Klage gegen Volksinitiative: Hamburg will nicht enteignen müssen

Der Hamburger Senat will die Initiative „Hamburg enteignet“ stoppen. In der Begründung lobt er auch intensiv die eigene Wohnungspolitik.

"Hamburg enteignet"-Sticker an einem Laternenmast, die Binnenalster im Hintergrund

Hanseatische Enteignung: Das will der Senat mit einer Klage verhindern Foto: Jürgen Ritter/Imago

HAMBURG taz | Es ist ein bunter Strauß an Begründungen, warum der Hamburger Senat die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ für verfassungswidrig hält. Auf 108 Seiten plus 100 Seiten Anhang hat er sie nun dargelegt und damit das Hamburgische Verfassungsgericht eingeschaltet: Das soll die weitere Durchführung hin zu einem Volksentscheid stoppen. „Der Senat will um jeden Preis verhindern, dass Hamburgs Bevölkerung über Enteignung abstimmt“, sagt Marie Kleinert von der Initiative. Bis das Verfassungsgericht über den Antrag des Senats vermutlich frühestens in einem Jahr entschieden hat, muss die Initiative warten.

Im September vergangenen Jahres begann die Volksinitiative mit der Unterschriftensammlung. Nach dem Vorbild der Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ sollen in Hamburg private, profitorientierten Immobilienkonzerne mit mindestens 500 Wohnungen enteignet werden – und die Wohnungen in öffentliche Hand übergeben werden. Damit dürfte es sich um mindestens 100.000 Wohnungen handeln, die danach von einem gemeinwohlorientierten kommunalen Unternehmen verwaltet würden.

Im ersten Schritt hatten sich mehr als 18.000 Ham­bur­ge­r:in­nen für das Vorhaben ausgesprochen. Im Rahmen der Hamburger Volksgesetzgebung stünde nun ein Volksbegehren an, in dem die Initiative innerhalb von drei Wochen 65.000 Unterschriften sammeln müsste. Ziel der Initiative ist, dass die Mehrheit der wahlberechtigten Ham­bur­ge­r:in­nen darüber in einem Volksentscheid abstimmt und der Senat dies anschließend umsetzt – ähnlich wie in Berlin, wo ebenfalls eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten für Enteignungen gestimmt hatte. Der dortige Senat allerdings hat die Umsetzung seither blockiert.

In Hamburg kann der Senat Klage gegen diese Durchführung einreichen, wenn er „erhebliche Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit der Initiative hat. Das hatten bereits mehrere SenatorInnen in den vergangenen Monaten angeführt – ohnehin halten SPD und Grüne inhaltlich nichts von Enteignungen als Mittel, um bezahlbaren Wohnraum in Hamburg zu gewährleisten.

Experten sehen kein Problem

Die Gründe, die der Senat anführt, sind vielfältig: So macht er etwa „erhebliche Bedenken“ hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit von Maßnahme geltend. Da eine solche Vergesellschaftung, die im Grundgesetz geregelt ist, bislang noch nicht angewendet wurde, überrascht das kaum. Zugleich hatte allerdings eine Kommission aus juristischen Ex­per­t:in­nen vor einigen Monaten in ihrem Abschlussbericht zur Umsetzbarkeit des Berliner Volksentscheids deutlich gemacht, dass das möglich und verfassungskonform wäre. Auch in einer vorab festgelegten Zahl an im Besitz befindlichen Wohnungen, ab der Immobilienkonzerne enteignet würden, sahen die Ex­per­t:in­nen kein Problem.

Auch in einem anderen Punkt kommt der Hamburger Senat zu einer anderen Einschätzung als die Berliner Expert:innenkommission: Der Senat ist der Ansicht, dass die betroffenen Wohnungseigentümer mehr oder minder zum Marktwert zu entschädigen sind. Indes hatte die Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on herausgestellt, dass die Entschädigungssumme unter dem Marktwert der Immobilien liegen könne.

Nach Ansicht des Senats wären dafür bis zu 7,3 Milliarden Euro fällig – allerdings geht der Senat davon aus, dass lediglich 32.000 Wohnungen von einer Vergesellschaftung betroffen wären, wohingegen die Volksinitiative mit rund 100.000 Wohnungen rechnet. So genau weiß das aber niemand, auch der Senat erklärt, dass „Ermächtigungsgrundlagen für eine entsprechende Datenerhebung nicht zur Verfügung stehen“. So oder so: In jedem Fall sei es ein „Eingriff in den Kernbereich des Haushaltsrechts der Bürgerschaft“ – das sei laut Verfassung nicht zulässig.

Außerdem ist der Senat laut Klageschrift der Ansicht, es sei verfassungswidrig, dass er gezwungen sein könnte, im Falle eines erfolgreichen Volksentscheid „gegen seinen Willen durch persönliche Mitarbeit von Mitgliedern des Senats“ an der Umsetzung mitzuarbeiten. Dies sei ein Bruch des Grundsatzes der sogenannten Verfassungsorgantreue.

Senat lobt sich selbst

Zugleich lobt sich der Senat selbst – und führt seine eigene Politik als wirksamere Maßnahme „zur Gewährleistung einer angemessenen Wohnraumversorgung der Bevölkerung“ an: Durch das mit der Wohnungswirtschaft geschlossene „Bündnis für das Wohnen“ seien in Hamburg in den vergangenen Jahren Zehntausende Wohnungen gebaut worden, wodurch Hamburg „weiterhin eine soziale Metropole für alle“ geblieben sei. Damit sei aus Sicht des Senats nachgewiesen, dass es neben der Vergesellschaftung größerer Wohnungsbestände effektivere, aber weniger eingriffsintensive Maßnahmen gebe.

„In diesem Schriftsatz stehen seitenweise Eigenlob des Hamburger Senats“, beklagt deshalb Marie Kleiner von der Volksinitiative. Dabei sei der Wohnungsbau längst eingebrochen, die Mieten würden weiter rasant steigen. Das sieht auch, als einzige Fraktion in der Bürgerschaft, die Linkspartei so: „Der Senat will lieber seinen Kuschelkurs mit der profitorientierten Wohnungswirtschaft und windigen In­ves­to­r*in­nen fortsetzen“, sagt Heike Sudmann, wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion.

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