Eine Gruppe von Punks sitzt im Kreis auf Stühlen und auf dem Boden, in einem Unterstand sitzen und stehen Punks während des Plenums

Foto: Esther Geißlinger

Protest auf Sylt:Punk ist zurück

Ein Camp am Rande von Westerland will im zweiten Sommer in Folge politischen Protest auf die Insel bringen. Aber die Punks sind nicht willkommen.

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10.8.2023, 14:05  Uhr

Auf einmal singt ein Wal in der Grünanlage gegenüber dem Rathaus von Westerland. Der Wal ist aus Draht geflochten, wie auch eine Wassermannfigur daneben, und die beiden älteren Frauen, die auf dem Platz zwischen Rasen und Rathaus miteinander schnacken, drehen sich zu den Figuren um, von denen die Töne ausgehen. „Dieser Mist“, schimpft eine. „Und nur aus Angst vor den Punkern.“

Vor einem Jahr, im Neun-Euro-Ticket-Sommer, kampierte eine Gruppe Punks im Herzen der Inselhauptstadt, dort, wo jetzt die Skulpturen stehen. In diesem Jahr sind die Punks zurück, allerdings nicht mehr vorm Rathaus. Da steht ja die Wal-Wassermann-Kunst aus Drahtgeflecht – die ganz Sylt für eine Anti-Punk-Maßnahme hält, auch wenn der parteilose Bürgermeister Nikolas Häckel noch so sehr darauf beharrt, dass es sich bei der Skulpturengruppe um ein Geschenk an Einheimische und Tou­ris­t*in­nen nach den zehrenden Coronajahren handelt.

Die Punks sind zurück. Nur dieses Mal außerhalb des touristischen Zentrums, in einem Camp, das die Beteiligten als mehrwöchige politische Aktion sehen und das die In­su­la­ne­r*in­nen teils mit Argwohn und Ärger, teils desinteressiert oder mit Amüsement betrachten. Die ersten Be­woh­ne­r*in­nen kamen in der letzten Juli-Woche auf die Insel, einige nur für ein paar Tage, andere wollen mehrere Wochen bleiben, beantragt ist das Camp bis zum 20. August. Das Ganze ist keinesfalls nur als Spaßaktion gedacht. Die Be­woh­ne­r*in­nen planen Demos, mit denen sie auf Missstände hinweisen wollen – wie etwa eine Tourismuspolitik, die zwar Reichtum auf die Insel bringt, aber die Interessen der Ein­woh­ne­r*in­nen, wie etwa bezahlbaren Wohnraum, oft nicht berücksichtigt.

Bei den beiden Seniorinnen vor dem Rathaus mischen sich Argwohn und Ärger über die Punks zu etwa gleichen Teilen: Sie freuen sich hämisch über den Regen, der in den vergangenen Tagen über Sylt niederging und das Leben im Zelt ungemütlich macht. Sie spotten über die Gemeinde, die ihrer Meinung nach keinen richtigen Umgang mit den schwarz gekleideten Be­su­che­r*in­nen findet. Sie schütteln aber auch die Köpfe über die Tourist*innen, die Punks auf Schnorr-Tour Geld in die Sammelbüchsen werfen.

Die Security grüßt höflich

Einige Straßen weiter in der Fußgängerzone, zwischen Cafés und Kleiderläden, sitzt eine Gruppe Punks auf der Straße, eine Sammelbüchse steht vor ihnen. Die wenigsten Pas­san­t*in­nen werfen ihnen einen Blick zu, nur die Männer in blauen Westen mit der Aufschrift „Security“ grüßen im Vorbeigehen höflich: „Moin, alles gut?“

Das Camp selbst befindet sich auf einer Wiese an der Grenze zum Ortsteil Tinnum, gut zwei Kilometer vom Bahnhof Westerland entfernt und schräg gegenüber dem Sylter Flughafen, auf dem vor wenigen Wochen Mitglieder der Letzten Generation Flugzeuge mit orangener Farbe besprühten, um auf den gewaltigen CO2-Fußabdruck der sehr Reichen dieser Welt hinzuweisen. Die Farbe ist auf dem Betonfeld noch zu sehen, ansonsten herrscht normaler Betrieb: In unregelmäßigen Abständen rauschen die kleinen Maschinen bei Starts oder Landungen dicht über das Camp.

