Neue Serie „The Girl from Plainville“: Ungeliebt oder kalt?

Aus Chat-Beziehung folgt Tötung. Im Mittelpunkt dieser True-Crime-Serie steht eine Teenagerin, die ihren Freund zum Suizid gedrängt hat.

Die Schauspielerin Elle Fanning steht links, Gesicht an Gesicht mit Colton Ryan. Sie sind beide jung. Fanning trägt ein rotes Shirt und hat lange, blonde Haare. Ryan trägt eine College Jacke in Rot mit gelben Ärmeln. Er hat kurze dunkle Haare.

Michelle Carter (Elle Fanning) und ihr Opfer Conrad Roy III (Colton Ryan) Foto: Hulu/Everett Collection/picture alliance

Als der 18-jährige Conrad Roy III, genannt Coco, im Sommer 2014 nach einer Kohlenstoffmonoxidvergiftung tot in seinem Auto gefunden wird, gibt es keinen Zweifel: Es war Suizid. Schon lange rang der junge Mann aus dem Küstenort Mattapoisett in Massachusetts mit psychischen Problemen, nahm Antidepressiva und hatte bereits einen Suizidversuch hinter sich. Für Schlagzeilen sorgt sein trauriger Fall trotzdem: Seine Freundin Michelle Carter hat ihn in zahlreichen SMS zum Suizid ermutigt und überredet. Das zum Tatzeitpunkt 17-jährige Mädchen wurde schließlich wegen fahrlässiger Tötung zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.

„The Girl from Plainville“, eine achtteilige Serie, die auf einem Artikel von Jesse Barron im Magazin Esquire basiert, rollt diese Ereignisse nun noch einmal auf und reiht sich dabei ein in die immer länger werdende Liste von True-Crime-Produktionen, die reale Kriminalfälle in Strea­ming-Content im Spannungsfeld zwischen fundierten Psychogrammen und reißerischer Sensationslust verwandeln, wie etwa „The Staircase“, „Land­scapers“ oder „Inventing Anna“.

Liz Hannah und Patrick Macmanus, die Schöp­fe­r*in­nen und Showrun­ner*in­nen der Serie, setzen Cocos Tod gleich an den Anfang ihrer Serie. Der Teenager (Colton Ryan) hat zwei Abschiedsbriefe hinterlassen, einen an seinen Vater und einen an eine gewisse Michelle (Elle Fanning), von der in seiner Familie noch niemand je etwas gehört hat: eine Urlaubsbekanntschaft, die im knapp eine Stunde entfernten Plainville lebt. Doch sie und Coco haben sich geliebt, berichtet das Mädchen, als sie sich der trauernden Mutter (stark: Chloë Sevigny) mit ihren eigenen Gefühlen aufdrängt.

Tatsächlich getroffen haben die beiden sich allerdings nur wenige Male: Die Enge und Intensität ihrer Beziehung entwickelte sich ausschließlich auf der Basis von Textnachrichten. Durch Tausende von ihnen liest sich der verantwortliche Ermittler (Kelly AuCoin), der schließlich zu dem Schluss kommt, dass Cocos Wunsch zu sterben von Michelle mit tödlicher Konsequenz befeuert wurde.

Feingefühl ohne spekulative Instrumentalisierungen

Um die Nähe der beiden auch jenseits von Handydisplays greifbar zu machen, inszenieren die Re­gis­seu­r*in­nen von „The Girl from Plainville“ (darunter auch die oscarnominierte Lisa Cholodenko) ihren Austausch als echte Gespräche. Das funktioniert deutlich besser als die Entscheidung, verschiedene Zeitebenen des Falls parallel zu erzählen, was nicht nur manchmal verwirrt, sondern auch die psychologische Wucht einiger Schlüsselmomente vermindert. Immerhin geben die Rückblenden genug Raum, ein präzises Bild von Coco zu zeichnen, einem jungen Mann, der überwältigt ist von gesellschaftlichen Erwartungen und dem Zerbrechen seines Elternhauses und dem der Wille zu leben abhandenkommt.

In der Annäherung an Michelle, die sich weder in ihrem Prozess noch medial je zu Wort gemeldet hat, bleibt die Serie vager, auch wenn Elle Fanning hier einmal mehr beweist, dass kaum eine Schauspielerin die Komplexität junger Frauen besser darstellt als sie.

Ist diese Jugendliche, die ihr Verständnis menschlicher Emotionen vor allem aus der Serie „Glee“ herzuleiten scheint, eine Aufmerksamkeit heischende Narzisstin oder eine kalt berechnende Psychopathin? Oder doch nur ein missverstandenes, an einer gestörten Selbst- und Körperwahrnehmung leidendes Mädchen, dass sich ungeliebt und wertlos fühlt?

„The Girl from Plainville“, acht Folgen bei Starzplay

Die Serie findet darauf keine Antwort. Ganz grundsätzlich bleibt eine andere Frage: Ist eine (unnötig lange) Serie über das tragische Schicksal zweier realer Teenager, die keine allzu tiefschürfenden neuen Erkenntnisse zeitigt, nicht per se ein fragwürdiges Unterfangen, und sei sie noch so sehenswert und hochwertig umgesetzt? Dass alle Beteiligten mit größtmöglichem Feingefühl vorgehen und sich von spekulativen Instrumentalisierungen fernhalten, muss man ihnen immerhin hoch anrechnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Haben Sie den Verdacht, an Depression zu leiden? Oder haben Sie sogar suizidale Gedanken? Andere Menschen können Ihnen helfen. Sie können sich an Familienmitglieder, Freun­d:in­nen und Bekannte wenden. Sie können sich auch professionelle oder ehrenamtliche Hilfe holen – auch anonym. Bitte suchen Sie sich Hilfe, Sie sind nicht allein. Anbei finden Sie einige Anlaufstellen.

Akute suizidale Gedanken: Rufen Sie den Notruf unter 112 an, wenn Sie akute suizidale Gedanken haben. Wenn Sie sofort behandelt werden möchten, finden Sie Hilfe bei der psychiatrischen Klinik oder beim Krisendienst.

Depression und depressive Stimmung: Holen Sie sich Hilfe durch eine Psychotherapie. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe kann Ihnen ferner Hilfe und Information zum Umgang mit Depression bieten.

Kummer: Sind Sie traurig und möchten jemanden zum Reden haben? Wollen Sie Sorgen loswerden und möchten, dass Ihnen jemand zuhört? Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr besetzt. Die Telefonnummern sind 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222. Sie können auch das schriftliche Angebot via Chat oder Mail in Anspruch nehmen.

Onlineberatung bei Suizidgedanken: Die MANO Suizidprävention bietet eine anonyme Onlineberatung an. Wenn Sie über 26 Jahre alt sind, können Sie sich auf der Webseite registrieren. Sollten Sie jünger sein, können Sie hier eine Helpmail formulieren.

Hilfsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern: Die Nummer gegen Kummer hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern, Jugendlichen und Eltern zu helfen. Kinder erhalten dort Unterstützung unter der Nummer 116 111, Eltern unter 0800 111 0 550, und bei der Helpline Ukraine unter 0800 500 225 0 finden Sie auch Hilfe auf Russisch und Ukrainisch.

Hilfsangebot für Mus­li­m:in­nen: Die Ehrenamtlichen des Muslimischen Seelsorgetelefons erreichen Sie anonym und vertraulich unter 030 443 509 821.

Bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention können Sie nach weiteren Seiten und Nummern suchen, die Ihrem Bedarf entsprechen.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.