Ralf Stegner über Krieg in Gaza: „Auf Seiten der Humanität stehen“

SPD-Politiker Ralf Stegner fordert einen Waffenstillstand in Gaza, obwohl die Bundesregierung das ablehnt. Auch bei der Ukraine will er mehr Diplomatie.

Eine Gruppe israelischer Soldaten geht durch eine zerstörte Straße, die von Ruinen gesäumt wird

Israelische Soldaten unterwegs im Gaza Streifen am 21.01.2024 Foto: Frank Jack Daniel/IDF/reuters

taz: Herr Stegner, Sie haben mit 19 anderen SPD-Abgeordneten in einem offenen Brief einen Waffenstillstand in Gaza gefordert. Welche Reaktionen haben Sie darauf erhalten?

Ralf Stegner: Eine Menge positive Reaktionen. Viele finden, dass es überfällig ist. In Gaza herrschen humanitäre Zustände, die man nicht akzeptieren kann.

Finden Sie bei Grünen und FDP Unterstützung für Ihre Forderung?

20 SPD-Bundestagsabgeordnete, 2 SPD-Abgeordnete im Europäischen Parlament richten sich gemeinsam mit 20 kanadischen Abgeordneten, sowie 10 US-Abgeordneten an ihre Regierungschefs, sich um einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza zu bemühen. Mit ihrem Appell an Kanzler Scholz, US-Präsident Biden und Premier Trudeau fordern sie die Freilassung der israelischen Geiseln sowie humanitäre Hilfe für den Gazastreifen. Auch die Zwei-Staaten-Lösung soll vorangetrieben werden. Beim Wiederaufbau der Region sehen sie Deutschland, Kanada und die USA in der Pflicht.

Viele äußern sich nicht öffentlich dazu. Aber hinter vorgehaltener Hand stimmen uns Viele zu.

Laut ZDF-Politbarometer halten über 60 Prozent der Bevölkerung das israelische Vorgehen in Gaza für nicht gerechtfertigt. Warum überlässt die SPD es der Linkspartei, als einziger Partei im Bundestag einen Waffenstillstand zu fordern?

Es gibt dazu keinen Parteitagsbeschluss, das stimmt. Ich würde solche Umfragen aber auch mit einer gewissen Skepsis betrachten. Nicht alle stimmen dieser Aussage aus lauteren, humanitären Motiven zu. Darum haben wir unsere Haltung ausführlich begründet. Deutschland muss immer auf der Seite der Humanität stehen. Deswegen brauchen wir ein klares Bekenntnis gegen Antisemitismus und Terrorismus. Die Sicherheit Israels kann niemals zur Disposition stehen. Zugleich dürfen wir nicht zulassen, dass die israelische Regierung permanent gegen humanitäre Grundsätze verstößt, woran man ja leider keinen Zweifel haben kann.

Ein internationales Bündnis aus 16 Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen – darunter Amnesty, Oxfam und medico international – fordert jetzt, alle Waffenlieferungen in die Region zu stoppen. Wird Deutschland seine Waffenlieferungen an Israel stoppen oder an Bedingungen knüpfen?

Ich bin kategorisch gegen Waffenlieferungen in Diktaturen und Krisenregionen. Das war schon immer meine Position, auch wenn die nicht alle in meiner Partei teilen. Eine Ausnahme betrifft die Ukraine, dazu gibt es einen Beschluss des Bundestags, den ich teile. Eine weitere Ausnahme ist Israel: Dorthin haben wir bisher Waffen geliefert, damit sich das Land verteidigen kann. Die Lieferung von Panzern haben wir aber aus gutem Grund nicht genehmigt.

Und Panzermunition?

Das sehe ich ähnlich.

Im Gazastreifen sind inzwischen über 25 000 Menschen getötet worden. Welche Chancen gibt es, dass die Bundesregierung ihren Kurs ändert und für einen Waffenstillstand eintritt?

Die entscheidende Rolle spielen in dieser Frage die USA. Ich finde es nachvollziehbar, dass Deutschland da nicht vorneweg marschiert. In der Sache müssen wir aber alles dafür tun, dass es dazu kommt, dass die Waffen schweigen. Das kann man ja auf unterschiedlichen Wegen tun. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die USA hinter der Kulissen daran arbeiten, dass die Waffen schweigen, und Deutschland unterstützt das, auch wenn man das nicht öffentlich sagt. Das spielt auch für die Geiseln eine Rolle. Der Weg zu ihrer Freilassung führt erkennbar nicht über die Art und Weise, in der Israel seine militärischen Operationen in Gaza durchführt.

Sie sagen, hinter den Kulissen wird Druck auf Israel ausgeübt. Aber wirkt dieser Druck?

Niemand hat so viel Einfluss wie die USA. Wie in der Ukraine-Frage, passiert da hinter den Kulissen eine Menge, das nicht immer öffentlich zum Ausdruck gebracht wird.

Der Krieg in der Ukraine geht unvermindert weiter. Wie stehen Sie zur Lieferung von Taurus-Flugkörpern an die Ukraine?

Ich tue mich aus Prinzip mit Waffenlieferungen schwer, schon immer. Ich finde es richtig, dass wir Flugabwehr liefern, um die ukrainische Bevölkerung und die zivilen Einrichtungen vor russischen Angriffen zu schützen. Aber ich habe schon immer bezweifelt, dass sich Putin militärisch an den Verhandlungstisch zwingen lässt. All die Militärexperten, die das immer behauptet haben, haben sich getäuscht, wie man sieht.

Bröckelt die Unterstützung für die Ukraine, wenn sich in den USA der Wind dreht?

Der Krieg wird nicht nur auf dem Schlachtfeld geführt, sondern auch um die öffentliche Meinung im Westen. Das Problem der Ukraine ist, dass sie diesen Krieg auf Dauer nicht gewinnen kann. Deshalb sollte man – etwa mit Hilfe von Staaten wie China, die mehr Einfluß haben als wir – alle diplomatische Möglichkeiten nutzen, die man hat, und das nicht nur als „Appeasement“ abtun. Am Schlimmsten für die Ukraine wäre es, den Krieg nicht zu gewinnen und den Krieg um die öffentliche Meinung im Westen zu verlieren. Das kann sich niemand wünschen. Es ist Konsens, dass man Grenzen nicht mit Gewalt verändern darf. Daraus folgt aber nicht, dass man der Ukraine immer mehr Waffen liefert. Damit wird man keinen Erfolg haben, fürchte ich.

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