Ein niedriger, grasbewachsener Wall schirmt den Zeltplatz zum Gehweg hin ab, auf dem Menschen mit Hunden vorbeischlendern. Die meisten sind Einheimische, denn in diese Gegend zwischen Flugplatz und Gewerbegebiet verirren sich Ur­lau­be­r*in­nen selten. Auf dem Platz verteilen sich kleine Zelte, in der Mitte steht ein Sofa unter einem Holzgestell, über das eine Plane als Regenschutz gebreitet ist. Im Halbkreis davor sitzen auf Stühlen, Bierkästen und Plastikplanen die Be­woh­ne­r*in­nen des Camps: Das morgendliche Plenum tagt.

Rund 70 Personen bewohnen das Zeltlager zurzeit, bis zu 100 könnten es werden, schätzt Marvin Bederke, der die Aktion offiziell angemeldet hat und gemeinsam mit seinem Freund Jonas Hötgen für die Behörden – und auch für viele Be­woh­ne­r*in­nen – der wichtigste Ansprechpartner ist. Ein bisschen stressig sei das schon, sagt Bederke, der aus Frankfurt am Main stammt. Dennoch sei die „Aktion Sylt – Sylt für alle!“ gut vorbereitet: „Wir haben aus dem vergangenen Jahr gelernt.“

Damals kamen die Punks als Reaktion auf Medien­berichte, in denen es um die Angst der Insel vor einem Ansturm von Neun-Euro-Reisenden ging. Das klang für viele Pun­ke­r*in­nen aus dem ganzen Bundesgebiet wie eine gute Idee, daher reisten sie an. Bis zu 200 Personen lebten damals in den Protestcamps gegenüber dem Rathaus und neben der Kirche. Es gab keine Toiletten, kein Wasser, also wurde eine Telefonzelle als Klo benutzt und ein Brunnen als Planschbecken. Geduldet wurden die Lager, weil sie dem Versammlungsrecht unterlagen.

Rückenansicht von zwei Punks, die in der Fußgängerzone in Westerland sitzen und von den Passanten ignoriert werden

Schnorren gehört natürlich dazu: In der Fußgängerzone von Westerland Foto: Esther Geißlinger

„Es gilt grundsätzlich für jedermann und für jedes politisch-gesellschaftliche Anliegen“, erklärte damals Kai Mintrop, Leiter des Fachdienstes Recht und Sicherheit der Kreisverwaltung in Husum, wo die Versammlungsbehörde angesiedelt ist. Doch Mitte August entzog der Kreis wegen Ruhestörung und Lärmbelästigung der Anwohnenden erst dem Camp an der Kirche den Status einer Versammlung. In der ersten Septemberhälfte erlosch auch die Genehmigung für das Camp am Rathaus. Die Beteiligten hätten sich nicht an die Spielregeln gehalten, so Mintrop. Gerichte bestätigten die Entscheidung, die Punks verließen die Insel.

Diesmal soll es keine Klagen geben: „Das Camp im vergangenen Jahr hatte Bestand, weil es da war – jetzt wollen wir mit guter Planung dafür sorgen, dass es nicht verboten wird“, sagt Bederke. Er und Hötgen akzeptierten die „Spielregeln“ dieses Jahr; zu den Auflagen gehören ein Toiletten- und ein Müllkonzept. Letzteres hat aus Sicht der Camp-Anmelder einen großen Haken: „Wir dürfen den Müll nicht selbst zum Recycling bringen, sondern er wird containerweise abgeholt“, berichtet Hötgen. Der Container allein kostet mehrere Hundert Euro, hinzu kommt das Gewicht des Abfalls – daher bemüht sich die Gruppe, möglichst wenig Dreck zu machen.

