Demos gegen rechts: Was der Protest bewegt

Die Anti-rechts-Demonstrationen machen die AfD nervös. Was weiß die Forschung über den Zusammenhang von Protesten und Wahlergebnissen?

Uew Thrummit geschlossenen Augen inmitten von Journalisten

AfD-Kandidat Uwe Thrum verlor am 28. Januar die Landratswahl im ostthüringischen Saale-Orla-Kreis Foto: Jens Schlueter/getty images

BERLIN taz | Eine gewisse Nervosität ist spürbar beim Medienempfang der AfD-Fraktion im Bundestag am Mittwochabend. Die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla haben in das Abgeordnetenrestaurant im Bundestag geladen. Es gibt Lachshäppchen und gute Weine, während im Hintergrund ein Trio auf Xylofon, Saxofon und Kontrabass spielt. Aus dem langgestreckten Saal kann man zur einen Seite die Wiese vorm Reichstag sehen, wo kürzlich Hunderttausende gegen rechts demonstrierten, zur anderen Seite den Plenarsaal des Bundestags.

Einige Stunden zuvor hielt Weidel dort eine Rede, die langjährige parlamentarische Be­ob­ach­te­r*in­nen das „Hasserfüllteste“ nannten, was sie im Plenum des Bundestags je erlebt hatten. „Diese Regierung hasst Deutschland“, keifte Weidel in Richtung Regierungsbank. Sie sprach von einer „Schneise der Verwüstung“ durch die Bundesregierung und einer „beispiellosen Verleumdungskampagne gegen die AfD“. Ihre Botschaft: Die AfD will angreifen, jetzt erst recht.

Beim Medienempfang geben sich die anwesenden AfD-Abgeordneten alle Mühe, gut gelaunt zu wirken. Doch die meisten Fragen drehen sich um unbequeme Themen: Das Potsdamer Treffen von AfD-Politikern, Un­ter­neh­me­r*in­nen und Rechtsextremen, bei dem millionenfache Vertreibungen von Deutschen mit Migrationshintergrund diskutiert wurden – und die Massenproteste von Millionen Menschen gegen rechts, nachdem die Rechercheplattform Correctiv das Treffen öffentlich gemacht hatte. Schaden sie der AfD? Und wenn ja, wie stark?

Traten Par­tei­ver­tre­te­r*in­nen angesichts des Höhenflugs in Umfragen zuletzt regelrecht machttrunken auf und sprachen mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gar von der absoluten Mehrheit und der Aufteilung von Ministerien, ist die Stimmung beim Medienempfang deutlich gedämpfter.

Minus drei Prozentpunkte

Vizebundessprecher Stephan Brandner sagt der taz, dass er nicht glaube, dass die AfD die Landratsstichwahl am 28. Januar im Saale-Orla-Kreis verloren hätte, wenn es die Protestwelle nicht gäbe. Trotzdem gibt er sich optimistisch: zwar geht er davon aus, dass die AfD in Bundestagswahlumfragen unter 20 Prozent bröckeln würde, „aber nicht nachhaltig“. Auch der Europawahlspitzenkandidat Maximilian Krah will zwar „kaum Wirkung“ der Proteste sehen, spricht aber von einer „Binnenmobilisierung im linken Spektrum, die ich dennoch mit einer gewissen Sorge sehe, weil sie unser weiteres Wachstum vermutlich erschwert, insbesondere unter Migranten“.

Anonym werfen AfD-Politiker den Vorsitzenden Weidel und Chrupalla Führungsschwäche vor, weil es keine einheitliche Kommunikations- oder Sprachregelung zur Correctiv-Enthüllung gegeben habe. Jeder wurschtele vor sich hin, in der Fraktionssitzung fehlten Aussprachen, Probleme würden ausgesessen. Man sei so viel Gegenwind auch gar nicht mehr gewohnt und merke im persönlichen Umfeld, dass viele Menschen von den bekannt gewordenen Plänen geschockt seien.

Bei Infratest dimap ist die AfD seit Jahresbeginn um 3 Prozentpunkte auf 19 Prozent gesunken. Forsa und Emnid sehen es ebenso. Aber diese Umfragewerte sind mit Vorsicht zu genießen – zeitgleich gründete sich das Bündnis Sahra Wagenknecht. Und in Sachsen bleibt die AfD bislang stabil: Dort steht sie weiter bei 35 Prozent.

Der Politikberater Johannes Hillje, der zur Kommunikation der AfD ein Buch veröffentlicht hat, sagt, die Partei versuche einerseits zu beschwichtigen und habe andererseits mit einer realitätsumkehrenden Opfererzählung von einer „Schmutzkampagne“ den Gegenangriff angetreten. Doch die Realitätsumkehr verfange nur bedingt. Denn die Proteste brächten die AfD in Erklärungsnot, sagt Hillje: „Die Erzählung der AfD, man vertrete eine schweigende Mehrheit, bekommt Risse und wird konterkariert.“

Das demokratische Lager stärken

Große Teile der Bevölkerung protestieren jetzt gegen die angebliche Stimme des Volkes. Das schade vor allem mit Blick auf neue Anhänger und Sympathisierende, die in letzter Zeit von den Ampelparteien und der CDU zur AfD gekommen sind, sagt Hillje: „Hier könnte aktuell ein Reflexionsprozess einsetzen, der das Wachstum bremst und Verluste auslöst.“ Er geht davon aus, dass selbst wenn die Wählerschaft der AfD nicht signifikant kleiner werden sollte, die Proteste das demokratische Lager stärkten. Sie führten dazu, dass vor allem die Kräfte der gesellschaftlichen Mitte aktiviert würden.

