über GIZ-Angestellte: „Warum ist Baraa verhaftet worden?“

Die Mitarbeiterin einer deutschen Organisation wurde von israelischen Behörden festgenommen. Es fehlen aber Beweise, sagt Menschenrechtlerin Sahar Francis.

zwei Soldaten setzen eine Person in einen Lastwagen, sie sind von hinten fotografiert.

Seit dem 7. Oktober werden vermehrt Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen vom israelischen Militär in Haft genommen Foto: Raneen Sawafta/reuters

taz: Frau Francis, israelische Behörden haben Baraa Odeh inhaftiert. Die Palästinenserin hat als Lokalkraft für die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Westjordanland gearbeitet. Was wird ihr vorgeworfen?

Sahar Francis: Baraa wurde in Administrativhaft genommen, das ist wichtig. Dabei handelt es sich um einen militärischen Antrag, der auf dem sehr allgemeinen Verdacht beruht, dass die betroffene Person eine Gefahr für die Sicherheit darstellt. Das Militär kann solche Haftbefehle für einen bestimmten Zeitraum erlassen. In Odehs Fall sind es drei Monate.

Warum würde sie eine Gefahr darstellen?

Es gibt keine spezifischen Anschuldigungen oder Beweise, die dem Gericht vorgelegt wurden. Die Anträge basieren auf geheimen Informationen. Oftmals wird darin eine politische Affiliation genannt. In Odehs Fall hat der Militärstaatsanwalt aber erst bei einer gerichtlichen Überprüfung des Antrags argumentiert, dass sie einer politischen Organisation angehört.

Im März haben israelische Behörden Baraa Odeh festgenommen. Die GIZ teilte auf taz-Anfrage mit, sie stelle keine Lokalkräfte ein, die auf einer Sanktionsliste zur Terrorbekämpfung stünden. Zudem würden die Personen auf Basis zugänglicher Quellen geprüft. „Israel kontrolliert die Außengrenzen Israels und der palästinensischen Gebiete und damit Reisetätigkeiten aller, die ein- oder ausreisen“, sagte ein Sprecher. (hag)

Welcher?

Er erwähnte die Volksfront [Volksfront zur Befreiung Palästinas, PFLP; d. Red.]. Baraa hat bestritten, dass sie Mitglied irgendeiner Partei ist.

Es wurden keine Beweise vorgelegt?

Überhaupt nichts.

Was wissen Sie über Odehs Aktivitäten?

Soweit ich weiß, arbeitete sie bei der GIZ mit JugendgGruppen. Sie konnte auch reisen und hatte früher beruflich den Gazastreifen besucht.

Ist es das erste Mal, dass eine Mitarbeiterin einer deutschen Organisation in Administrativhaft ist?

Meines Wissens ja. Aber Odeh ist nicht die Einzige, die verhaftet wurde. Viele Studierende, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger müssen aufgrund ihres Social-Media-Aktivismus mit Administrativhaft rechnen.

54, ist Direktorin der in Ramallah ansässigen NGO Addameer, die sich für palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen einsetzt.

Was ist Ihre Kritik an dieser Art der Haft?

Die Betroffenen werden auf Grundlage geheimer Informationen verhaftet und nicht angeklagt. Es gibt kein Verfahren wie bei normalen Gefangenen, die beschuldigt, angeklagt und gegebenenfalls verurteilt werden. Das Verfahren verstößt gegen internationale Menschenrechtsstandards. Man inhaftiert niemanden ohne eindeutige Beweise. Wenn die Haftanträge erneuert werden, bleiben die Betroffenen oft auf unbestimmte Zeit in Haft. Administrativhaft sollte nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen angewendet werden.

Herrschen aktuell nicht außergewöhnliche Umstände in Israel und Palästina?

Administrativhaft gibt es nicht erst seit dem 7. Oktober. Dieses Instrument wird seit Beginn der Besatzung angewandt. Immer wenn es Zusammenstöße gibt, wenn der Staat ein Interesse daran hat, Tausende von Menschen in kurzer Zeit zu verhaften, benutzt er es. Die Administrativhaft ist zum Haupt­instrument der Besatzung geworden und dient der Unterdrückung und Kontrolle der Menschen. Das war schon während der ersten und zweiten Intifada so, aber auch in der Osloer Zeit (in den neunziger Jahren; d. Red.), als Leute verhaftet wurden, die gegen die Osloer Verträge waren. Man entwirft einfach zwei Seiten mit geheimen Informationen – und das war’s.