Die Camp-Anmelder haben außerdem mehrere mobile Klos gemietet, die nun am Rand der Wiese stehen, die die Gemeinde zur Verfügung gestellt hat. An einer der Toilettenkabinen hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Für Telefonstreiche“, als Erinnerung an die vollgepinkelte Telefonzelle im vergangenen Jahr. Für Klos und Müll sind Bederke und Hötgen in finanzielle Vorleistung gegangen. Sie hoffen auf die Selbstbeteiligung der anderen und auf Spenden, um das Camp am ­Leben zu erhalten.

Bisher, berichtet der angehende Jura­student Bederke im Plenum, gebe es Lob vom Ordnungsamt und der Polizei für das Verhalten der Bewohner*innen. So „gechillt“ solle es bleiben: „Bitte kein Wildpinkeln, klaut nicht, und verderbt es uns nicht mit den Läden im Umkreis.“

Die Gemeinde kann das Punk-Camp nicht verbieten

Während Bederke und Hötgen das Beste aus der Lage machen wollen, ist Jörg Otto sauer: Nicht nur, dass die Punks an den Rand des Ortes gedrängt wurden, die Wiese sei zudem in einem schlimmen Zustand: „Alles voller Löcher, das ist absolut gefährlich, man kann stolpern und sich etwas brechen“, sagt der Hamburger, der im vergangenen Jahr als Sprecher des Camps bundesweite Bekanntheit erlangte.

Auch, dass Wasseranschlüsse und Strom fehlten, sei nicht nur ein Ärgernis, sondern ein Versäumnis der Behörden: „Demonstrationen sind für eine Verwaltung eigentlich Sternstunden, da können sie zeigen, was sie können.“ Es sollte ein Leichtes sein, das Camp mit Energie und Wasser zu versorgen, doch es passiere nichts, ärgert sich der 47-Jährige, der bei der Linken engagiert ist und bei der Kommunalwahl im Frühjahr erfolglos für einen Platz im Rat der Gemeinde Sylt antrat.

Die Gemeinde kann das Camp nicht verbieten, aber sie kann zeigen, dass diese Gäste nicht willkommen sind. Besonders geschickt geht sie dabei aber nicht vor: Das von vielen bespöttelte Anti-Punk-Kunstwerk vor dem Rathaus beschloss der Gemeinderat in nichtöffentlicher Sitzung und per Dringlichkeitsantrag. „Kulturvereine und Kunstschaffende fühlen sich übergangen, weil sie nicht einbezogen wurden.

Ein Gemeindevertreter der regionalen „Zukunft.“-Partei hält das Vorgehen sogar für rechtswidrig und habe Beschwerde beim Kreis Nordfriesland eingelegt, berichtete die lokale Sylter Rundschau. Hinzu kommen Kosten von fast 94.000 Euro, die die Gemeindekasse belasten.

Der neueste Nadelpiks der Behörden ist eine Forderung des Ordnungsamts, die den Be­woh­ne­r*in­nen am 1. August übermittelt wurde: Die Camp­be­woh­ne­r*in­nen sollen Kurtaxe zahlen. Etwas ratlos hebt Bederke an dem Tag einen Packen Meldezettel in die Höhe: „Die wurden heute morgen vorbeigebracht.“

Grundsätzlich müssten alle Be­su­che­r*in­nen eine Kurabgabe entrichten: „Das bestätigt eine rechtliche Bewertung, die die Gemeinde Sylt eingeholt hat“, teilt die Pressestelle des Rathauses mit. Eine Ausnahme seien Veranstaltungen, die durch die Versammlungsfreiheit gedeckt sind. Nach der juristischen Meinung der Gemeinde ist „für die Dauer der Teilnahme an einer Versammlung keine Kurabgabe zu zahlen. Eine Versammlung kann in Form einer Demonstration, eines Umzuges oder eines Protestcamps erfolgen.“

