Gewaltsame Proteste in Neukaledonien: Macron verhängt Ausnahmezustand

In der Hauptstadt Nouméa der südpazifischen Inselgruppe Neukaledonien ist es zu Ausschreitungen gekommen. Grund ist eine Wahlrechtsreform.

Ein Demonstrant schwenkt eine Fahne der sozialistischen Nationalen Befreiungsfront der Kanaken an einem Fahrzeugkontrollpunkt in Noumea

Proteste an einem Fahrzeugkontrollpunkt in Nouméa Foto: Theo Rouby/afp/dpa

PARIS taz/afp | Angesichts schwerer Unruhen in Neukaledonien im Südpazifik hat Staatspräsident Emmanuel Macron bei einer Krisensitzung für die zu Frankreich gehörende Insel den Ausnahmezustand verhängt. Laut Innenminister Gérald Darmanin gab es während der beiden Krawallnächte seit Wochenbeginn „mehrere hundert Verletzte“, darunter etwa 100 Angehörige der Polizei und der Gendarmerie. Angaben der neukaledonischen Regierung zufolge gab es vier Tote. Nicolas Metzdorf, Abgeordneter der Regierungspartei Renaissance, sprach im TV-Sender BFM von einem „totalen Aufstand“. In Paris verlangten die Konservativen und die extreme Rechte einen Einsatz der Armee gegen die Revoltierenden.

Anlass der Unruhen ist eine Verfassungsrevision des Wahlrechts, die das Stimmengewicht der einheimischen „Kanaks“ namentlich im Fall einer erneuten Abstimmung über die Unabhängigkeit Neukaledoniens weiter verringern würde. Heute gehören noch rund 41 Prozent der Bevölkerung zu dieser Gruppe der indigenen Bevölkerung. Bisher konnten nur diejenigen Wahlberechtigten an den bisher drei Konsultationen zum Statut Neukaledoniens teilnehmen, die seit mindestens 25 Jahren auf der Inselgruppe gelebt haben, und auch ihre seither geborenen Nachkommen.

Die Reform, die in der Nacht auf Mittwoch in Paris gegen die Stimmen der linken Abgeordneten von einer Mehrheit angenommen wurde, sieht vor, dass die Bevölkerungsgruppen mit französischer Staatszugehörigkeit, die seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen in Neukaledonien leben, votieren dürfen. Dies würde die politische Ausgangslage noch mehr zu Ungunsten der Kanaken verschieben, die mehrheitlich für eine weitgehende Autonomie oder Selbständigkeit wären.

Die Verabschiedung der Verfassungsrevision, die nach der Zustimmung durch den Senat noch im Juni mit einer Dreifünftelmehrheit im Kongress (das heißt, von den beiden vereinten Parlamentskammern) gebilligt werden müsste, wird von den Kanaken als vorsätzliche Provokation empfunden.

Ausschreitungen und Plünderungen in Nouméa

Bereits am Montagabend lieferten sich junge Anhänger der kanakischen Unabhängigkeitsbewegung mit den Ordnungskräften in der neukaledonischen Hauptstadt Nouméa Straßenschlachten. Mehrere Supermärkte und andere Geschäfte wurden geplündert und in Brand gesteckt. Trotz Appellen verschiedener politischer Parteien wiederholten sich die gewaltsamen Proteste der jugendlichen Kanaken. Laut dem französischen Hochkommissar für Neukaledonien, Louis Le Franc, wurden wegen der Ausschreitungen in den von europäischen Franzosen („Caldoches“) bewohnten Vierteln „Selbstverteidigungsgruppen“ mit Barrikaden und Straßenkontrollen organisiert.

Damit stieg das Risiko einer weiteren Eskalation unter den seit Jahrzehnten feindlich gesinnten Bevölkerungsteilen. Die Zusammenstöße wecken unweigerlich schmerzliche Erinnerungen an die bürgerkriegsähnlichen Ereignisse in den 80er Jahren. 1988 endeten diese in der Grotte von Ouvéa mit der blutigen Beendigung einer Geiselnahme durch die Nationale Kanakische und Sozialistische Befreiungsfront (FLNKS).

Nach einem Regierungswechsel in Paris wurden danach unter Leitung von Premierminister Michel Rocard Friedensverhandlungen geführt, die das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen ermöglichen und Neukaledonien eine Form der Autonomie verleihen sollten. Es geht aber auch um die Frage, wer über die reichen Rohstoffvorkommen, etwa Nickel, verfügt. Bei zwei Abstimmungen sowohl 2018 als auch 2020 wurde eine Unabhängigkeit von einer Mehrheit abgelehnt.

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