Grüne Kritik an Aussagen von Scholz: „Eines Kanzlers unwürdig“

Olaf Scholz spricht im „Spiegel“ von Abschiebungen „im großen Stil“. Teile der Grünen kritisieren dies scharf, allen voran ihre Jugendorganisation.

Timon Dzienus mit T-Shirt mit der Aufschrift "Kein Mensch ist illegal" Sarah-Lee Heinrich

Sarah-Lee Heinrich und Timon Dzienus: Die Führungsriege der Grünen Jugend will keine „AfD-Politik light“ Foto: Kay Nietfeld/dpa

LEIPZIG taz | Innerhalb der Grünen nimmt die Kritik an der Asylpolitik der Ampelregierung zu. Ein Interview von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit dem Spiegel hat jetzt zu besonderem Unmut geführt. „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“, sagt Scholz darin. Er spricht zwar von einem „Bündel von Maßnahmen“, keine der genannten ist neu. Doch Scholz' Ton ist hart. Und der Spiegel hat das Abschiebe-Zitat mit dem Konterfei des Kanzlers auf den Titel gepackt.

Innerhalb der Grünen Jugend ist das Entsetzen besonders groß. Die Nachwuchsorganisation trifft sich an diesem Wochenende zu ihrem Bundeskongress in Leipzig. „Sorry, da krieg ich das Kotzen. Für einen sozialdemokratischen Kanzler ist das echt unwürdig“, sagte Timon Dzienus, einer der beiden Noch-Vorsitzenden des Verbands, in der Eröffnungsrede am Freitagabend. Seine Co-Sprecherin Sarah-Lee Heinrich kritisierte, die Ampel setze „AfD-Politik light“ in der Migrationspolitik um. Am Samstagabend wählt die Grüne Jugend ihren Vorstand neu, nach zwei Jahren im Amt dürfen Heinrich und Dzienus nicht mehr antreten.

Die Kritik geht aber weit über die Grüne Jugend hinaus. „30 Jahre nach 1993 sollten wir doch gelernt haben, dass Abschotten, Abschrecken und Abschieben keine Migrationspolitik ist, sondern ein Konjunkturprogramm für Rassismus und Rechtsradikale …“, kommentiert etwa Jürgen Trittin, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, den Spiegel-Titel auf X, früher Twitter. 1993 wurde das Asylrecht durch eine Grundgesetzänderung massiv eingeschränkt, es gab eine Vielzahl rassistischer Angriffe. Beim Brandanschlag in Solingen starben fünf Mitglieder der Familie Genç

„Es ist eines Kanzlers unwürdig, solche Scheinlösungen zu propagieren, die nicht nur politisch, sondern auch in der Realität nicht durchsetzbar sind“, so die grüne Bundestagsabgeordnete Karo Otte gegenüber der taz. „Wo will er denn hin abschieben? Und wen?“ Die Probleme in den Kommunen könnten dagegen real gelöst werden, aber von solchen Lösungen gebe es keine Spur.

Die Bundestagsabgeordnete Misbah Khan nennt die Scholz-Äußerung einen „Brandbeschleuniger“: „Ich erwarte von meinem Kanzler, dass er sein Land eint und nicht weiter spaltet“, so Khan. „Wir brauchen einen Bundeskanzler, der der Bevölkerung in Krisen Orientierung bietet und Probleme ehrlich angeht“, twittert auch Jamila Schäfer, die für die Grünen aus München direkt gewählt im Bundestag sitzt. Stattdessen suggeriere Scholz, dass die Lösung bei Abschiebungen läge. „Das ist verantwortungslos.“

„Wer wider besseren Wissens suggeriert, dass die wesentliche Lösung bei den migrationspolitischen Herausforderungen in Abschiebungen liegt, macht sich zum Steigbügelhalter der Demokratiefeinde“, schreibt der Migrationsexperte Erik Marquardt, der für die Grünen im Europa-Parlament sitzt, auf X. „Wer Populisten das Wort redet, ist kein guter Kanzler“, twitterte der Europaabgeordnete Rasmus Andresen. In den sozialen Netzwerken finden sich noch zahlreiche weitere Äußerungen dieser Art, sie kommen fast ausschließlich von linken Grünen.

Auf dem Bundeskongress der Grünen Jugend in Leipzig steht das Thema am Samstagnachmittag auf der Tagesordnung. Bei Parteitag der Grünen Ende November in Karlsruhe ist eine Debatte bislang nicht vorgesehen. Aus der Partei aber ist zu hören, dass man um das Thema wohl nicht herumkommen wird. Es könnte turbulent werden.

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