Aber, heißt es aus dem Rathaus auf taz-Anfrage: „Sobald die Teilnehmer die Versammlung verlassen, um sich am Strand aufzuhalten oder spazieren zu gehen, sind sie zur Zahlung der Kurabgabe verpflichtet.“ Die Kontrollen „finden im üblichen Rahmen statt“.

Der Camp-Sprecher des Vorjahres, Jörg Otto steht vor einem Zaun hinter dem einfach Mietshäuser stehen, die gerade abgerissen werden

Jörg Otto ist zum zweiten Mal dabei. Er protestiert gegen den Abriss von Wohnraum auf Westerland Foto: Esther Geißlinger

Würde die Gemeinde den Anmelder Marvin Bederke juristisch als „Vermieter“ ansehen, hätte er die Pflicht, das Geld von den Teilnehmenden einzuziehen. Ob sie das tun wird, ist aber noch unklar. Es geht jedenfalls um 3,70 Euro Kurtaxe pro Person und Tag, das kann bei einem mehrwöchigen Aufenthalt von 100 Personen teuer werden. Bei dem Gedanken sieht der 23-Jährige etwas unglücklich aus. Die Auskunft der Pressestelle beruhigt aber ein wenig: „Die Veranstalter des Camps sind nicht für das Verhalten einzelner Teilnehmer in Verantwortung zu nehmen.“

Mit anderen Worten: Der Kurtaxe-Bescheid könnte praktisch folgenlos bleiben – aber er ist gleichwohl eine klare Ansage, dass die Kampierenden nicht willkommen sind auf der Insel.

Bei der Debatte im Plenum auf der Wiese wird klar, dass niemand Bock – und Geld – hat, eine Kurabgabe zu zahlen. Schließlich sei der gesamte Aufenthalt auf der Insel eine politische Demonstration, entscheidet die Runde: „Wir gehen juristisch dagegen vor.“

Klar ist, dass die Punks in diesem Jahr längst nicht so stark wahrgenommen werden wie im vergangenen. Bei der Sylt Tourismus GmbH, einem privaten Vermittlungsservice für Ferien­unterkünfte, ist das Camp kein Thema: „Daran haben wir kein Interesse“, sagt ein Mitarbeiter des Büros, das sich nur wenige Hundert Meter vom Camp entfernt befindet. Es gebe bislang keine Rückmeldungen von Sommergästen; auch vonseiten der Ver­mie­te­r*in­nen höre die Zentrale keine Beschwerden. Auf die Frage, ob ihn selbst die Punks störten, sagt der Mitarbeiter: „Ich kriege da nicht viel von mit, ich wohne nicht auf der Insel.“

Genau das ist das Problem, auf das das Protestcamp hinweisen will: „Die Reichen schotten sich ab. Die wahren Sylter pendeln auf ihre Insel, eine Wohnung dort können sie sich nicht mehr leisten“, heißt es auf der Homepage der „Aktion Sylt“.

Wenn sie so etwas hört, winkt Astrid Jahn, die eigentlich anders heißt, nur ab: „Die Punks mögen bunt und nett sein, aber es muss kein Bengel aus Frankfurt kommen, uns unsere Probleme zu erklären.“ Die alteingesessene Sylterin ist bereit, etwas über das Leben auf der Insel zu erzählen, aber bitte nur anonym. Denn das mediale Interesse an dem Konflikt zwischen Lu­xus­ur­lau­be­r*in­nen und Punks sei eh schon groß und nicht gut für Sylt, meint sie. „Uns ganz normalen Leuten geht es auf den Senkel, auf diese Dinge reduziert zu werden.“

Der Tourismus ist Fluch und Segen für die Insel zugleich, darin sind sich die meisten Syl­te­r*in­nen inzwischen einig. 2020 fand eine Befragung statt, bei der sich eine Mehrheit der Einheimischen gegen den „Overtourism“ aussprach. Vor allem den Autoverkehr zur Hochsaison beklagten die meisten. Rund 7 Millionen Übernachtungen zählte die Insel im Vor-Corona-Jahr 2019, bei einem Bruttoumsatz von über 500 Millionen Euro.

