Schach-Genie Gukesh aus Indien: Einzigartige Züge

Der erst 17-jährige Inder Dommaraju Gukesh gewinnt in Toronto das Kandidatenturnier und fordert nun Schachweltmeister Ding Liren heraus.

Gukesh zieht mit dem rechten Arm eine Schachfigur, mit dem linken stützt er seinen Kopf

Für Überraschungen gut: Gukesh verblüfft seine Gegner Foto: imago

BERLIN taz | Jan Nepomnjaschtschi hing in Toronto schräg über dem Schachbrett. Ob aus Frust oder Ermüdung nach 109 ermattenden Zügen blieb unklar. Gewiss war zu diesem Zeitpunkt nur: Das Remis, dass der Russe in der Mammutpartie noch auf wundersame Weise gegen Fabiano Caruana rettete, half weder ihm noch dem Weltranglistenzweiten aus den USA. „Ich fühle mich wie ein Idiot“, tadelte sich Caruana selbst und murmelte verärgert bei der Analyse: „Es ist unglaublich, so eine Stellung nicht zu gewinnen …“

Trotz der starken 8,5 Punkte nach 14 Runden verpassten der Italo-Amerikaner und „Nepo“ so um einen halben Zähler einen weiteren WM-Kampf. Caruana hatte den langjährigen Dominator Magnus Carlsen 2018 in London gefordert. „Nepo“ unterlag dem Norweger 2021 in Dubai. Und nach dessen freiwilligem Abgang vom WM-Thron 2023 zog der Russe im Kampf um Carlsens Nachfolge knapp den Kürzeren gegen Ding Liren.

Der Chinese trifft nun Ende des Jahres an einem noch unbekannten Ort auf ein neues Wunderkind: Dommaraju Gukesh. Der 17-Jährige lässt Indien ein zweites Mal jubeln und vom WM-Titel träumen.

War schon Blitzdenker Viswanathan Anand jung sehr erfolgreich, könnte nun Gukesh noch mehr Rekorde pulverisieren. Nicht nur die seines großen Landsmanns, sondern auch selbst die von Carlsen. So ist er der jüngste WM-Herausforderer der 138 Jahren langen Historie der Schachweltmeisterschaften.

Besser als Carlsen

Da Ding Liren unter einer schweren Depression litt und seit dem WM-Sieg erst abtauchte und danach eigenen Worten nach nur „mies“ spielte, könnte der Inder auch bald jüngster Weltmeister aller Klassen werden. Carlsen schaffte das „erst“ mit 22. Mit zwölf Jahren, sieben Monaten und 17 Tagen wurde Gukesh rund neun Monate früher Herren-Großmeister als der Norweger.

Bis dahin, anno 2019, war nur Putin-Verehrer Sergej Karjakin 17 Tage schneller. Die Ratingmarke von 2.750 Elo übertraf Gukesh ebenso schneller als Carlsen. Im September löste er außerdem nach 38 Jahren ­Anand, in dessen Schachakademie das Talent unter anderem reifte, als indische Nummer eins in der Weltrangliste ab.

Sogar Carlsen adelte seinen potenziellen Nachfolger beim Live-Streaming, als dieser in der Schlussrunde gegen Verfolger Hikaru Nakamura (USA) nach einem überraschenden Bauernzug: „Ich liebe es, was Gukesh machte. Es ist etwas, was ich bisher nicht sah“, gestand der Weltranglistenerste verblüfft.

Der undankbare zweite Platz

Nach dem Remis zwischen Gukesh, der sich auf neun Punkte hievte, und Nakamura (USA) war klar: Caruana und „Nepo“ mussten gewinnen, um wenigstens einen Schnellschach-Tiebreak gegen den Inder zu erzwingen. „Diese verrückte Partie war für mich total emotional“, berichtete der neue Weltranglistensechste und „fühlte sich so erleichtert und richtig gut“, nachdem ihm ein Schnellschach-Tiebreak erspart blieb.

Gemeinsam mit Nakamura (alle 8,5 Punkte) blieb den zwei anderen Verfolgern nur der undankbare zweite Platz. Immerhin hatten sie für das bisher spannendste Kandidatenturnier der WM-Geschichte gesorgt. Die Fans waren von den vielen spektakulären Partien begeistert. Hinter dem Quartett folgten mit dem 18-jährigen Rameshbabu Praggnanandhaa (7) und dem 30-jährigen Santosh Gujrathi Vidit (6) zwei weitere Inder. Der aus dem Iran nach Frankreich geflüchtete Alireza Firouzja (5) und der aserbaidschanische Außenseiter Nijat Abasow (3,5) landeten abgeschlagen auf den letzten Plätzen im achtköpfigen Feld.

Gukesh war erst sechs Jahre alt, als Anand 2013 den Titel an Carlsen verlor. Nun hofft das Milliardenvolk, dass Gukesh den Titel auf den Subkontinent zurückholt.

Beim parallel ausgetragenen Kandidatinnenturnier setzte sich in Toronto Tan Zhongyi mit 9:5 Zählern vor der Inderin Humpy Koneru und der Chinesin Lei Tingjie (beide 7,5) durch. So bleibt dieser Titel in China, fordert Tan doch nun Weltmeisterin Ju Wenjun heraus. Macht dagegen Gukesh bei den Männern so weiter wie bisher, dürfte Ding Liren den Machtwechsel kaum verhindern können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.