Selbsthilfegruppe für Klimagefühle: Klimatränen, Klimawut

In Gesprächsrunden in Hannover reden Ak­ti­vis­t*in­nen über ihre Emotionen: Wut, Ängste, Enttäuschung. Einer bringt einen Strohhalm Optimismus mit.

Ein Kinderspielplatz ist überflutet vom Hochwasser, 2 Schaukeln hängen über dem Wasser, ein Baumstamm ragt aus dem Wasser

Hat man nicht guten Grund, da traurig zu werden? Ein vom Hochwasser überfluteter Kinderspielplatz in Niedersachsen Anfang 2024 Foto: Sina Schuldt/dpa

HANNOVER taz | Dirk Landsberg brauchte früher nie einen Antrieb, um optimistisch zu sein. Er war es grundlos, sagt er. Doch während der Pandemie änderte sich das. Landsberg ist Chemiker, als Naturwissenschaftler interessierte ihn, wie viele falsche Fakten über Corona im Umlauf waren. Er begann sich mit Studien zu beschäftigen, stieß dabei auf Untersuchungen zur Nachhaltigkeitskrise und las bald eine klimawissenschaftliche Studie nach der anderen. Seitdem ist der Optimismus des 41-jährigen Vaters zweier Kinder wackelig geworden.

Er hätte nie gedacht, dass er mal so etwas wie eine Selbsthilfegruppe brauchen würde, sagt Dirk Landsberg. Jetzt sieht er das anders. Als er beim Klimastreik im vergangenen Jahr einen Flyer für eine Veranstaltung der Psychologists for Future in die Hand gedrückt bekommt, beschließt er, dorthin zu gehen.

Seit März 2023 veranstalten Psy­cho­lo­g*in­nen in einem Hannoveraner Kulturzentrum Gesprächsrunden, die sie Klimacafé nennen. Es geht um Sorgen, Ängste, Wut, Trauer oder Hoffnung, die Menschen in Verbindung mit der Klimakrise haben. Sie sind überzeugt, dass diese Gefühle durchlebt werden müssen, um ins Handeln zu kommen.

Die Runde findet in einem soziokulturellen Zentrum statt, in dem es sonst Kinderdisko und Kabarett gibt. „Wir haben uns bewusst dazu entschieden, es in diesem eher bürgerlichen Rahmen stattfinden zu lassen, damit sich nicht nur Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen angesprochen fühlen“, sagt Monika Krimmer, Gründerin der Psychologists for Future in Hannover.

Zu Beginn schweigen sie

Dirk Landsberg hat an diesem Tag Anfang 2024 noch mit seiner Familie Abendbrot gegessen und ist nun extra mit dem Auto aus dem Hannoveraner Umland hergekommen. Er ist zum zweiten Mal hier, zielstrebig läuft er zu dem richtigen Raum im Kulturzentrum und setzt sich zwischen die anderen in den Stuhlkreis.

In dem kahlen Seminarraum versammeln sich nach und nach acht 40- bis 80-Jährige. Schweigend warten sie darauf, dass die beiden Psych­olo­g*in­nen Katja Püttker und Heribert Gröhl die Sitzung eröffnen. In der Vorstellungsrunde erzählen die Teilnehmenden von ihrem Aktivismus bei den Omas for Future, Engagement bei den Grünen, von Besetzungen oder ihrem Versuch eines nachhaltigeren Alltags. Ein über 70-Jähriger sagt mit zerknirschtem Gesicht, dass er heute mit dem Auto zum Bahnhof fahren musste: „Bei uns herrscht noch Hochwasser, und ich bin deshalb schon vor ein paar Tagen mit dem Fahrrad umgekippt.“

Sie berichten wie Dirk Landsberg von ihren Sorgen um die Zukunft, ihrer Wut über politische Entscheidungen und der Enttäuschung über erwachsene Kinder, die sich nicht um das Klima scheren. Erst als der nächste Punkt schon begonnen hat, trudeln noch drei jüngere Menschen Anfang 20 ein. Landsberg sitzt mit Hoodie und Cap in diesem Mehrgenerationenkreis sehr verschiedener Menschen. „Das gibt mir das Gefühl, eben nicht nur in einer bestimmten Bubble zu sein“, sagt er.