Einwohnerin in Westerland

„Bisher hieß es immer: Der Tourist zuerst. Aber wir Einheimischen wollen auch gut leben“

Entsprechend liegen Sylts Immobilienpreise auf Spitzenniveau. Laut der Analyse eines bundesweit tätigen Maklerunternehmens werden Preise bis zu 15.000 Euro aufgerufen – pro Quadratmeter. Zwar steigen die Preise zurzeit nicht weiter, dennoch sind auch für kleinere Objekte Preise von über 1 Million Euro fast normal.

Gleichzeitig sind die Finanzen der Gemeinde Sylt, die außer aus Westerland aus den Dörfern Tinnum, Keitum, Archsum, Morsum, Munkmarsch und Rantum besteht, begrenzt. Zwei Jahre lang galten – begründet durch Lücken in der Buchhaltung – Nothaushalte, deren Ausgaben sich auf ein Minimum beschränkten und vom Kreis genehmigt werden mussten. Erst der Haushaltsplan 2023 unterliegt keinen Auflagen mehr. Doch nötige Projekte, etwa ein Radwegekonzept, seien liegen geblieben, klagte ein Gemeindevertreter der Sylter Wählergemeinschaft laut der Lokalzeitung.

Für ein Radwegekonzept ist auch die Sylterin Astrid Jahn: „Wenn so eine Horde Touris mit Kindern, Hunden und Handkarren über den Bürgersteig zieht, bleibt kein Platz mehr.“ Aber auch breitere Wege ändern das Grundproblem nicht: Es ist zu eng, zu voll auf der Insel. „Wir müssen den Tourismus ändern“, sagt die Westerländerin. „Bisher hieß es immer: Der Tourist zuerst. Aber wir Einheimischen wollen auch gut leben.“ Die Innenstadt müsse attraktiver, der Verkehr reduziert werden.

Der Gemeinderat hat inzwischen ein neues Beherbergungskonzept beschlossen, das keine weiteren Ferienwohnungen mehr zulässt. Und Wohnungen in Kellern, Ausweichquartiere auf Dachböden, die nie erlaubt waren, aber bisher oft augenzwinkernd geduldet wurden, sollen verschwinden, darauf weist die Homepage der Gemeinde hin. Der Kreis achtet verstärkt darauf, dass die Regeln eingehalten werden.

Aber selbst mit politischen Beschlüssen im Rücken dauert es lange, bis sich etwas tut auf der Insel. Der Bau des Skater-„Multiparks“, ein Wunschprojekt vieler Familien und Jugendlicher, verzögert sich seit Jahren. Grund sind Proteste von Anwohner*innen, die Lärm fürchten, und Vorschläge des einflussreichen Vereins Sylter Unternehmen, der den Park ins fernere Keitum verbannen möchte.

