Streit um EU Lieferkettenrichtlinie: Kette voller Mythen

Die FDP blockiert das EU-Lieferkettengesetz mit Argumenten deutscher Wirtschaftsverbände. Was ist dran? Ein Faktencheck.

Arbeiter, darunter Frauen und Kinder in einer Kobaltmine in Kongo

Kobaltmine in der Demokratischen Republik Kongo Foto: Augustin Wamenya/afp

BERLLIN taz | Die FDP zieht in letzter Minute den Stecker vom EU-Lieferkettengesetz und erreicht, dass Deutschland sich am Mittwoch bei der finalen Abstimmung im Rat enthalten muss. Damit wackelt die Mehrheit im Rat für eine EU-weite Richtlinie, die Unternehmen zur Achtung und Kontrolle von Menschenrechten in ihren Lieferketten verpflichtet. Die Liberalen wiederholen im Präsidiumsbeschluss und Briefen an EU Länder die Argumente großer deutscher Wirtschaftsverbände, die seit Beginn der Verhandlungen gegen die Richtlinie sind und kurz vor der Abstimmung im Rat noch mal Druck machen. Die Argumente im Faktencheck.

Behauptung: Die Europäische Regelung betrifft viel mehr Unternehmen als das deutsche Lieferkettengesetz.

Etwas mehr sind es schon. Die deutschen Regeln betreffen ab 2024 Firmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten, die europäischen Regeln sollen ab 500 Mit­ar­bei­te­r*in­nen und in Risikobereichen ab 250 gelten. Hinzu kommt als Bedingung ein Umsatz von 150 Millionen Euro beziehungsweise 40 Millionen in Risikobereichen. Durch diese Kombination erhöht sich die Anzahl der erfassten Unternehmen „nur unwesentlich“, heißt es aus dem Bundesarbeitsministerium. Das geht von etwa 3.000 Unternehmen aus, die derzeit unter das deutsche Lieferkettengesetz fallen und von 3.900, die bis 2029 unter die EU-Richtlinie fallen würden.

Behauptung: Die Pflichten belasten durch die Hintertür doch den Mittelstand, weil die vom Gesetz betroffenen Großunternehmen sie einfach weiterreichen.

Das für die Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle hat im Dezember vergangenen Jahres berichtet, dass einige Unternehmen versucht haben, die Pflichten pauschal an ihre Zulieferer weiterzugeben, „beispielsweise durch vertragliche Zusicherungen“. Gleichzeitig stellt das Amt klar, dass dies nicht zulässig ist. Auch in der Europäischen Richtlinie ist das so festgelegt.

Behauptung: Die Regeln sind zu weitreichend, Industriefirmen haben Zehntausende Zulieferer.

Das europäische und auch das deutsche Lieferkettengesetz sind risikobasiert. Unternehmen müssen also Risiken analysieren und Beschwerden nachgehen und nicht Zehntausende Zulieferer durchleuchten. Zudem haben die Wirtschaftsverbände durchgesetzt, dass es keine „Erfolgspflicht“, sondern eine „Bemühenspflicht“ gibt. Unternehmen müssen nachweisen, dass sie versucht haben, Missständen zu beheben.

Behauptung: Die Haftungsregel bedeutet eine stärkere Belastung von Unternehmen.

„Deutlich Kritik“ übten acht Wirtschaftsverbände in einer gemeinsamen Mitteilung am Dienstag „an der vorgesehenen zivilrechtlichen Haftung für Unternehmen und deren Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte“. Richtig ist, dass mit der EU-Richtlinie die zivilrechtliche Haftungsregel nach den Vorschlägen der deutschen Bundesregierung kommen soll. Damit können auch Organisationen der Zivilgesellschaften Unternehmen verklagen, wenn sie sich nicht bemüht haben, Missstände zu beheben. Falsch ist hingegen, dass die Haftungsregel auch für Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte gilt.

Behauptung: Die Berichtspflichten sind viel zu bürokratisch und gedoppelt.

Na ja. Richtig ist, dass die Sorgfaltspflichten mit Risikoanalysen und Berichten einhergehen. Richtig ist aber auch, dass es bereits seit 2022 eine EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung gibt, die Unternehmen verpflichtet, soziale und umweltbezogenen Risiken offenzulegen. Alle Unternehmen, die von dieser Regel betroffen sind, müssen keine weiteren Berichte liefern. Für alle anderen Unternehmen, die bislang nur unter das Lieferkettengesetz fallen, hat Arbeitsminister Hubertus Heil in einem Entlastungspaket zugesichert, dass deutsche Berichtspflichten dann entfielen. Es gibt aber auch noch andere gute Gründe für Unternehmen, diese Risikoanalysen anzufertigen. „Viele Unternehmen sagen, es ist in ihrem eigenen Interesse, dass sie etwa ihre CO2-Bilanz kennen. Immer mehr Investoren und Versicherungen wollen das wissen und fordern Strategien von Unternehmen, wie sie ihre C02-Emissionen reduzieren“, sagt Katharina Reuter, Geschäftsführerin vom Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft.

Behauptung: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat von Anfang gesagt, dass er „ergebnisoffen“ verhandelt.

Das Justizministerium war zu Beginn an den Verhandlungen der Richtlinie beteiligt und hat sie bis zuletzt mitgetragen. Das belegt etwa eine interne Weisung zu den Trilogverhandlungen vom September 2023, die der taz vorliegt.

Die FDP hat sich zudem mit einigen Forderungen durchgesetzt. Manche wurden bei der Trilogeinigung der EU Gesetzgeber im Dezember sogar „übererfüllt“, etwa durch den Ausschluss von Finanzdienstleistern von den Regeln, sagt Armin Paasch von der Entwicklungsorganisation Misereor, der den Prozess in der EU begleitet. Das hatte Frankreich durchgesetzt und so den Weg zur Trilogeinigung frei gemacht. Dass nach Verhandlungsabschluss wieder Forderungen eingebracht werden, ist unüblich.

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