Die AfD hat gerade verkündet, sie habe seit Erscheinen der Correctiv-Recherche rund 2.700 Neueintritte verzeichnet. Diese Meldung will Hillje nicht überbewerten. Es sei kein Massenbeitritt, sondern die Kernwählerschaft, die sich nun solidarisiere: „Genau die soll gefestigt werden mit der Realitätsumkehr.“

Auch für Andreas Zick entfalten die Proteste bereits jetzt eine Wirkung. Es habe ein „gesellschaftlicher Klimawandel“ eingesetzt, erklärt der Bielefelder Konfliktforscher. Die Proteste hätten eine ganze Reihe an Gruppen inspiriert, sich deutlich gegen Rechtsextremismus zu positionieren – Unternehmen, Kirchen, Hochschulen, Richter:innen. In einer lange nicht dagewesenen Intensität werde über die Bedrohung der Demokratie diskutiert. Parallel liefen Debatten, wie demokratische Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht besser geschützt werden könnten. „Das alles hätte es ohne die Proteste nicht geben“, sagt Zick. „Die Demonstrierenden haben eine Bewegung angestoßen, die immer weitere Wellen schlägt und damit schon jetzt nachhaltige Folgen auslöst.“

Ob der Protest der AfD am Ende an der Wahlurne schadet, ist noch nicht ausgemacht. Studien dazu sind rar. Einige internationale Untersuchungen weisen aber nach, dass sich Protest gegen rechts auf Wahlen auswirken kann. So untersuchte eine Studie die norditalienischen Regionalwahlen von 2020. Zivilgesellschaftliche Gruppen hatten damals gegen Matteo Salvini und seine Lega Nord protestiert, die „Sardinen-Bewegung“. Das Ergebnis: In Orten, wo es Proteste gab, schnitten die Rechtsextremen bis zu 4 Prozentpunkten schlechter ab als in vergleichbaren Wahlbezirken.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Soziale Normen stärken

Auch in einer Studie zur französischen Präsidentschaftswahl von 2002 zwischen Jacques Chirac und dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen zeigte sich, dass in Orten mit größeren Protesten gegen Le Pen dieser am Ende auch weniger Stimmen bekam. Laut der Studie war es den Demonstrierenden gelungen, eine soziale Norm zu stärken, dass eine Wahl von Le Pen sozial unerwünscht ist. Es ist dieser Effekt, den auch die zuletzt erfolgsverwöhnte AfD fürchten dürfte.

Eine weitere Studie, die Proteste gegen die rechtsextreme Goldene Morgenröte in Griechenland untersuchte, stellte fest, dass sich die Wahlergebnisse der Partei im Anschluss gar um bis zu 16 Prozentpunkte verringerten. Der Effekt war umso größer, je näher die Demonstrationen vor Wahlen stattfanden und je mehr die Proteste direkt auf Aktivitäten der Rechtsextremen reagierten – die For­sche­r*in­nen sprechen von einem „Tango-Effekt“. Dass die momentanen Anti-AfD-Proteste so früh im Jahr stattfinden, könnte daher gegen einen größeren Effekt bei der Europawahl im Juni und den Landtagswahlen im Herbst sprechen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Nicht eindeutig ist die Forschungslage, welche Faktoren sonst noch einen Protesterfolg befördern. So scheint erwiesen, dass Proteste vor allem dann öffentlichen Zuspruch erhalten, wenn sie möglichst heterogen zusammengesetzt sind und geschlossen auftreten. Auf die laufenden Anti-AfD-Proteste trifft dies zu. Wobei sich auch hier erste Trennlinien zeigen, etwa in der Frage, inwieweit Regierungs- und Parteienvertreter am AfD-Aufstieg mitschuldig sind und an den Protesten teilnehmen sollten.

Mehrere Studien sehen zudem positive Effekte, wenn die Proteste gewaltfrei bleiben. So weist eine gerade erst abgeschlossene Studie zu den friedlichen Fridays-for-Future-Protesten in Deutschland nach, dass Ortschaften, in denen die Klimabewegung demonstrierte, danach höhere Wahlergebnisse für die Grünen verzeichneten.

Eine Studie zur Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren in den USA zeigte, dass in Regionen mit gewaltfreien Protesten die Demokraten um rund zwei Prozentpunkte zulegen konnten. Kam es indes zu Gewalt, gab es ähnliche Stimmengewinne für die Republikaner. Eine andere Studie hielt dagegen fest, dass Bewegungen, die auch eine radikalere Flanke haben, effektiver darin sind, die öffentliche Meinung zu drehen – wie es etwa bei den US-Protesten gegen Trumps „Muslim Travel Ban“ geschehen sei, als auch Straßenblockaden eingesetzt wurden und das Dekret letztlich kassiert wurde.

Der Marburger Protestforscher Tareq Sydiq warnt vor einfachen Erklärungen. Wenn Protesteffekte auf Wahlen nachweisbar seien, bewegten sich diese zumeist im Bereich von wenigen Prozentpunkten. „Das sollte man nicht unterschätzen, aber auch nicht überschätzen“, sagt Sydiq. Es komme sehr auf den Zeitpunkt und die Geschlossenheit der Proteste an, sonst könnten die Effekte schnell verpuffen. „Ein politisches Allheilmittel sind die Proteste nicht.“

Wie es laufen könnte, zeigt ein Blick ins Frühjahr 2020. Damals wurde nach dem Hanau-Anschlag bundesweit über Rassismus und die Mitverantwortung der AfD diskutiert. Die Umfragewerte der Partei sackten danach um mehrere Prozentpunkte ab. Zwar befand sich die AfD später wieder im Aufwärtstrend, aber bis dahin dauerte es immerhin zwei Jahre.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.