„Leider ist die Macht da, wo das Geld ist“, sagt Sven Nissen, der ebenfalls nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen will. Der Handwerker und Familienvater sieht zwei Gruppen: „Die einen wollen eine Insel zum Leben, die anderen maximalen Umsatz.“ Einzelhandel, Gastronomie und Hotelerie hätten Interesse daran, noch mehr Gäste zu holen. Das führe zu Auswüchsen, sagt Nissen: „Vier Golfplätze, Sternerestaurants und Läden für Luxusklamotten: Wo bitte ist dafür der Bedarf auf einer 18.000-Einwohner-Insel?“ Doch am Ende schade der „Overtourism“ sich selbst, ist sich Nissen sicher: „Die Leute laufen durch die Natur, derentwegen sie kommen, und machen sie dadurch kaputt.“

Ein Catering-Unternehmen brachte Nudelsalat in großen Eimern im Camp vorbei, eine Anwohnerin stiftet Sofas und Bretter

In der Regel sei ein Ort dann für Fremde interessant, wenn es Einheimischen gut gehe, meint der Insulaner: „Das zieht den Tourismus an, den man haben will.“ Doch zurzeit werde Sylt ausverkauft, die Marke Sylt verwässert: „Im Supermarkt steht Sanddornlikör, dabei wächst hier kein Sanddorn. Auch Sylter Salatdressing, Sylter Gin oder Wodka haben eigentlich nichts mit der Insel zu tun.“

Die Aufregung über die Punks kann der Handwerker nicht verstehen, er hat nichts gegen das Camp: „Jeder normale Tourist, der bei Gosch isst und seinen Frittenkarton fallen lässt, macht mehr Müll.“ Und das Gemecker darüber, dass die Punks „nur subventioniert Dosenbier saufen“, wie es in einem Leserbrief an die Lokalzeitung heißt, lässt er nicht gelten: „Die haben im vergangenen Jahr schon viel organisiert, unter anderem Konzerte.“

Auch diesmal wollen die Punks einiges auf die Beine stellen: Mehrere Demos hat es bereits gegeben, ein Festival ist geplant, berichten Jonas Hötgen und Marvin Bederke. Sie freuen sich über konkrete Unterstützung: Ein Catering-Unternehmen brachte Nudelsalat in großen Eimern vorbei, eine Anwohnerin stiftete Sofas und Bretter.

„Viele Leute finden es gut, was wir machen“, ist Otto überzeugt. Im vergangenen Jahr scheiterte er daran, eine bezahlbare Wohnung auf Sylt für sich selbst zu finden, nun protestiert er im Stadtzentrum von Westerland gegen den Abriss von zentrumsnahen Wohnblocks. Die Passant*innen, die er anspricht, reagieren nicht, gehen schnell weiter.

Nicht nur Otto, sondern eine ganze Reihe weiterer Be­woh­ne­r*in­nen des Camps ist bereits zum zweiten Mal auf der Insel – und auch wenn einige von den endlosen Sitzungen im Plenum genervt sind, halten sie trotz des ungemütlichen Wetters durch. Gruppen werden organisiert: Demo-Vorbereitung, Infrastruktur, Müll sammeln, Schnorren: Ja, auch das sei politisch, finden die Bewohner*innen.

Insulanerin Astrid Jahn sieht das anders: „Da umringen so freche Mädchen einen älteren Herrn und fordern aggressiv Geld. Das geht nicht.“

Marvin Bederke würde das unterstreichen: Ärger braucht der Camp-Anmelder nicht. Aber zu Reibungen kommt es trotzdem, einfach, weil das Camp da ist und Neugierige anzieht. Bewohnerin Jacky berichtet im Plenum von einem Vorfall, bei dem ein Besucher eine Frau doof angemacht habe und die Mitglieder der Camp-eigenen Nachtwache nicht eingegriffen hätten. Sie schlägt vor, ein Awareness-Team zu gründen.

Auch das Bau-Team hat sich einiges vorgenommen, um das Camp bequemer zu machen: Der erste Schritt ist ein größeres Dach über dem zentralen Platz; eine Waschgelegenheit und eine Küche sind in Planung. Langfristig können sich die Pro­test­camp­le­r*in­nen vorstellen, einen Verein zu gründen mit dem Ziel, auf der Insel einen Wagenplatz oder ein Dauercamp einzurichten. Denn ein bisschen mehr Punk täte Sylt gut, finden sie.

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