Ak­ti­vis­t*in­nen zeigen sich verletzlich

Eine Aktivistin vom Bündnis „Leinemasch bleibt“ berichtet von der Räumung eines besetzen Waldstücks. Bäume wurden für einen Ausbau der Hannoveraner Umgehungsstraße gefällt. „Alles, was wir die letzten beiden Jahren aufgebaut haben, wurde einfach innerhalb von zwei Tagen zerstört. Und natürlich die Bäume, diese alten Bäume, an denen wir so lange vorbei gelaufen sind – einfach umgefallen.“

Ihre Stimme bricht, sie hat Tränen in den Augen und räuspert sich. Die anderen schweigen und schauen zu Boden; eine Frau hat ihr Gesicht in den Händen versteckt. Man hört das Ticken der Uhr.

Von einem Teil der Gesprächsrunde sind Jour­na­lis­t*in­nen ausgeschlossen, es soll ein geschützter Rahmen sein. Eine Psychotherapeutin erzählt, dass in so einem Rahmen zum Beispiel Ak­ti­vis­t*in­nen aus Lützerath, die sonst härter auftreten und teils auch in den Runden vermummt bleiben, ihre verletzliche Seite zeigen.

„Das fühlte sich sehr stark nach Selbsthilfe an“, wird Dirk Landsberg später über die heutige Runde sagen.

Das Paradoxe an Gefühlen in der Klimakrise ist, dass Ruhe manchmal beunruhigen und Wut aufbauen kann. Landsberg zum Beispiel sagt, er werde pessimistisch, wenn er von politischen Entscheidern vermittelt bekomme, dass alles gut werde. Wenn er aber Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen von harten Momenten wie Polizeigewalt sprechen höre, dann sei das schwer auszuhalten, ihr Widerstand gebe ihm aber auch Kraft. Dirk Landsberg selbst sieht sich noch nicht als Aktivist. Er ist den Grünen beigetreten und geht zu den großen Klimastreikdemos.

Ihre Stimme bricht, sie hat Tränen in den Augen und räuspert sich

Aber können solche Selbsthilfegruppen nach hinten losgehen? Verstärken Betroffene in diesen Gruppen vielleicht sogar ihre Gefühle gegenseitig und schaukeln sich hoch? Die Psychologin Monika Krimmer hat zwar schon erlebt, dass die Klima-Gesprächsrunden emotional sehr schwer wurden, aber die Psy­cho­lo­g*in­nen bringen das Gespräch zur Not mit Auflockerungsübungen oder Zweieraustausch aus dieser Schwere.

Der Austausch bleibt in ihren Augen trotzdem wichtig. „Durch die Gruppen werden die Leute in ihrem Durchleben der Gefühle gehalten.“ Emotionen bewusst zu spüren, statt sie loswerden zu wollen, das raten Profis wie sie. Und dabei zu merken, dass es anderen genauso geht. An diesem Tag sollen die Menschen im Raum einen Satz vervollständigen, der beginnt mit: „Meine Hoffnung, was ich bewirken kann, ist …“

Ein Strohhalm des Optimismus

Später erklingt ein Gong, danach wird es eine Minute lang still, viele schließen ihre Augen. Als der Schweigemoment vorbei ist, können alle noch mal, jetzt in Anwesenheit der Journalistin, frei über ihre Gefühle reden. Eine Weile herrscht Stille.

Dirk Landsberg beginnt als Erster zu sprechen. Er dreht seinen Ring am Ringfinger und sagt: „Bei mir sind zwei Gefühle vorherrschend: Ich bin froh, dass wir hier zusammensitzen, unsere Gefühle teilen und schweigen können. Aber ich bin auch wütend, dass es so etwas geben muss.“ Noch schauen die Meisten in der Runde zu Boden. Es wird weitere drei Redebeiträge dauern, dann sehen sie sich an und nicken sich zu.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Landsberg sagt hinterher, dass solche Gesprächsrunden zwar emotional belastend seien, es ihm hinterher aber nie schlechter gehe als vorher. Er ist motiviert, hierher zu kommen, seine Sorgen mitzuteilen. Aber in der Runde merkte er auch, dass andere noch viel geknickter sind als er. In solchen Momenten meldet sich dann doch wieder der alte Optimist in ihm. „Vielleicht konnte ich ihnen ja einen Strohhalm meines Optimismus mitgeben.“

Nach der Abschlussrunde spricht Dirk Landsberg seinen Sitznachbarn an. Er möchte noch weiter über das Thema von vorhin reden: Was können sie nun ganz konkret als Nächstes tun? Briefe an Abgeordnete schreiben, die Presse kontaktieren? Es dauert noch lange, bis die letzte Person aus dem Raum verschwunden ist.

Dieser Text ist Teil eines Rechercheprojekts zu Klimawandel und Gesundheit, das von der taz Panter Stiftung unterstützt wird.

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