Warum sollte Israel ein Interesse haben, Tausende Menschen zu inhaftieren?

Um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die Regierung den besonderen Notstand, den sie nach dem 7. Oktober ausgerufen hat, ernst nimmt. Außerdem werden die Gefangenen im Verhandlungsprozess benutzt. Nach dem 7. Oktober gab es einen starken Anstieg von Administrativhaftbefehlen.

Sie werfen Israel vor, gezielt palästinensische Gefangene zu machen, nur um sie gegen die Geiseln auszutauschen, die immer noch im Gazastreifen festgehalten werden?

Ja, natürlich. Es gab 5.000 palästinensische Häftlinge vor dem 7. Oktober, mittlerweile sind es 9.500. Eine so hohe Zahl hatten wir noch nie. Sie haben sogar mehr als zehn Menschen, vor allem Kinder, erneut in Administrativhaft genommen, die bei der ersten Austauschrunde im November freigelassen wurden.

Das Auswärtige Amt äußerte sich nicht zu dem Fall, teilte aber mit: „Die Praxis der Administrativhaft – also die Möglichkeit, Personen verdachts­basiert und ohne Gerichtsverfahren auch über einen längeren Zeitraum in Haft zu nehmen – sieht die Bundesregierung kritisch.“ Mehr als 3.400 Menschen, vor allem Palästinenser*innen, befinden sich aktuell in israelischer Administrativhaft. (hag)

Warum sind Sie so sicher, dass auch Baraa Odeh nur verhaftet wurde, um ausgetauscht zu werden?

Warum ist Baraa verhaftet worden? Warum jetzt? Zwischen Oktober und März war sie die meiste Zeit in Deutschland. Sie kam zu Weihnachten zurück, reiste dann wieder nach Deutschland, bevor sie im März auf dem Rückweg ins Westjordanland verhaftet wurde. Wie soll sie eine Bedrohung für die Sicherheit dargestellt haben, wenn sie überhaupt nicht in der Gegend war? Ich halte den PFLP-Vorwurf für lächerlich, weil Odeh in der Lage war zu reisen. Sie war offenbar nicht als Sicherheitsbedrohung bekannt.

Odehs Anwalt gibt an, sie sei geschlagen worden. Was wissen Sie darüber?

Sie wurde demütigenden Leibesvisitation unterzogen und Polizistinnen schubsten und traten sie. Das hat sie vor Gericht berichtet. Das ist ernst zu nehmen, weil fast alle der Gefangenen, mit denen wir sprechen, von Leibesvisitationen während der Verhaftung oder bei der Verlegung in eine andere Haftanstalt berichten. Das könnte in einigen Fällen auf sexuelle Belästigung hinauslaufen. Einige Häftlinge berichteten auch von verbaler oder körperlicher sexueller Belästigung, auch Männer. Letzte Woche erreichte uns die Nachricht von einem Arzt, der körperlich angegriffen wurde und im Gefängnis starb. Wir wissen von 18 Menschen, die ihr Leben [in israelischer Haft] verloren. Haaretz berichtete von über 27 Gefangenen aus Gaza, die in Haftanstalten gestorben sind. In meinen 27 Jahren Erfahrung in der Gefangenenarbeit habe ich noch nie so viele Tote in so kurzer Zeit gesehen.

Wo befindet sich Odeh aktuell?

Im Damon-Gefängnis. Das Gefängnis ist überbelegt, und Familienbesuche wurden gestrichen. Selbst die Besuche des Roten Kreuzes wurden komplett gestrichen. Vor dem 7. Oktober war das Rote Kreuz die einzige internationale Organisation, die freien Zugang hatte. Es kam monatlich zu Besuch. Im Grunde sind die Gefangenen mittlerweile von der Außenwelt abgeschnitten, es sei denn, sie bekommen Besuch von ihrem Anwalt, wofür es aber auch viele Beschränkungen gibt.

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