Militärmusikfestival in Bremen: Tschingdada Bumbum

Mit klingendem Spiel demonstrieren Streitkräfte beim „Bremen Tattoo“ ihre Friedensliebe. Sie setzen dabei die Militärmusiktradition der Stadt fort.

Ein Posaunist der Militärkapelle fällt während der Generalprobe für die Geburtstagsparade Trooping the Colour für König Charles III. am 17. Juni, auf der „Horse Guards Parade“ in Ohnmacht

Symbolbild, dass Militärmusik einen fertigmachen kann. Posaunist einer Militärkapelle fällt in Ohnmacht Foto: picture alliance/dpa/PA Wire/Jonathan Brady

Wo bleibt der solidarische Impuls? „Bremen Tattoo“ heißt das Event, und Tattoo ist der verballhornte holländische Ausdruck für Zapfenstreich, der sich als internationale Bezeichnung für Militärmusikschauen durchgesetzt hat. Und jetzt marschieren mit Trompeten, Becken und Großer Trommel bewaffnet die Mitglieder des Militärorchester aus Tschernihiw in die ÖVB-Arena vulgo Stadthalle mit klingendem Spiel ein.

Was Musikalität und Intonation angeht, ist das um Längen besser als der Schreichor der Bundeswehrmarine, der das Event eröffnet hatte: Unter der Fuchtel von Stabsbootsmann Siegfried Knapke hatten die Blauen Jungs Bremerhaven stillgestanden und trotzdem eine schlechtere Trefferquote als ein heißgelaufenes G36-Sturmgewehr ergrölt. Die Tschernihiwer Musiksoldaten hingegen bilden eine Keilformation und begleiten akkurat die Sängerin, die auf Englisch ins Mikro schmettert, dass Blut und Tränen nie versiegen würden zum Ruhme des Vaterlands, das sich prima auf Schmerz reimt: „Glory to Ukrai­ne“. Aus politischer Überzeugung müsste ich jetzt ergriffen sein.

Ich müsste, ganz wie die Be­su­che­r*in­nen in der Sitzreihe vor mir, dem Drang nachgeben, mich mit dem kriegerischen Kollektiv zu identifizieren und den eingängigen Zweier­rhyth­mus mitklatschen. Aber ich fühle ihn nicht in mir, den Drang: Wie will denn die Ukrai­ne den Krieg gewinnen, wenn sie ihre gefährlichsten Bläser in Bremen Angst und Schrecken verbreiten lässt?, zersetzt ein gedachter Kalauer meine Solidarität. Was ist bloß mit mir los?

MiIitärmusik muss man nicht mögen. Albert Einstein jedenfalls mochte sie nicht. Er meinte: „Wenn einer mit Vergnügen zu einer Musik in Reih und Glied marschieren kann, dann hat er sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde.“

Okay, Albert Einstein fand Militärkapellen auch doof. Musiksoziologie und Kriegs­theo­rie übergehen sie meist mit Schweigen (Clausewitz) oder zitieren sie als verächtliches Beispiel (Adorno).

Doch „Musik ist stets notwendiger Bestandteil organisierter Kriegsführung gewesen“, hat die rühmliche Ausnahme Eva Rieger festgestellt. Aber auch die Musikwissenschaftlerin fragt vor allem, wie das Klingkling, Bumbum und Tschingdada die andere, vermeintlich absolute Musik infiltriert hat. Dabei kann als korrespondierendes Gegenstück ihrer Einsicht gelten, dass auch die, ja alle Musik stets und notwendig Krieg ist: denn sie erobert die Körper der Hörenden. Denen bleibt, sich dem Klang und der ihn vortragenden Gemeinschaft zu unterwerfen, oder eben, sie als Gewalt zu erleiden. Auf Dauer bringt sie so jedes Bollwerk zum Einsturz: Das ist sozusagen die Wahrheit des biblischen Mythos von der Eroberung Jerichos. Käme Musik im Tattoo etwa nur zu sich selbst?

Das Publikum macht schlapp. Sind dreieinhalb Stunden Ausdauer­marsch­musik zu viel?

Im zweiten Teil macht das Publikum allmählich schlapp. Sind dreieinhalb Stunden Ausdauermarschmusik zu viel? Oder verblassen die Acts einfach gegenüber dem Auftritt der Propagandakapelle aus Shijiazhuang? Deren großartige Show kurz vor der Pause hatte damit geendet, dass alle begeistert der in einer Schwungtuchchoreografie präsentierten chinesischen Staatsflagge zujubelten. Danach fällt das Mitklatschen schwächer aus, verebbt manchmal ganz.

Auch wenn der Pazifist und Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde in Bremen geboren ist und die Uni eine Zivilklausel hat. Die Stadt ist traditionell Aufmarschgebiet der Militärmusik: Die jetzige Show ersetzt in derselben Location die von 1965 bis 2017 von Kriegsgräberfürsorge und Bundeswehr koordinierte „Musikschau der Na­tio­nen“.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Bei der hatten zunächst die Armeen der Nato-Partner, später dann aber auch andere, wie von Russland, Weißrussland und Syrien ihre Korps in die Arena geschickt, um Völkerverständigung und Friedensliebe zu demonstrieren. Das Konzept hat der kommerzielle Veranstalter etwas aufgeweicht:

Er hält das mehrtägige Manöver nicht mehr nur in Bremen, sondern in diversen anderen Städten ab. Auch ist knapp die Hälfte der Spielmannszüge, die hier im strammen Tritt, in Schritt und Tritt und Tritt und Schritt marschieren, nicht Teil der Streitkräfte ihrer Nationen. Ungewiss aber bleibt, ob das nun auf eine Zivilisierung des Events hindeutet. Oder einen höheren Militarisierungsgrad der Bevölkerung.

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Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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